Mittwoch, 11. Februar 2009

Das Khmerbuch

Es war Ende Oktober 2008, als sich Roat und Köm auf die Socken machten, um Kambodscha kennen zu lernen. Was die beiden da so erlebt haben, könnt Ihr hier lesen:


Khmerbuch 2008

Inhaltsverzeichnis

1 Lesehilfe
2 Vorwort
3 Anreise
3.1 von Hannover nach Frankfurt
3.2 Frankfurt - Seoul
3.3 in Seoul
3.4 Seoul - Phnom Penh
4 Phnom Penh
4.1 Von Klang-Asseln und Angkor-Nazis
4.2 ab nach Siem Reap
5 Siem Reap
6 auf Schlappen nach Battambang
7 Battambang
7.1 Holzklasse
7.2 Bamboo Trains
7.3 Plan B?
7.4 Phnom Sampou
8 auf auf, zum Khmer
8.1 Serendipity Beach
8.2 zum Otres Beach
8.3 neugeboren
8.4 Brauner Reis
8.5 MetallicA
8.6 Maukenpech
8.7 auf nache Inseln
8.8 Fischer aus Vietnam
8.9 Khmermann, hol über
8.10 Seegurkensalat
8.11 FC Bamboo Island Sharks
8.12 der letzte Abend am Strand
9 zurück Richtung alte Heimat

1 Lesehilfe
Ja, so langsam brauchen wir alle eine Lesebrille..., das bleibt nicht aus ab Mitte Dreißig. Meine Oma sagte immer: »Junge, Möhren sind gut für die Augen« und »Du wirst mal Inschenjör!«, aber ich wollte ja nicht hören. Andere Sprüche waren zum Beispiel diese:
»Ihr habt noch keinen Krieg erlebt.«
»Ich hab kein Geld, um billig einzukaufen.«
»Kleine Kinder - kleine Sorgen, große Kinder - große Sorgen!«
»Hätte der Hund nicht geschissen, hätte er den Hasen gekriegt!«
Aber bevor ich noch zu weit aushole, hier ein paar Informationen, wie man dieses ganze nervtötende Gestammel, diesen Reisebericht zu lesen hat:
Roat's Text ist in normaler Schrift.
Köm’s (km’s) Text ist in kursiver Schrift und blau.

Und getze? Getze geht das gleich los!
2 Vorwort
Mir ist bei der Durchsicht aufgefallen, dass in dieser Geschichte nicht einmal der Spruch: Alles Roger in Kambodscha vorkommt. Das geht natürlich nicht und sei hiermit erledigt.

3 Anreise
von Hannover nach Frankfurt
Unsere kleine Reise beginnt am Sonntag, den 23.11.2008 um 13:41 Uhr ab Gleis 4 des Hauptbahnhofes zu Hannover. Ein ICE bringt uns nach Frankfurt am Main, wo hoffentlich alles glatt geht. Der Zug ist rappeldickevoll, und meine Daheim gebliebenen winkend am Gleis, die Augen voll Wasser. Mein Rucksack (13 kg) passt in keine Ablage und weil er nicht steht, halte ich ihn fest. km hantiert mit losem Blattwerk, irgend so ein organisatorischer Kram, während ich ihm genüsslich nach dem Leben trachte.
Sonntag, 23.11.2008, 15:45 Uhr
Haben erstmal die Rucksäcke umgepackt. Meiner kommt ins Handgepäck, Roat's kommt nach Afrika. Socken kann ich ihm dann leihen; 10 $ für 5 Stunden. Bitte gewaschen zurück. Auf seinen MP3-Stick konnte ich gerade eben unbemerkt das noch unveröffentlichte, letzte Bin Laden Video kopieren. Das wird ein Heidenspaß, wenn ich die Sheriffs am Flughafen darauf aufmerksam mache.

Frankfurt - Seoul
19:20 Uhr
Mitten im Flug. Köm hat gerade serviert bekommen und wundert sich. Sieht nach Nahrung aus, es riecht so, ist heiß. Für mich als balkanerprobter Billig-Touri ist das hier schon wieder ein Schritt weiter. Einer in die richtige Richtung. Sie reichen einem mit einer Chromgrillzange kleine weiße Röllchen aus Frottee, in heißem Wasser getunkt, dass wir uns damit am Platz waschen können. Da wo ich her komme, hauen sie einem höchstens einen alten Wischlappen um die Ohren, wenn man um eine Erfrischung bettelt! Hier ist schon wieder alles anders. Hier gibt es Fleisch mit Pommes im Flieger, dazu ein paar Bier und jeder hat seine kleine Glotze vor sich in der Lehne über dem Klapptisch, wo angezeigt wird, wo man ist und wie lange es noch dauert.

Wenn man neben km sitzt, können 9:45 Stunden eine verdammt lange Zeit werden. Da wünscht man sich beinahe in ein temporäres Koma zu verfallen. Doch in bin ja nicht blöd und räche mich hin und wieder mit einem dezenten Furz. Soll er doch sehen, wo er bleibt.
Ich spies soeben:
Pilz, Reiskorn und Blumenkohl
Brötchen
Sallatt & Obst
Und Roat hat mir noch seinen Donauwellenkuchen untergejubelt. Wenn er nachher Grauen Star wegen Unterzuckerung kriegt, lache ich mich schlapp.
Ich habe auch erstmal das ganze Beck's ausgetrunken. Und Roat muss pissen wie ein Ochse, aber ich lasse ihn nicht raus. Er ist eingekeilt zwischen mir und der Außenhülle des Fliegers. Gleich rechts von ihm - ca. 20 cm weiter - sind es -50°C und es geht 10.058 Meter senkrecht nach unten. Wenn man 10 Kilometer bei 900 km/h runterfällt..., man mag es sich gar nicht ausmalen. Ich würde da nicht freiwillig sitzen. Na ja, auf jeden Fall muss sein Schließmuskel jetzt erstmal Überstunden machen. Thihihihi!
Irgendwann, ich sah schon aus wie eine Mischung zwischen Ulli Urin und Urin Stein, durfte ich dann doch mal raus, auf Klo. In dem lauten Raum sah es aus wie bei Rossmann, jedenfalls standen dort fast soviele Zahnbürsten und Toilettenartikel für die Fluggäste rum. Könnte man alles klauen, dachte ich mir, bräuchte ich mir 3 Jahre nichts davon kaufen. Ich beschloss nachher km's Seitentaschen damit vollzustopfen; wenn sie ihn erwischten, war ich fein raus, brauchte das Diebesgut aber nicht schleppen.
Habe ich überhaupt schon erzählt, wo es hinging, ich meine, wohin es ging? Nicht? Ganz einfach: nach Kambodscha. Aber jetzt ging's erstmal nach Seoul, das war irgendwo in Korea. Sowas war immer am Besten wenn es in Eckerde gerade begann zu schneien. Dort hätte ich nämlich ansonsten mit dem Rad lang gemusst. Mit so Handschuhen.
Nach diesem Flug stand uns ein 6 - 7 stündiger Aufenthalt in Seoul bevor, in Erwartung des Weiterfluges nach Phnom Penh. Das war die Hauptstadt von Kambodscha, und dort, irgendwo in der Nähe, wuchs der Pfeffer. "Hab ich im Fernsehen gesehen", dachte ich noch so, während ich noch einen Schluck nahm und km 'ne Zeitung um die Ohren haute. Hier lagen noch 'ne Menge Zeitungen herum, und der Tag war noch lang.
Die fesche Stewardess rückte anständig ihren schmucken, roten Kittel zurecht und beschleunigte ihren Bierwagen im Gang zu unserer Linken. km, geistesgegenwärtig, zückte einen stabilen Kabelbinder und machte die voll beladene Schubkarre in Augenhöhe am Sitz fest. Macht Sinn, sinnierte ich, braucht man nicht so oft Rufen und spart auch 'ne Menge Zeit. Sie entschuldigte sich noch. Weil das Beck's zur Neige ging, aber ihr war schnell verziehen. CASS ging auch erstmal, ein koreanisches Brandbeschleunigerbier mit forschem Zuckergehalt. Lies sich alles mit uns machen, wir sahen das nicht so eng.
Km's Zeitung, mittlerweile arg zerfleddert, erzählte Geschichten aus der kalten Heimat; Merkel hier, Steinbrück da, und erst dieser Frank-Walter mit seiner bescheuerten Brille. Nö, ich zog mir die Schuhe aus, stellte die Lehne eine Nuance zurück und pfiff mir vielleicht zum 80. Mal seit September die Neue von Metallica rein. Das war ich ihnen schuldig, denn das Konterfei von James Hetfield zierte mein langsam müffelndes T-Shirt. Noch ein, zwei wuchtige Riffs und ich dämmerte dahin, hoch über Nizhny Novgorod oder Kolpino oder irgendwo dazwischen. Konnte mir ja eigentlich Wurst sein, solange km, noch immer bewusstlos, auf seine gerechte Strafe wartete.
00:00 Uhr

Ich sag es ja nur ungern, aber wir überfliegen gerade Novosibirsk. Ich meine, nicht, dass die Russen vorhaben, uns abzuschießen, nein, meine Trauer gilt eher der Dunkelheit. Man sieht nix. Ural im Schatten, paar Lichter unten, Sterne oben und eine Tragfläche – immer das Gleiche, Stund um Stund.
Köm schnarcht und ich bin so freundlich und tupfe den auf Spinnweben träufelnden Sabberfaden von seinem Mundwinkel ab – mit einem schweren Buch. Bevor das noch ein Rinnsal wird, man kann ja nie wissen. Die Stewardess, diesmal die andere, pendelt den Gang auf und ab. Unermüdlich räumt sie das Dosenmeer fort, das km und ich auf dem noch freien, 3. Platz in unserer Sitzreihe aufgespült haben.
Säckeweise zerrt sie das scheppernde Blechwerk in ihre kleine Werkstatt am Ende des Flugzeugs. Sie kommt kaum gegen an. Es ist nur noch ein einziger leerer Sack übrig, die bereits aufgefüllten Beutel, jeder groß wie ein Kleinwagen versperren die Zugänge zum Klo und wabern bereits auf die hinteren Sitzreihen. Bis ein Sack zerreißt und sich laut brüllend auf die meist koreanischen Passagiere ergießt.
Ich schrak hoch. Ich musste eingenickt sein. Ein Blick auf meine Uhr, ich glaube, ich hatte sie bei Lidl für 'nen Appel und 'n Ei erstanden – es waren wieder zwanzig Minuten verstrichen. Hier drinnen merkte man davon aber nichts. Und draußen? Nichts. Alles dunkel. Vielleicht sollte ich km einfach aus dem Flieger schmeißen, mal gucken, wie oft er unten aufditscht. Oder hatte ich die Uhr von Aldi? Mal fragen, wenn ich wieder zuhause war, irgendwann in 2 Wochen. Nun denn, zappte ich eben nochmal durch die 39 Sender im Mini-Flatscreen, einen halben Meter vor meiner vom Klimagerät gestressten Nase: Wall-E, Batman, Hulk 2, Hancock, das machte was her, das hörte gar nicht auf. Aber alles Schrott, offen gesagt. Hielt keiner lange aus, sowas. Der Krach vom Flieger übertönte den Sound vom Kopfhörer, so dass man derart laut stellen musste, dass man davon Kopfschmerzen bekam. Jetzt mal ehrlich, wollte ich Kopfschmerzen?
1:00 Uhr
Jetzt sind wir angeblich gerade über den Sayan Mountains, next stop: Ulan-Ude. Das ist die Mutter von Ulan-Baator. Wenn das kein Grund ist, nach einem frischen Kaltgetränk zu langen, dann weiß ich auch nicht. Der weitere Kurs: via Irkutsk zwischen Beijing und Changchun durch, und dann ist schon Seoul. Noch schlappe 3:26 h und wir sind dort.


2:06 Uhr in Hannover, 10:06 Uhr in Seoul
Es scheint, als überflögen wir gerade die innere Mongolei. Sieht aus, als hätte der liebe Gott als Kind mit einer großen Mistgabel auf seinen Schokokuchen eingedroschen und anschließend Puderzucker darüber gestreuselt. Das sieht so geil aus! Dagegen wirkt der Deister wie ein Programmabsturz in Google Earth. Berge bis zum Horizont, aber irgendwie kaum abzuschätzen wie hoch sie sein mögen, bei der tief stehenden Sonne.

Ortszeit 14:20 Uhr, nach Ankunft in Seoul
Inzwischen gammeln wir am Flughafen in Seoul 'rum. Die Zeit scheint still zu stehen, kein Ereignis weit und breit. Die beiden Heineken für 13 US-Dollar sind lange passee und km hat sich für eine Weile auf sein Ohr gehauen. Ich wollte ihm das eigentlich abnehmen, aber er bestand darauf. Unser Flieger nach Phnom Penh geht erst um 18:40 Uhr oder so und das zieht sich.
Es wurde uns eine Auswahl an Sightseeing Tours angeboten, gratis quer durch Koreas Hauptstadt, aber irgendwie haben wir noch keine Meinung dazu. Km muss unbedingt pennen, damit er fit wird, ich selbst fühle mich an eine der unzähligen Nachtschichten erinnert, in denen ich genau wie jetzt mit irgend einem zuckenden Augenlid durch Raum und Zeit stolpere, übernächtigt aber nicht aussichtslos.
Draußen, auf dem Flugfeld und um die Gangways herum, sind 10 °C, es ist furchtbar nebelig.
Hier drinnen, in der Rest Lounge geht alles seinen Gang. Auf jedem Sofa liegt jemand, wohl dem, der schon eins hat. Ich watze ein wenig durch das Gebäude, wenn ich ehrlich sein soll, suche ich Fleisch; und zwar durch. Das ist mir aber echt alles zu teuer, deshalb speise ich mich mit einem Kaffee ab; die 4,50$ machte ich locker.

Ortszeit Korea: 21:35 Uhr

Oceanic 815
Nach endloser Warterei sitzen wir nun im nächsten Flieger nach Phnom Penh. Das Essen ist schon durch. Huhn mit Reis und ein Fingerhut voll gottgleicher scharfer Sauce, Marke Stuhlgangfreund. Auf meinem Tablett drapieren sich wie die Orgelpfeifen die Getränkebecher; O-Saft, der obligatorische Tomatensaft, Bier, Kaffee – alles gleichzeitig. Sag ich nicht nein, wer weiß, wann es wieder was gibt. Und noch immer 3000 km bis zum Ziel.
Vorsichtig nehme ich mir vor, km den nächsten Tomatensaft ins Gemächte zu schütten, es ist jedesmal ein Heidenspaß wenn er sich hilfesuchend nach einem Lappen umsieht. Schräg neben ihm sitzt eine hübsche Frau, woher auch immer. Deshalb kann er nicht so losblähen wie sonst, jedenfalls glaubt er das. Bei mir ist das anders. Ich tue mir keinen Zwang an und zeige danach mit dem nackten Finger auf ihn.
Was Roat für eine hübsche Frau hält, halte ich für eine überschminkte, koreanische Mittvierzigerin.
Wir planen per Moped nach PP reinzufahren. Hoffentlich regnet es nicht, so wie das Internet gesagt hat. Macht sicher Böcke, so hinten drauf durch die nächtliche Stadt zu knetern. Am besten, wir stecken uns schon mal ein paar kleine Scheine in die Hosentaschen, dann muss man nicht gleich seine prallen Geldspeicher zücken.
OT 21:05 Uhr
Sind gerade eine Taiwanlänge vor Taiwan; unter uns erstreckt sich das chinesische Meer. Laut Monitoranzeige jedenfalls. Noch 2600 km to go.

Asiana Airlines mästet uns ordentlich durch. Eine Mahlzeit folgt der anderen - wie am Schnürchen. Und das vegetarische Essen kommt natürlich immer zuerst. Irgendwie muss man die Leute ja bei Laune halten, sonst gibt es noch eine Revolte an Board, aus reiner Langeweile. Der <balloon title="Knifte = Bemme, Stulle">Kniftenzähler</balloon> zeigt eine nackte Null und jeden zweiten O-Saft habe ich von Roats blauem Kuschelkissen aufsaugen lassen. Ich höre schon das Gemäkele, wenn er es bemerken wird. Herrlich! Die Gurte von seinem Rucksack habe ich auch schon sabotiert. Eins geht also nur: Rucksack unterwegs wech oder blaues O-Saft Kissen. Egal! Natürlich bleibt auch das obligatorische Rahmenprogramm aus der Glotze nicht aus. Ein Irrer Komödiant zwängt sich durch zwei oder drei Tennisschläger ohne Bespannung, ein bisschen Karaoke-Singsang und anderer, karnevalistisch anmutender Stumpfsinn wird uns vorgesetzt.
Da Roat gerade schläft, entschließe ich mich dann doch zu etwas Besserem. Mit einer kleinen Handbohrmaschine durchstoße ich die Außenwand an seinem Fensterplatz. Er kriegt nix mit, hat Ohrenpröppel drin. Upps, fast hätte ich vergessen, seinen Gurt los zumachen. Puuh. Als die Bohrmaschine das letzte Blech zermöllert, verschwindet die Außenwand plötzlich im Nix. Roat wird heraus gesaugt, und kurz bevor ich das Loch mit einem losgeschraubten Sitz verstopfe, sehe ich noch wie er aufwacht. Ungläubige, restalkoholisierte Augen starren in mein schallend lachendes Gesicht. Dies war dann wohl sein letzter Gesichtsausdruck; der, mit dem er Gevatter Tod gegenüber tritt.
Ich nuckele noch ein wenig O-Saft aus dem blauen Kuschelkissen und schlafe zufrieden mitten in der Massenpanik um mich herum ein. Das nenne ich einen spektakulären Abgang!
Währenddessen
Ich schlafe, den verklebten Bart in ein Airlinekissen pressend und träume, wie ich mit Köm's Socken Krebse aus dem Mekong fische, als sich plötzlich die linke Bordwand verabschiedet und mich mit in den Abgrund zieht. Schlaftrunken reiße ich die Augen auf und erblicke km's grinsendes Antlitz, das sich sekundenschnell von mit entfernt. Reaktionsschnell, wie es nun mal meine Art ist, bekomme ich ein, zwei Wolken zu fassen und hangele mich gekonnt mit einem filmreifen Satz auf das Heck des Flugzeugs. Leicht fröstelnd verharre ich nun dort oben den Rest des Fluges. Mit einer Hand halte ich mich am Seitenruder fest, mit der anderen winke ich den vorbeiziehenden Sternen zu. Vielleicht komme ich ja ins Fernsehen.
In Phnom Penh gelandet, klopfte ich mir lässig den Flugstaub aus den Klamotten. Im Grunde machte mir das alles nichts aus. Mit solchen Situationen konnte ich umgehen. Im Gegenteil; ich gewann der Sache noch was ab. Da ich draußen saß, konnte ich wenigstens in Ruhe eine rauchen.
OT 23:25 Uhr
Es nahm offenbar kein Ende. Die Zeit verging einfach nicht. Der Flug zog sich wie Hubba-Bubba, aber wie, als wenn man vier auf einmal durchgnatscht und dabei versucht das Lied vom Tod zu pfeifen, nur rückwärts. Wir waren anscheinend gefangen in einem temporären Fragment. Unsere Fingernägel waren mittlerweile so lang, dass wir an den Reglern im Cockpit drehen konnten, ohne dabei aufstehen zu müssen. Wir saßen in Reihe 24, also – und wen wundert das noch – genau über der Tragfläche. Drauf gebräkt, war eh dunkel draußen. Schon wieder, oder immer noch, ich hatte es längst vergessen. Zu allem Übel brachten sie „Batman - The Dark Knight“ in der Klappglotze, die von der Decke herunterhing. Das ging gar nicht. Der Film dauerte 2 Jahre, und es kam einem so vor, als wurde er nur von einer Folge „Deal or no Deal3“ unterbrochen, die 4 Jahre dauerte; immer derselbe Koffer. In meiner Not schickte ich Köm Bier holen. Dann konnte ich wenigstens in der Zeit seine Taschen durchwühlen und hatte ich endlich mal was zu tun. Seinen Fummel verschenkte ich an Sitzreihe 27 und sein technisches Spielzeug schmiss ich aus dem Fenster. Sein dummes Gesicht gehörte in diesem Fall zu den Lichtblicken des Fluges. Ich musste mich doch irgendwie beschäftigen, ich konnte doch nicht tatenlos bleiben!
OT 00:20 Uhr
Ich will ja nicht meckern, und ich beklage mich auch nicht. Auch nehme ich Abstand mich aufzuregen. Aber es darf jetzt ein Ende finden. Einfach landen und gut. Ankommen und Dasein und so. Aber nichts dergleichen. Wir überqueren Vietnam und es leuchten die Sterne. Im Fenster nur die monotonen Funzeln der Tragfläche und das Summen der Motoren. Noch immer 24 min. Ich muss meine Uhr schon wieder 2 Stunden zurückdrehen, jetzt ist es 22:30 Uhr, keine Ahnung wie spät es zuhause ist. Das Hin und Her rafft doch keiner ab. Da hätten wir ja gleich zu Fuß hier hin latschen können.
Aber das alles ist vermutlich gleich gegessen, wenn es denn endlich soweit ist. Sofern mein (Tiffi's) Rucksack überhaupt mitgekommen ist, und ihn das Flugzeug auf's Gepäckband göbelt. Dann geht's ab: KaEm und Roat im Urlaub. 27°C und bewölkt und keine Ahnung wie es weitergehen soll. Flug Ende.
Mal sehen, ob der Flug schon vorbei ist, denn noch 10 min. vor dem Start ist zweimal der Strom ausgefallen.
4 Phnom Penh
25.11.2008, OT 17:10 Uhr Phnom Penh
Wir sind jetzt da. Das alles zu beschreiben, was wir seit gestern 0:00 Uhr und ein paar zerquetschten erlebt haben, geht gar nicht. Zimmer rosa unterm Dach, mit Blick auf den See, wo jetzt gerade die Sonne versinkt. Wetter gut; heiß und schwül. Die Erlebnisse in den Bars sind auf der Quatsche dokumentiert und bedürfen zu hause einer fröhlichen Überarbeitung.

Heute sind wir um 12:00 Uhr aufgestanden und haben uns durch Phnom Penh bewegt. Volles Programm mit Markt und am-Fluss-sitzen und Tuk Tuk. Abenteuer Nummer Drei war: rüber, über die Straße und Kacken (Style: Großaufrag) in so' ner Bar. Mein erster ernst gemeinter Kontakt zum Strassenverkehr, gestellt auf mich alleine. Ein nicht abreißender Strom Mopeds und überladender Transportfahrzeuge nahm mir die Sicht. Eine falsche Bewegung und Köm wäre alleine im Urlaub. Halb ergriffen von dem Wellensittichbauer erklomm ich die Straßenmitte, ja ich streckte sogar meine Arme aus, damit sie mich später leichter unter dem vermeindlichen Kollisionsfahrzeug bergen konnten, doch ich kam unversehrt auf der anderen Seite an. Da wo imaginär "kein Klopapier" dran stand, und auch keine Halterung dafür, sondern ein weißer Wasserschlauch mit Drucktaste; an oder aus. Aber das war hier offenbar alles kein Akt. Wenn's Seife gab, hielt ich einiges aus. Verkehrsregeln waren nicht existent, es zählte Entschlussfreudigkeit und Selbstvertrauen. Ein gewisser Grad an Lebensmüdigkeit kam der Sache entgegen.

Bevor wir in die Stadt sind, haben wir noch in einer Garküche gespachtelt. Bohnen mit irgendeinem Knorpelgemüse und Reis. Dazu eine Soße mit glücklichen Kühen aus der Pulle. Wohl nicht sehr vegetarisch. Egal.

Der Markt, der sich vor uns auftut, nachdem wir uns durch unerforschte Nebengassen durchgeschlagen haben, ist glaub' ich das Krasseste, was ein Europäer sich auf die Schnelle antun kann. Allein die Gerüche, die irgendwann zu einem unaussprechlichen Gestank heranwachsen. Irgendwann vertraut, riecht doch früher oder später die eigene Hand danach. Stinkfrüchte liegen neben einer Aluwanne voll Trockenfisch, die hockende Verkäuferin verscheucht gebetsmühlenartig die Fliegen. Daneben ein Klotz Fleisch auf Holz, durch das der pralle Strahl der Nachmittagssonne wandert. Säcke voller Reis und Gewürzen, getrocknete Krabben in Riesenkorbgeflechten. Wer kauft das alles? Das Video vom Hühnertod ist mein ganzer Stolz, die SD-Karte wird später in Gold gerahmt.

Auf dem Markt haben sich Roat's Kulturschocks gegenseitig ein gnadenloses Rennen um die linke und die rechte Herzklappe geliefert. Es war aber auch echt genial da. Leider keine Salaks. Und Roat wollte keine kleinen gebratenen Vögel einschlotzen. Aber sonst: alles! Papaya, Mango, Trockenfisch & Klamotten. Körbe mit locker 500 – 1000 Eiern drin. Wer sollte die alle kaufen, bevor das Mindesthaltbarkeitsdatum um war? Oder gab es hier so etwas gar nicht? Es gab außerdem noch hellgrüne, rosafarbene und schwarze Eier. Und NIEMAND hat einen am Ärmel gezerrt um irgendwas aufzuschwatzen! Das war richtig entspannt da.

Es gibt Tage im Leben eines Roat, da gibt's kein Wasser auf dem Zimmer. Heute ist so ein Tag, jedenfalls für ein paar Minuten. KaEm, der Mann der schnellen Treppe, ist flugs nach unten gewatzt um das zu klären, aber als er mit dem jugendlichen Hausmeister die drei Etagen wieder hochgeastet kommt, furzt es plötzlich lustig im Waschbecken und alles ist wieder in Ordnung. Gibt es eine Erklärung für dieses Phänomen? Wir werden es nie erfahren.
Von Klang-Asseln und Angkor-Nazis
26.11.2008, OT 01:00 Uhr
Wenn die Dinge kompliziert erscheinen, muss man sich das Leben vereinfachen. Man muss Strukturen schaffen, einordnen was geht. Bei uns geht das so: es gibt Herri-Asseln und Gilde-Nazis. Wir sind die Guten, die anderen sind Gilde (Pilsener). Und nach einer guten Batterie Klang sieht die Welt ohnehin nicht mehr so aus, wie sie uns angeblich vorgaukelt. Da beißt die Maus kein Faden ab. Was ja auch egal war.
Das alles hielt uns nicht davon ab, nochmal in der Garküche zu speisen – dieselbe wie gestern, schön so mit Ei. Das mit den Stäbchen nahm auch langsam Form an. Es gelang mir sogar den alten Teelöffel mit Stäbchen aus dem zweckentfremdeten Nescaffébehälter zu pulen, da wo jetzt die oben bereits erwähnte gottgleiche Rotpaste drin war; scharf wie Hulle mit einem Hauch von Honig. Nur, dass das Gefäß fast alle war, und der Löffel so kurz, dass man ihn mit den Fingern eines grobschlächtigen 40jährigen nicht erreichen konnte. »Mit Stäbchen kommst du weiter,« das sagte sogar einst Lun Fei, der Bruder von Tok Cha, dessen Mutter, ich glaube sie hieß Wok Mam, Pan Fei ehelichte, einen Schwager schwesterlicherseits, dessen erste Ehe nur um Haaresbreite einer Rettung entglitt; sie alle einträchtig bei einer Dose Klang.

Wollen wir nicht vergessen, wie km, der Untaugliche, der dem Wahnwitz nahe Begleiter auf die glorreiche Idee kam, morgen mit dem Boot abzureisen.
»Sehr optimistisch,« gab ich zu verstehen, normalerweise gab es für ihn kein morgen! Jedenfalls nicht, wenn ich mit ihm fertig sein würde.
Nichtsdestotrotz buchten wir eine Bootsfahrt auf dem Tonle Sap, oder wie der heißt, flussaufwärts, nach Siem Reap, wo man das zweite »e« weg lässt, und das »a« unmerklich betont.
Hätten wir mehr Zeit gehabt, wären wir sicher noch ein, zwei Tage geblieben, in Phnom Penh, dort wo man sich tatenlos in eine Hängematte fallen lässt, welche über den wettergegerbten Dielen einer Bar schaukelt, die irgendein geschickter Khmer mal vor Jahren über den See geplankt hat.
Die Asche unserer roten Ara Zigaretten rutschte unter unseren Füßen durch die Fugen in das Wasser. Wenn mal nichts los war, blickte man einfach nach oben, wo sich 8 bis 10 Salamander im Strohwerk gegenseitig in die Schulter bissen; die Viecher machten sogar Geräusche, hörte sich an wie irgend so ein Vogel von zu hause, der mich immer aus dem Nachtschichtschlaf holte.

Termin für die Bootsfahrt war morgen früh, 6:30 Uhr. Nein, kein Scherz; nochmal in Worten: sechuhrdreißig. Von Herzen gewollt, zum Scheitern verurteilt. Aber ich will den Teufel nicht an die Wand malen, es bestand doch immerhin eine ernst zu nehmende Chance auf Erfolg.
ab nach Siem Reap
OT 05:45 Uhr
Km's nervtötendes Billig-Handy riss mich aus meinem schwitzigen Schlaf, bzw. dem, was davon übrig geblieben war. Es war irgend so ein beknackter Weckton aus den 80igern, wo man schon morgens das Gefühl hatte, jemand steckte einem den Finger in den Hals. Davon ließen wir uns aber nichts anmerken und starteten beschwingt und fröhlich in den neuen Tag. Km putzte sich gerade die Zähne, (eigentlich ein sinnloses Unterfangen, zeitverschwenderisch und ohne späteren Vorteil, wenn ich ihn mir erstmal vorgeknöpft gehabt haben würde), und ich packte meine Plünnen zusammen. Wir kackten, duschten und standen pünktlich wie die Deutschen am Treffpunkt, links um die Ecke. Mr. Tha brachte uns mit seinem Tuk Tuk zum Ablegeplatz des Speedbootes, welches für satte 35 $ nach Siem Reap zu bringen uns erkoren war.
Meine Schuhe habe ich übrigens im Guest-House gelassen. Die waren sowieso halb im Arsch und ich war mir langsam sicher, ich würde sie in diesem Land nicht brauchen.
OT 08:45 Uhr
Roat ist sogar zu blöd, Schuhe anzuziehen. Warum tue ich mir das eigentlich an? Ich bin doch hier im Urlaub und nicht in einem afghanischen Selbstkasteiungsseminar!
Das Speedboat macht richtig Mett. Wir waren eben auf dem Dach. Die Natur hat hier mehr Power, als ein Kubikmeter Ariel Ultra. Noch winkt Roat fröhlich den Fischern in ihren Booten zu, gleich wird er ihnen hilfeschreiend zuwinken. Dann werden sich die Fluten für immer über ihm schließen.

Der Bootslärm ist eine willkommene Abwechselung zu seinem ständigen unqualifizierten Geseier. Nach dieser Fahrt wird ein ewiges Bierdosenmeer auf diesem See treiben. Alles aquatische Leben wird dahin sein, da kein Sonnenstrahl mehr die Wasseroberfläche treffen wird. Mit der linken Hand dem ständigen Bierdurst Tribut zollend, schreibe ich hier diesen belanglosen Mist zusammen.
Das ist kein belangloser Mist, Köm, das ist der größte Stuss, den je ein Mensch zu Papier gebracht hat. Dagegen wirkt das Tagebuch einer abgestorbenen Koralle noch wie das Lebenswerk Schillers. Aber Recht hat er, der Quälgeist. Das Boot gibt derart Gummi, kaum dass man sich kurz umdreht, ist alles schon wieder woanders. Ich könnte stundenlang regungslos dasitzen und auf die Wasseroberfläche starren. Nur gut, dass ich genau das letztlich auch tun muss, denn die Fahrt geht laut Angabe meines unerträglichen Mit-Biervernichters gut und gerne viereinhalb Stunden. Die tropische Vegetation ballert an uns vorbei, die nackigen Kinder am Ufer winken zu uns herüber. Im Wasser dümpeln leere Farbdosen als Markierungsbojen für die Netze der Fischer und ein Dorf auf Stelzen reiht sich an das andere. Ich hatte mich schon gewundert, zu welchem Zweck man auf dem Psah Chrah, dem alten Markt in Phnom Penh rostige Farbdosen kaufen konnte. Jetzt geht mir ein Licht auf; habe ich doch tatsächlich was dazu gelernt, da muss ich glatt erstmal einen kleinen Schluck nehmen, da kann ich gar nicht anders.
Diese Fahrt gehört zweifelsohne zu den schönsten Naturerlebnissen, die mein bisher ahnungslos karges Dasein vorzuweisen hat. In mich gekehrt sitze ich neben Köm, der in dieser nahezu vollkommenen Schönheit völlig fehl am Platze wirkt. Er mit seinem umfassenden Paar-Tage-Bart. Ich lasse meine Blicke und Gedanken wandern. Vergessen der Monsterkrach des Bootmotors, verdrängt der sich langsam bemerkbar machende Hunger; an dieser Fahrt zu kritteln, lasse ich mich nicht herab.

Kurz abgelenkt wurde ich erst so gegen halb, als ich km kurzerhand über Bord warf. Er verfing sich überschwänglich in der Schiffsschraube, was auch sein Gutes hatte. So trieb er nicht ab und eine Unterbrechung der Überfahrt war nicht notwendig, nur um ihn wieder ins Boot zu holen. Schließlich wollten wir alle noch was vom Tag haben. Leicht mitgenommen streckte er sich auf dem Oberdeck aus und in der Hitze war er ruckzuck wieder trocken. Manch ein mitreisender Passagier war dankbar für diese willkommene Abwechselung. So sorgte KoEm noch für ein wenig mehr Heiterkeit an Bord. Am Ende war es doch gut, dass wir ihn mitgenommen hatten. Aber schon kurze Zeit später zog der Tonle Sap, der sich langsam zum See verbreiterte, uns alle wieder in seinen Bann. Die Stelzenhausdörfer waren bald nur noch von weit her auszumachen. Wie weitläufig sich das alles auch gab, wenn man nur lang genug auf irgendeinen Punkt starrte, bemerkte man früher oder später eine Bewegung im Inseldickicht, ein Boot zwischen Bäumen und Gebüschen, geschäftige Menschen, dabei gerade ein schwimmendes Dorf zu gründen, oder was auch immer. Irgend eine Zivilisation präsentierte sich immer, es war nur eine Frage der Zeit, schließlich wohnten diese Khmer auf dem Wasser. Irgendwann öffnete sich der See soweit, dass beide Ufer hinter dem Horizont verschwanden. Ich sah km an und hoffte auch an ihm irgendwas zivilisatorisches zu erkennen, aber ich biss auf Granit.
OT 11:24 Uhr, Sternzeit 1,24-23,5
Die Camshin San ist in den unendlichen Weiten des Tonle Sap Sees verschollen. Der Kapitän wurde von einem wütenden Touristenmob in 8 Teile zerknüllt und diese kurzerhand einzeln Kiel geholt. Dumm nur, wie sollte es auch anders sein, dass sich der dämliche Roat für den dämlichen Kapitän ausgegeben hat. Wie ein Fünfjähriger hat er im Führerhaus gebettelt, nur ein einziges Mal das Steuer selbst in die Hand nehmen zu dürfen. Nachdem der Blutrausch der Meute gestillt war, habe ich die ganzen Pauschaltouristen mal eben im See verklappt – man möge mir diese Umweltverschmutzung gnädigst verzeihen. Die Board-Khmer leben natürlich noch. Mal sehen, vielleicht können sie ja noch Bier vorbei bringen.
An jedem Tag einer solchen Reise muss eine Fülle von Eindrücken deinen Schädel weichkauen, bis er nur noch eine fraktale Ungleichung 2. Grades ist. Der nie versiegende Bierstrom erledigt dann den Rest. Muss ja erstmal ein paar Jahre halten.
Der Schiffsmotor sieht aus wie geleckt und schnurrt wie ein Kätzchen (nur um das 1000fache verstärkt).
11:29 Uhr
Ich habe einen Entschluss getroffen: ich werde Roat nicht mehr nach seinem verlotterten Lebensrest trachten. Ich werde mir einfach genüsslich ansehen, wie er sich zu Tode säuft. Das eine oder andere Bier werde ich ihm dabei natürlich zustecken, damit er möglichst noch vor dem Rückflug jämmerlich an seiner eigenen, kalten Kotze erstickt. Ich freue mich jetzt schon auf das Youtube-Video davon, wie ein Schneekönig auf die nächste Eiszeit.
Das Boot ballert und ballert, nur um uns Touristenabschaum in die größte Geldmaschine der Welt zu kajolen: ANGKOR WAT. Dort wird noch der letzte Zloty aus jeder Weißhaut herausdestilliert. Aber nicht mit mir, ich habe mir in jede Tasche einen kambodschanischen Igel gesteckt und diese dann mit billiger, gebrauchter Zahnseide zugenäht.
5 Siem Reap
OT 14:00 Uhr, grob geschätzt
Ich war eingenickt, als wir in den Hafen einliefen, was aber mehr ein Stück Deich mit einer hölzernen Planke war, welche einen alten Schuppen mit dem Boot verband. Köm ihm sein Name prangerte auf einem DIN A4 Ausdruck in Überlebensgröße: »Hello Welcome Mr. KOM«, es war praktisch unmöglich dem zu widerstehen.
Tee, (gesprochen Tie) trug meinem Rucksack zu seinem TukTuk und brachte uns nach Hause.
Guest House No.10; ein Fehler war das nicht. Zimmer gut, sauber, groß, TV, aber das untere Scharnier von der Klotür war im Eimer. Die Tür blieb eigentlich die ganze Zeit angelehnt, aber so dass sie nicht umkippte und das obere Scharnier auch noch mit in den Abgrund zog. Wenn einer richtig abschachtete, machte der andere am besten irgendwas lauter.
Natürlich sind wir erstmal los und natürlich haben wir was gegessen! In einer Bratküche (Stickfoodkitchen) unseres Vertrauens; am Rande der roten, staubigen Straße langten wir hin. Einige Häuser weiter genehmigte ich mir Kleinvogel im Brot, Köm aß zusätzlich Reis mit Maggi und dazu versalzenes Ei. Einen Versuch war es wert.
Der Ausklang des Abends war bezeichnenderweise in unserem Guest-House-Foyer. Khmer wie TukTuk-Tee standen uns Rede und Antwort und das eine um's andere Mal erzählten sie mehr von ihrer kambodschanischen Vergangenheit, als der Leser zuhause erfahren will. Nicht, dass ihm (dem Leser) noch die Salamiknifte runterfällt, das wollte ich nicht.
Ich hatte mich schon längst in dieses Land verglotzt, km versuchte sich indes von seinen Fesseln zu befreien. Unten im Keller. Ich musste ihn wohl irgendwie weggesperrt haben, wer wußte das schon noch so genau. Um die Sache beim Namen zu nennen; wir waren auf dem besten Wege Angkor Wat nachzubauen. Aus Bierdosen und einem Berg aus Flaschen. Ich ließ gerade einen Kran kommen, als Köm sich noch mit den Jungs vom kambodschanischen Tiefbauamt herumschlug. Es war doch so: die ganze Stadt benötigte ein neues Fundament seitdem wir unseren Plan zu verwirklichen drohten. Die Zementwirtschaft halb Asiens musste umdenken, seitdem km und ich unser E-Visum abgestempelt bekamen. Doch die Sache ging glimpflich aus; Heerscharen von Zementmischern aus ganz Indochina taten wie ihnen geheißen und stadtviertelgroße Batterien aus Kränen türmten wochenlang unermüdlich unsere Dosen und Flaschen zu einem Bauwerk, wofür eine Hundertschaft an Wissenschaftlern Jahrmillionen benötigen würde, um der Sache auf den Grund zu gehen.
Wir lernten Susanne kennen, die Tochter des Fassmachers aus Stuttgart, und noch einen Lee, der scharf auf sie war. Wir übten uns in der Kunst des Zählens auf Khmer, dabei ging es schon ans Eingemachte. Der Nachtwächter an der Rezeption musste los, einen neuen Block kaufen weil unsere Strichliste zu groß wurde. Die letzten Biere hatte er schon verzweifelt mit dem Daumennagel in das Holz der Theke geritzt. Seine Kugelschreiber waren auch schon alle sämtlich leer geschrieben.
Km und ich fielen übermüdet ins Bett, halb schwebten wir, halb sanken wir dahin. Der nächste Tag war längst besprochen, Angkor Wat stand auf unserem kulturellen Einkaufszettel, die größte je von Menschen erbaute Tempelanlage, verteilt auf einem 300 km² großen Landstrich: Dafür mussten wir eigentlich wieder früh hoch. Acht Uhr war anberaumt, und ich kann ja jetzt schon mal vorgreifen: es hat hingehauen, wie eigentlich alles in diesem Urlaub.
In Angkor konnte man wochenlang umherirren, ohne doch alles gesehen zu haben. Um nicht im unausweichlichen Menschenstrom vollends zu versacken, sind wir – wie sonst unüblich – am Eastgate eingetreten. Lee hat uns mit seinem TukTuk auf Wunsch dort hin gefahren und auch den ganzen Tag über betreut. Wie am Schnürchen: Tickets besorgen, Abladen, Treffpunkt, Zeit, Wiederaufnahme, herumkacheln. Vom Southgate dann zum Westgate, nee anders herum und dann über das Southgate auf der Stadtmauer entlang zum Northgate, oder war es doch das Southgate, nahe dem Westgate gegenüber dem Eastgate? Na ja, auf jeden Fall habe ich 400 Fotos gemacht, die kommen noch zu den 800 Milliarden bei Google Earth dazu. Da lässt sich auch 'ne Menge zu schreiben, aber mit sowas fängt man am besten gar nicht erst an. Das geht ja alles von der Zeit ab, und außerdem wollte ich noch km's Mückenstiche von gestern zählen. Allein damit würde ich die die nächsten zwei Stunden beschäftigt sein, jetzt mal ganz optimistisch geschätzt.
Am Ende, und das sei fix erwähnt, sind wir gute 15-20 km gelatscht, und haben uns 'ne Menge angeglotzt. Eigentlich peinlich für mich, dass ich noch wenige Wochen zuvor nicht mal wusste, dass Angkor Wat existiert. Jetzt mal ehrlich, waren alle meine Lehrer in der Schule zu dämlich uns Schülern wenigstens eine Stunde darüber zu berichten? Die sollte man echt in Arsch treten.
Klar, dass Horden von Kindern einem Souvenirs andrehen wollten, aber drei T-Shirts für 5 $, die auch noch ganz geil aussahen, da gibt's nix zu kritteln. Kriegt man bloß alles nicht mehr im Rucksack unter, also verzichten, nur ein Shirt tut's auch. Köm ist übrigens im Tempelgraben ersoffen. Nur mit Mühe gelang es mir ihn wieder ins Leben zurückzuholen. Ich habe ihn so lange getreten, bis er zu sich kam. Tut mir jetzt noch der Fuß weh von.
Angkor ist riesig. So groß, dass man Roat's zerquetschten Leib wohl nie wieder finden wird. Erst wollte ich ihn ja versteinern lassen und als Buddha-Statue irgendwohin schmeißen. Aber ich hatte keine Lust, viel zu anstrengend. Immer wenn er den Rucksack trug, habe ich ein paar Felsen reingepackt. Hat er gar nicht gemerkt. Er hat geschwitzt wie in der Sauna.
Besonders heftig fand ich die Stadtmauer von Angkor Thom: Kilometerweise Steinquader, umgeben von einem 50 Meter breiten Wassergraben. Das alleine muss schon 100 Jahre gedauert haben.
Das entspräche in etwa der Zeit, die Köm vor dem Tor zur Hölle verbringen muss, bis Satan sich dann endlich entschieden haben würde, in welches Quartier er ihn einlädt. Zur Wahl stehen: : a.) die Halle der Gebeine, wo KaEm als »Schubkarrenreifen-mit-dem-Mund-Aufpumper« bis in alle Ewigkeit tätig sein könnte, oder : b.) ein Zimmer, mehr eine Höhle unter der Pfütze auf der 93. Street, Lakeside in Phnom Penh. Der Witz ist, dass das Wasser nur abläuft, wenn er den Stöpsel in seiner Zimmerdecke zieht. Besonders dicht ist der Stöpsel ansonsten aber nicht, meist würde es auf km's Kopfkissen tropfen. Mal sehen wie die Sache ausgeht.
In diese Pfütze hatte ich seinerzeit immer km's Zahnbürste eingetaucht. Nur so zum Zeitvertreib.
Jetzt wo KaEm sich von seiner Wanderschaft durch Angkor erholte, auf dem Rücken liegend, das nie endende Hundegebell übertönte seine entsetzlichen Schlafgeräusche, kamen schwarze Schwaden aus seinem Mund. Ob es da einen Zusammenhang gab? Ich entschloss, dafür zu sorgen, dass er keine Zahnbürste mehr benötigen würde.
Aber er hatte Recht; der Wassergraben, welcher die Stadtmauer umgab, war echt der Hammer. Man könnte mehrmals den Maschsee dort hineinkippen und fand hinterher sogar noch Zeit für ein, zwei Dosen Klang. Das waren ja rosige Aussichten, da ließ sich bestimmt was machen.
Bei dem Ganzen soll aber nicht der Eindruck erweckt werden, wir würden hier nur Bier trinken. Nein, es gab auch Zeiten, wo das nicht der Fall war. Während des Zähneputzens zum Beispiel und kurz davor. Und die Unmengen an wohlschmeckendem kambodschanischen Wassers, die wir permanent in uns hineinschütten, verdienen, und das ist auch meine einhellige Meinung, einen ernst zu nehmenden Eintrag in diesem Buch.
Aber es gab auch ärgerliche Momente heute, das muss ich einfach auch zugeben. Ich hatte meine Bollos vergessen, KaEm pustete einen Luftballon auf, für die kleine drollige Khmer, die uns eigentlich so Kühlschrankmagnete von Angkor Wat verkaufen wollte und das sah nach einem Heidenspaß aus. Ein Bollo aus Germany hätte ihr sicher auch gefallen. Und es ärgerte mich auch, dass ich ihr nicht was abgekauft habe. Pfeif auf den Dollar. Uns war aber auch klar, dass, wenn man jeden Tag was kauft, man den Rucksack irgendwann nicht mehr hoch kriegt. Für heute hatte ich schon ein neues T-Shirt im Gepäck, km sogar zwei. Das durfte nicht aus dem Ruder laufen. Ärgerte mich noch was? Nö! Alles in allem ein sehr entspannter, monumentaler, ehrfürchtiger Tagesverstrich. Wir haben sogar zweimal gegessen. Erst Reis und dann Nudeln. Und ich habe mich sogar verbessert. Nur noch 80% meiner Nudeln gingen mir mit den Stäbchen durch die Lappen, das sah schon mal nach was aus.
Wir danken Lee für seine tadellose Verfügbarkeit, die 20$ Entgelt insgesamt hatte er sich redlich verdient. Weiterempfehlen den Mann! Der Eintritt kostete auch 20$, unser Essen und Trinken im ganzen gute 30$, sechs Dollar für T-Shirts. Und mit einem Dollar investierte ich nachhaltig in meine Zukunft. Vor Shiva legte ich ein Scheinchen auf die Untertasse und senkte unter Anleitung eines kleinen, alten Mönches voller Demut mein Haupt, und was er dabei sang, hörte sich insgesamt sehr, sehr freundlich an. Die drei Räucherstäbchen, die er mir mit seinem sonnengegerbten, zierlichen Händen in die meine drückte, sind jetzt schon lange abgefackelt und verschmelzen mit der Aura im Wat und mit ihm in einem, so glaube ich, weniger aussichtslosen Universum. Vielleicht wurde mir ja sogar schon eine Kostprobe der Macht Shivas zuteil? Als ich nämlich heute unter einer riesigen Palme durchgehen wollte, vernahm ich kurz vorher hoch oben in ihrer Blätterkrone ein außergewöhnlich lautes Rascheln. Der Wind sang in ihrem Blattwerk und ich blickte hoch. Die ganze Palme war stark am Schwanken, sicher so wie immer, und ich dachte »Wow, machste mal ein Foto von«. Ich hatte aber die Kamera noch auf Videomodus stehen, und als ich das bemerkte, war mir das irgendwie voll Wurst. Als ich so locker flockig ein paar Sekunden die schwankende Palme filme, bricht ein riesiges Blatt an seiner Wurzel und segelt hinunter. Wäre ich nicht stehen geblieben, um zu filmen, hätte das Blatt mich erschlagen. Ich fasste es kaum und hielt weiter drauf, nach weiteren 15 s kam plötzlich noch so ein gewundenes Knüppelwerk herunter. Bestimmt 6 kg schwer. Danach war Sense. So oft filme ich eigentlich keine Palmen, schon gar nicht solche Großen, aber wenn das kein komischer Zufall war... Ich denke, für eine kleine Buddhastatue war in meinem Rucksack noch Platz. Und wenn ich die ganzen Socken wegschmeißen musste. In Kambodscha trägt kein Arsch Socken. Sie laufen vielmehr auf Battambang-Schlappen durch die Gegend.
Apropos Battambang. Morgen würde es wieder weitergehen. Mit dem Bus, wenn es noch zwei Plätze für uns gab. 8:30 Uhr ab Siem Reap nach Battambang für 6,50 $. Sollte 4 Stunden dauern. Den Entschluss dazu fassten wir beim Khmer Curry in der Innenstadt nahe Psa Chah, dem Alten Markt. Danach noch ein Gezapftes, paar Häuser weiter auf dem Balkon einer Bar mit Blick auf die Straße, wo sich die Garküchen aufreihten, und die Kinder mäßig hartnäckig die Touristen drangsalierten. Und denne war eigentlich Feierabend. Wir waren so gesehen groggy und das würde ein harter Ritt nochmal morgen.
6 auf Schlappen nach Battambang
Freitag, Weckzeit 7:30 Uhr
Scheiß die Wand an, wir haben schon wieder alles richtig gemacht.
Pünktlich ausgecheckt, zur Busstation um Achte. Mit dem TukTuk für zwei Dollar, wie immer, den zweifelhaften Ausredeversuchen der Guest House Nr. 10 Crew zum Trotz, in die Innenstadt.
Natürlich erzählte einem jeder, dass der Bus kaputt sei, dass die Busstation noch zu hätte, der Bus führe nur freitags und heute wäre Samstag. Dabei war Freitag. Alles Lüge, aber von KaEm folgerichtig interpretiert. Sie wollten, dass wir blieben, als wüssten sie besser über unser Portemonnaie Bescheid, als wir selbst. Ich wäre ihnen glatt auf den Leim gegangen. Woher sollte ich wissen, ob heute Freitag oder Samstag war?
Um exakt 8:30 Uhr erschien der Bus linke Hand in Richtung Norden. Zwei Westmänner hatten bereits ihre Mountainbikes auf die letzte Bank geschmissen, aber sonst nur Khmer. Wir wurden selbstverständlich eingehend gemustert, als wir den Bus betraten. Aufrichtig belächelt wäre eigentlich treffender. So spektakulär waren Touristen nun auch wieder nicht. Wir kachelten gute fünf bis sechs Stunden nach Battambang, das letzte »a« dabei mehr wie ein »o« ausgesprochen, aber nicht ganz. Via Sisophon, einer schönen Stadt am Rande. Nach 2 Stunden eine Zigarettenpause und wer wollte, konnte in den Garten einer Bambushütte pinkeln. Ich musste nicht. Ich kann sowieso nicht wenn einer neben mir steht.
Nach weiteren 2 Stunden eine Rast an einer Garküche am nicht vorhandenen Bürgersteig der nicht asphaltierten Straße, kurz nachdem ein Sprenkelfahrzeug die Piste befeuchtet hatte. In den Töpfen garte allerlei Unerkennbares. Es war kein Fehlgriff; meins eher knochig, bei KoEm ein unbewiesener Hauch von Fisch. Aber so lecker! Stunden später, und das sei hier vorgreifend notiert, gab es nicht die geringste körperliche Nebenerscheinung deshalb. 6 Stunden durch Kambodscha fahren, aus dem Fenster glotzen und in der Hand nichts als eine große Flasche Wasser. Mehr braucht es nicht, um für einen Moment glücklich zu sein. Ich starrte die ganze Zeit und machte mehr Fotos, als irgendjemand sehen will. Ein paar Perlen waren dabei, daran kann ich mich noch erinnern. Früher war das alles Dschungel, heute nur noch ein jeweils 100 Meter breiter Streifen rechts und links der Fahrbahn. Dahinter meist endlose Reisfelder. Und die Leute, mit ihren Stelzenhäusern in diesem Streifen an der Straße. Unser Achtzigerjahre-Bus bretterte über die sich im Bau befindliche Straße. Der Dschungel wurde durch zügellosen Raubbau zerstört und diese Menschen lebten jetzt mit dem Ergebnis. Als Reisbauern, und sie trockneten ihre Ernte auf großen blauen und grünen Planen, dieselben die auch ihre Garküchen vor Wetter schützten. Diese Planen wurden mit dem Reis schön so in der Sonne ausgelegt. Am Straßenrand! War ja sonst kaum Platz auf ihrem Land. Stünde nämlich das nicht dauernd unter Wasser hätte ihr Haus auch keine Stelzen. Wo in Buddha's Namen könnten sie den Reis denn sonst auslegen, wenn nicht dort, wo die ganzen Mopeds, Laster und Busse langballerten? Nicht, dass unser Fahrer für eine Lage Reis in die Bremsen gegangen wäre. Nix da, sein Ziel stand fest, und es war auch das Unsrige: Battambang, die fruchtbarste Gegend Kambodschas.
7 Battambang
Am Ankunftsbushof war natürlich die Hölle los. »Sir, hello, where do you wanna go?«, nicht mal 'ne Zigarette lang lassen sie Ruhe. Wir sträubten uns und gingen ein Stück. Falsche Richtung, was sonst. Irgendwie genau die Straße, wo sie ihre Mopeds immer zur Reparatur hinbrachten. Eine Bude neben der anderen. Wir waren in der Falle, sie hatten uns: eine handvoll Bengels auf einer 125er Honda so, wie überall in Kambodscha, erwischte uns dabei, wie wir uns nach nur 50 Meter verlaufen hatten. »No problem, Sir, we bring you to the Hotel, It's very cheep, 5$ the room, trust me, I bring you for free.« We trusted, immerhin brauchte er eine Provision. Einen Augenblick später, aber immerhin gute 600 Meter kreuz und khmer entfernt stiegen wir von Ihrem Sozius ab, vor eben beworbenem Hotel. Aber diesmal mit Kühlschrank und - haltet euch fest: einem frischen Handtuch! Da brauchte ich ja bald überhaupt nicht mehr Auspacken. Die Sachen, die ich trug waren frisch, das ganze elektronische Zubehör in meinem Rucksack war belanglos, fast alles umsonst mitgeschleppt. Oder doch nicht? Wer weiß, war ja erst Freitagnachmittag.
Holzklasse
Duschen, abschachten, auf Rappen zum Hauptbahnhof, glotzen ob er fährt, der Zug unserer Träume.
Nö, der Zug fährt nicht mehr. Nie mehr. Die Schienen sind zu kaputt. Plopp! Kann man nichts machen. Gehen wir eben über den Markt. Lass uns Plan B später ausdenken.

In einer Dokumentation im ZDF, »In der Holzklasse durch Kambodscha«, zeigten sie einen maroden Holzzug, welcher übersät mit Menschen und Tieren tagelang im Schneckentempo durch das Reisland bis nach Phnom Penh klapperte. Wofür ein Bus knappe 4-5 Stunden bräuchte. Das Ganze für wenige Dollar, aber mit garantiert echtem Vollkontakt zur Bevölkerung. Dieser Zug hatte unsere Entscheidung Kambodscha als Reiseziel zu wählen maßgebend beeinflußt. Tja, hat nicht geklappt.
Bamboo Trains
Beim Essen auf dem Markt, in der Gasse der Garküchen stießen wir auf einen Khmer. Er hatte eine militärische Mütze auf und zählte ganz viel Geld. Er arbeitete auf dem Markt. Er war nett und antwortete immer ehrlich. Er fuhr uns sogar umsonst zu dritt zum Bahnhof, um uns als Einheimischer den Tod der Bahn zu bestätigen. Alternativ schiggerte er uns beiden Fettsäcke hinten drauf auf seiner Honda raus, in die Pampa, wo die Bamboo-Trains zuhause waren. Bei jedem Schlagloch schlugen die Stoßdämpfer durch. Ich vermutete mal, dass das der Grund war, warum sie Schlaglocher hießen. Es ging ziemlich weit raus aus der Stadt.
Wir riskierten eine Fahrt mit dem Bamboo-Train, in die Richtung der Reisfelder. Das war so krass, das gab es nur hier, in Kambodscha. Am besten schaut Ihr euch mal diese Videos an, dann wisst ihr wovon ich spreche. Sucht nach Bamboo Train!
Immer wenn uns auf den Gleisen ein anderes Fahrzeug entgegenkam, und das ist uns einige Male passiert, bauten die beiden Zugführer unseren Bamboo-Train mal eben ab und wir ließen die anderen durch. Das Regelwerk schrieb vor: wer am meisten geladen hatte, durfte auf den Schienen bleiben. Daraus resultierte; nur Menschen = absteigen. Das Ziel war eine Brücke über einem kleinen See weit draußen, mit herrlichem Blick auf die Reisfelder. Dort herrschte sogar ein kleines Getummel. Es hatte sich offenbar unter Touristen schon herungesprochen. Wir schossen ein paar Fotos und genossen die Aussicht. Auf dem Rückweg haben wir noch ein paar Khmer mitgenommen, sechs Leute mit ihren Sachen. Die Schienen waren wirklich kaputt, wir wurden mächtig durchgeschüttelt.

Unser Kumpel, der uns hierher gebracht hatte, wartete noch immer auf uns, um uns wieder zurückzubringen. Und er lud uns noch heute zu sich nach hause ein. Wir lehnten dankend ab. Offen gesagt, wollten wir nach der Strapaze nur abhängen, im Einklang mit Kambodscha.
Plan B?
Am Markt schmiss er uns wieder runter von seiner Honda und wir sammelten noch eine Mütze voll Eindrücke.
Bei der Inspektion einer Schüssel Pansen tippte mir eine Deutsche auf die Schulter. Ob ich wüsste, wo man hier international telefonieren könne, aber auf Englisch. »Nö«, sagte ich, ich hatte längst bemerkt, dass sie 'ne Deutsche ist. Köm war auch nicht schlauer, aber er bot ihr an, mal mit seinem Handy in Bangkok anzurufen. Der Flughafen sei lahmgelegt. Warum nicht. War doch nur ein Steinwurf, wenn man sich die Sache mal auf einer Weltkarte ansah.
Vergeblich, sie kam nicht durch, auch nicht per Internet oder sonst wie. Aber sie machte uns den Mund wässrig. Nein, nicht so wie du denkst, lieber Leser, sie meinte, wir sollten kurz mal eben nach Thailand fahren, um einen ganz berühmten schönen Strand abzuklappern (km: sie meinte Koh Chang). War das Plan B? Wir aßen noch eine Suppe zusammen, dann machte sie sich auf die Socken. Sie war schon sechs Wochen unterwegs und auf dem Pfad einer zwölfmonatigen Weltreise. Wegen der Unruhen in Thailand haben wir uns natürlich nicht für Thailand entschieden. Schließlich hatten wir auch gerade erst trainiert, was Danke auf Khmer heißt. »Ogun«, und zwar so, dass nicht gleich alle lachen, wenn man es falsch ausspricht. Aber ob sie lachen, was sie eigentlich immer tun, oder nicht; freuen tun sie sich sowieso immer, wenn man sich ein bisschen verneigt und Ogun sagt. Wir, die Barang, womit eigentlich mehr die Franzosen von gestern gemeint sind, wie aber alle westlichen Touris heute noch genannt werden. KaEm, der Barang und Roat, der Barang, die Restalkoholiker vom Battambangsaufen; Spacken Nr. 1 und sein Blödmannsgehilfe. Die, die wir mittlerweile auf Khmer zählen können, so dass 1000 Riel (Mui Puan) von 3000 Riel (Bey Puan) zu unterscheiden sind. Die, die wir sogar schon Dialekte bei Zahlen von einer Stadt zur anderen zu unterscheiden glauben. Bey Puan und Bai Puan. Ja, genau wir beide erheben unsere Dose, und entschlummern in einen neuen Tag. Ein Tag, für den Plan B noch nicht geschmiedet wurde. Wo man unter Umständen pennen kann, bis einen der Hunger weckt. Den Mönchsgesang, den lob ich mir, das ist genau mein Klang.
Samstag, 8:53 Uhr
Dass mich der Hunger weckte, konnte ich gerade nicht behaupten. Ich würde sagen, es war die Glotze aus dem Nachbarzimmer. Khmer Musik voll aufgerissen. Das hatte aber auch seine Vorzüge. Da fiel der Hausabriss gegenüber gleich nicht mehr so ins Gewicht. Den veranstalteten sie offenbar von Hand. Auf jeden Fall klopften da 100 Hämmer auf 100 Meißel, (Mui Roy) und einer der fleißigen Burschen schwor sogar auf Druckluft und gab alles. Und wo ich dann schon mal wach war, hatte ich auch schon gleich wieder Hunger. Da war ich maschinell veranlagt. So ein Kilo Reis, das hielt bei mir nicht lange an. Das wurde in meinen Eingeweiden in Bruchteilen pulverisiert und gebräunt, es war eine wahre Freude das mitzuerleben. Natürlich nicht für KoEm, wenn er nach mir auf den Schacht musste.
9:30 Uhr
Vom Bamboo Train retour, an so einem Kreisel, mit einer großen Figur in der Mitte, mussten wir noch den lokalen Tierbefreiungsaktivisten mit 'nem Dollar unter die Arme greifen. Dafür gab es zwei Vögel: einen, der mich zweimal biss und einen, der Robert keinmal biss. Vielleicht war ich doch zu grob zu ihm. Zu dem Vogel. Vielleicht war ich nicht ausgelastet, seitdem ich Roat nicht mehr so offensichtlich nach dem Leben trachtete. Dauerndes Zuprosten baut scheinbar keine Aggressionen ab. Die Vögel sollten irgend so einen Wunsch hinausflattern. Wahrscheinlich flogen sie gleich wieder in die Hände der Häscher, des als gottgleich verehrten Stadthalters/Gouverneurs von anno Knipps: Mitten in einem quirligen Kreisverkhmer erhebt sich seine dunkle Statue, die trotz Schnodderbalken wie ein Buddha aussieht. Sein Name ist Da Tambong – wenn sich das man nicht schwer nach »Battambang« anhört! Es bedeutet nichts anderes als »Oppa mit dem Stab«.
Davor verstümmelte Personen, die sich hier offenbar ein Quäntchen Seelenheil ergattern wollen.
Letzte Station war gestern noch ein Lokal, das »erst« in 2-3 Tagen aufmachen sollte. Bei gefühlten fünf Bieren genossen wir dieses unvergleichliche Ambiente eines noch nie aufgeräumten Kinderzimmers. Keine Ahnung wie dort in ein paar Tagen Struktur einkehren sollte.
Der Harndrang trieb mich dazu, einen großen Fehler zu begehen. Das Klo dieses angehenden Etablissements in der zweieinhalbten Straße sah aus! Der ganze Boden vollgestellt mit unerledigtem Abwasch. Teller mit Fischresten drauf, Töpfe mit was-weiß-ich-Suppe türmten sich auf dem speckigen Fußboden. Wie durch den fettigen Küchendunst herangeweht, erhob sich das Geschirr fast bis zum Rand der Ferguson. Nach verrichteten Dingen wollte ich die Klospülung durchführen. Dazu lag ein Schlauch am Boden. Als ich das Wasser aufdrehte und den Schlauch mit spitzen Fingern vom Boden losriss, löste sich das andere Ende vom Rohr und das Wasser ergoss sich munter plätschernd auf den ganzen Kladderradatsch. »Schnell den Hahn zu und mit den Händen über dem Kopf raus hier«, dachte ich laut schreiend in mein Sisophon hinein, als der 1200l Wasserbehälter ins Schwanken geriet, um nur Millionstel von Augenblicken später seinen Inhalt über mich und das gute BASF-Porzellan zu entleeren. In einer Flutwelle aus Essensresten wurde ich also wieder ans Tageslicht (23:00 Uhr) gespült und erhob mich aus einem gelungenen Polterabend.
Phnom Sampou
Sonntag, 20:00 Uhr
Wir sind erstmal schön mit gemietetem Moped zum Phnom Sampou gefahren. Die Straße dahin war die übliche Katastrophe. Staub, Staub, Staub und Schlaglöcher so groß wie norddeutsche Mastschweine. Meine Augen sind natürlich übergelaufen vom Staub und der Reaktion darauf. Die Cambodian Dustmakers fahren von morgens bis abends durch die Pampa, um den Staub in den letzten Winkel der Nation zu transportieren.
Am Phnom Sampou haben wir uns einen Guide genommen, der uns alles gezeigt hat. Zuerst die Killing Caves mit liegendem Buddha und ausgestellten Menschenknochen. Die Roten Khmer hatten wirklich Lust auf Grausamkeit. Sie haben den Leuten das Genick gebrochen und sie in die Höhle runtergeworfen. Manche sollen wohl noch gelebt haben und sind dann zwischen den ganzen Toten verhungert. Mönche, Lehrer, Intellektuelle waren ihrer Opfer.
Statt der 700 Treppenstufen erklommen wir den Phnom Sampou über eine kleine Zufahrtsstraße die sich um den Berg schraubte. Nur so bekam man letztlich alles zu sehen. Ein paar kleine Scheine landeten in den Schalen der Mönche und Bettler. Oben dann noch ein Gebet von Kojak und Jimi Hendrix, eins für den Abstieg und offensichtlich zwei für den Heimweg auf der Schotterpiste. Der Stoßdämpfer schlug 18 mal durch, und leichte Zündaussetzer machten von sich Hören. An einer Kreuzung im Leerlauf ging das Moped gerne aus. Vorzugsweise am Markt Psah Nat und im Gewusel am Rande eines Hiphop-Konzerts stadtauswärts. Dazu kam, dass der Anlasser-Fußhebel nicht mehr so mitspielte, wie das vor Stunden noch der Fall war. Er war inzwischen verbogen und irgendwie hatte ich Schiss, mir in Sandalen die Füße am Auspuff zu verbrennen. Gesund und munter konnten wir dennoch unsere Maschine wieder vor die Vermietung lenken. Von der Staubmaske (Marke OP) hatten wir braune Ränder unter den Augen und die Klamotten waren unbrauchbar geworden. Herri, das war echt ein Ritt. Insgesamt gute 30-40 km. Der Tacho und die Blinker gingen übrigens auch nicht. Die Khmer fuhren echt wie die Irren. Allein die Anzahl von Mopeds, meist 125er Hondas, ließ gar nichts anderes zu. Wenn eine Ampel tatsächlich ernst genommen würde, wäre die Straße mit Rot innerhalb von Sekunden verstopft mit klappernden, stinkenden Rappelkisten. Ich glaube das braucht hier keiner. Die machen das schon.
Zu guter Letzt gab's nochmal gut was zwischen die Zähne. Wurde auch Zeit. Die Mahlzeiten heute waren für mich ungeeignet. Während der Geschmack von Zitronengras KaEm durchaus zusagte, verging mir davon der Appetit. Allein der Aufstoß davon erzeugte Unbehagen. Vielleicht hatte ich ja endlich mal was abgenommen. Zu sehen war jedenfalls nichts.
Glücklich und zufrieden fielen wir um 0:00 Uhr in die Falle. Ich verbrachte den Rest des Tages damit, KaEm im Krankenhaus zu besuchen. Ich half auch die Formulare auszufüllen. Außerdem machte ich die Schwester darauf aufmerksam, dass das Beatmungsgerät an seinen Füßen angeschlossen war. Der Kerl war kaum wiederzuerkennen. Seine eigene Mutter verwechselte ihn mit meinem Mettbrötchen, als sie das Zimmer betrat, vereinzelte Knochensplitter hielt sie für die Zwiebeln. Wie das passieren konnte? Ich hatte ihn mit Kabelbindern an den Deckenventilator geknüpft, damit dieser nicht mehr so fürchterlich schnell drehte. Das war ja kaum zum Aushalten. Als ich nach getaner Arbeit den Ventilator auf 3 stellte und mich zur Ruhe legte, muss irgendwas vorgefallen sein. Nachbarn, vom Krach ganz bleich, hatten die Feuerwehr alarmiert. Ich hatte nichts gehört, oder seine Schreie waren mir einfach schon zu vertraut. Ich hoffte, dass er bis morgen früh wieder fit sein würde, immerhin rappelte sein Handy um 5:50 Uhr, weil wir zum Bus mussten.
8 auf auf, zum Khmer
Montag, 30.11.08, 6:00 Uhr
Kacken, Packen, auf zum Bus. Nach'n Strand hin. Auf die Minute genau hielt der Bus vor der Station, das war alles ein ziemliches Gewusel. Irgendwie hat das immer alles voll geklappt, denen macht hier keiner was vor. Die Strecke, diesmal mit größtenteils fertig geteerter Straße. Rechts und links aus dem Fenster das gleiche wie überall sonst auch. Stelzenhäuser, Reisfelder, Palmen. Jetzt neu: Wasserbüffel und Berge am Horizont. Mehr große Hügel, keine Ahnung wie hoch.
Viele Fotos habe ich nicht geschossen, nur ein paar auf gut Glück. Leider lag immer dauernd soviel Müll am Straßenrand und vor den Baracken. Wie sollte ich das erklären?
Aber ich war nicht hier um das zu Ändern. Mein Auftrag sah anders aus: Reis am Strand, die Füße im Wasser – so in etwa lautete er.
Serendipity Beach
Gegen 18:00 Uhr wurde es dunkel und wir waren immer noch nicht da. Den ganzen Tag im Bus verbracht. Später war es dann eben doch so weit. Geht doch nichts über eine voranschreitende Zeitachse. Der TukTuk-Fahrer schmiss uns bei den Bungalows raus. Nobel, teuer, geil, aber voll. Wir haben ein bisschen rumgesucht und dann für 20 $ eingecheckt. Mit Klimaanlage. Aber kein Meerblick. Sollte erstmal gut sein für eine Nacht. Der Strand war in westlicher Hand, jede Menge Krach und lauter Barangs. Hat aber trotzdem Bock gemacht. Etwas abseits genehmigten wir uns einige Gläser und luden das Personal, zwei Khmer-Bengels um die 20 zum Drink ein. Die waren echt baff. Ganz am Ende kam ich sogar noch in den Genuss die Bluesharp zu spielen. Auf einer Bühne aus Sand durfte ich eine Gitarre begleiten. Ach so, zwischendurch waren wir ja noch in der »Innenstadt«, zumindest da wo auch die großen Hotels stehen, um Geld aus dem Automaten zu ziehen. Köm latschte prompt in einen Puff. Das konnte man von außen gar nicht erkennen. Fassungslos starrten die vielleicht 25 jungen Khmer-Mädels auf den bärtigen Holzfäller, einige waren schon bereit zum Sprung. »Alter, Köm, Alter, das ist hier'n Stundenhotel«, machte ich ihn aufmerksam. Handbremse, 180°. Gleich nebenan war so 'ne Bar. Der Besitzer, so stellte sich heraus, hieß Rainer und kam aus Stuttgart. Das hat dann erstmal gedauert. Er hatte gute Tipps auf Lager, vielleicht hat er uns sogar das Leben gerettet, indem er uns davon abriet die dunkle Seite des Strandes auf eigene Faust zu erkunden. Halunken sollten sich dort herumtreiben. Wir ließen davon ab.
zum Otres Beach
Montag, 1.12.2008
Am nächsten Tag, unsere Zimmernachbarn wurden kurzerhand ausgeraubt, machten wir uns wieder auf die Socken. Wir wollten mehr - oder weniger, wie man's nimmt. Ne spärliche Hütte irgendwo am Wasser.
Wieder mit dem TukTuk, diesmal kam sogar dazu, dass ein Teil der Straße völlig unbrauchbar war. So gesehen ist der Fahrer solange durch die immensen Schlaglöcher gebrettert, bis er ein Strandgästehaus in der Preiskategorie erreichte, welche wir ihm während der Fahrt auf Anfrage zuriefen.
Wir nahmen natürlich die Erstbeste.
Dort hielt er an. Nicht unglücklich darüber, war doch sein selbstgebastelter Kühlschlauch während der Fahrt aus der Halterung gesprungen. Wir stiegen aus, bezahlten ihn, nahmen lieber das Zimmer mit Meerblick und fühlten uns gleich total wohl. Ich war angekommen. Ganz. Den Rest schreibe ich später, denn die nette Khmer steht schon die ganze Zeit neben mir. Wir hatten einen Termin vereinbart. 1 hour, 6$. Massage am Strand mit anschließender Pedi- und Maniküre. Das sollte mir jetzt mal einer nachmachen.
neugeboren
1,5 Stunden später:
Wie neu geboren. Komplett durchgeknetet. Ich lasse mich umspülen von der warmen, glasklaren Südsee und kann, wenn ich stehe, im Wasser meine Füße sehen. Den Rechten hat sie mir viel zu kurz geschnitten, ich mag es ja eigentlich länger. Auf den anderen Fuß habe ich dann verzichtet.
Nachdem die ganzen wegelagernden Mädchen und Jungen all ihren Kram an uns vertickt haben, ließen sie von uns ab und zogen ihrer Wege. Das spricht sich rum, wenn neue Barang in der Gegend sind und sie lassen auch nicht locker. Wenn alle so freigiebig sind wie ich, können sie prima davon leben. Und das im Paradies. Zu meinen Füßen liegt ein Hund, ein Hahn führt seine Hennenschar zwischen unseren Tischen spazieren. Alle paar Minuten brüllt er los. Köm geht irgendwo am Strand spazieren, in Badehose versteht sich, während ich nachbestelle. Als ich ihn dann später schwimmen sehe, vermeide ich es tunlichst, ihn darauf hinzuweisen, dass sich ihm ein Hai nähert. Ich finde nicht die Kraft, laut zu rufen, so entspannt bin ich. Ich glaube, ich habe ihn nie wieder gesehen.
Aber glauben hieß nicht wissen. Ich schlug die Hände über dem Kopf zusammen als er plötzlich doch wieder in der Hängematte schaukelte und auf die aalglatte See starrte. Er hatte schon wieder diesen Khmer-Blick und seine Blessuren gingen langsam zurück.
Ich hatte die Wahl; ging ich noch mal eben ins Wasser, oder wartete ich vorher das Essen ab. Ich entschied mich für die Hängematte. Die 3m von unserem Zimmer bis zum Sand schienen mir zu weit. Ich könnte ja eben noch schnell beschreiben, wie das Meer rauschte oder wie grün die Inseln waren, deren Namen ich sicher auch noch rausbekam, dort draußen auf halblinks. So langsam bekam ich Farbe. Hach, war das ein Leben. Jetzt musste ich nur noch KoEm loswerden, denn er bombardierte mich schon wieder mit Fragen. Erst austrinken oder gleich bestellen? Ich stimmte zu, den Blick aufs Meer gerichtet.
Die Küche war vorzüglich, jedenfalls das Essen. Irgendwann war etwas Fisch übrig geblieben. Damit rieb ich Köm's Schnorchel ein. Die Chilipaste sparte ich mir auf. Durch sie ersetzte ich später die Flüssigkeit für seine Kontaktlinsen. Der würde Augen machen, das kann ich dir sagen.
Den Sonnenuntergang zu beschreiben, kann ich mir glaub' ich sparen. Ich habe 50 Fotos von ihm gemacht. Wir hatten, hier am Otres Beach, extra darauf geachtet, dass das Meer am Wasser liegt und nach Westen zeigt. Wenn schon, denn schon. Als die Dunkelheit einkehrte, ließ unser Vermieter den Generator an. Ich dachte schon, wir hätten nicht nur keine Spülung sondern auch keinen Strom. Dem war aber nicht so. So konnte Köm seinen Föhn doch noch benutzen, da war er ja pingelig.
Was soll ich dazu noch sagen, außer: »stimmt ja gar nicht!«?
Wir liegen hier am Felsenriff. Das Wetter ist total mies und das Essen liegt bei 30° im Schatten. Aaaah! Da kommt ja endlich die Polizei, die ich angerufen habe. Die stecken Roat, den alten Khmer, erstmal ein paar Jahre ins Loch.
Brauner Reis
19:30 Uhr?
Ich sitze jetzt hier und mache erstmal eine Schüssel braunen Reis. Roat hat angerufen, aus dem Knast. Wie dämlich muss man sein, sein einziges Telefonat an mich zu verschwenden? Er jammerte irgendwas von erbärmlichen Zuständen, Krankheiten, Ketten und sadistischen Wärtern. Ich hab ihn einfach weggedrückt. Ich lass mir doch nicht den Urlaub von sowas verderben. Ober! Bring's noch a Maß! Endlich hab ich Ruhe. Lebenslänglich hat er gekriegt. Kein Wunder, ich hab ihm ja auch erstmal ein Kilo Kokain in die Mütze eingenäht. Jetzt schmeckt bestimmt auch das japanische Bier.
Dass der Strom hier aus dem Generator kommt, muss ich ja wohl nicht extra erwähnen. »Waschbecken« ist hier ein Fremdwort. Dazu dient ein Loch im Boden, in das auch das Duschwasser abläuft. Darüber ein Hahn und gut. Es kann alles so einfach sein, wenn man auf Fliesen und so einen Tinneff verzichten kann. Wände aus verflochtenen Palmblättern, Dächer auch. Paar Bambusstangen, fertig ist die Laube.
Da wo wir jetzt sind, im Südwesten von Kambodscha, leben die Khmer-Bayern. Wie die das Ogun aussprechen, also echt. Da reist man durch das halbe Land und jeder erzählt dir was anderes.
Kann ja wohl nicht angehen. Aber wie nett die Vermieter sind, glaubt mir auch keiner. Kurz drei Beispiele für den zweiten Stern unserer Behausung:
kein Kleingeld? Sie greift in die Kasse, beziehungsweise das Portmonnaie ihres Mannes und leiht mir 10 $.
SIM Karte leer? Er ruft seinen Kumpel in der Stadt an und der gibt mal eben 'ne Nummer durch, mit der KaEm aufladen kann.
Zichten alle? Sie schickt ihre Bengels mit dem Moped los, welche holen. Dabei sind die erst 10 oder 11.
Vielleicht hatten sie ja sogar eine Schaufel für mich, damit ich Köm damit eins überziehen konnte.
So saßen wir als die einzigen Gäste einer liebevoll erbauten Bambusvilla in Ruhe und hofften ein bisschen, dass der Generator zum dritten Mal für, sagen wir, 10 Minuten ausfällt, damit man die uns noch unbekannten Sterne besser sehen konnte. Da sich unser Vermieter aber vor einer Woche den Arm gebrochen hatte, welcher nur notdürftig mit Lappen geschient wurde, wünschte ich mir natürlich dass der Moppel durchhielt. Das Rumgefummel im Dunkeln war für ihn sicher eine Qual. Apropos Qual: er hatte sogar zwei Schaufeln. Ich nahm dann die Große.
21:40 Uhr
Wenn zwei Barangs stündlich je zwei Bier trinken, reicht das aus, um den Generator wirtschaftlich laufen zu lassen. Die ganze Beleuchtung ist nur für uns. Und vielleicht lockt es ja auch noch wen an, sich hier verköstigen zu lassen. Gute fünf Leuchtstoffröhren und vier Energiesparlampen werden im Endeffekt mit 1,3l Bier pro Stunde betrieben. Und natürlich muss die Familie noch davon leben.
Auf der Kühltruhe – die ohne Strom, sondern mit Eisblöcken läuft – liegt ein Zettel, auf dem wir unsere Bierstriche jetzt selber machen. Die Famulle pennt schon. Wir legen lieber noch einen zweiten Kuli bereit, der andere wird nicht mehr lange halten, bei diesem unseren Öffnungsverhalten.
Während der Sand an meinen Füßen trocknete, machte Köm noch zwei Striche. Er bat um eine Petroleumlampe und trat dabei barfuß in Hundescheiße. Beim Abwaschen der Kacke im Wasser holte er sich eine nasse Hose. Der Abend entwickelte sich nach meinem Geschmack.
Der Sternenhimmel war ein Knaller. Alles voll. Orionnebel lag schon auf der Seite, wir konnten noch. Der Weg von meinem halb zerrissenen Liegestuhl bis zur orangenen Kühlbox zeigte schon erste Anzeichen von Furchenbildung. Wenn das so weiter ging, fiel morgen jemand in einen Abgrund auf dessen Grund glühende Lava loderte. So musste die Hölle aussehen. Ein Weg zur Kühlbox aus glühender Lava.
0:38 Uhr
Überall in der Welt gibt es Lügner und Betrüger. Sogar unter Hühnern. Aber das interessiert uns gerade sowas von gar nicht! Warum kam mir das gerade jetzt in den Parolenspeicher? Keine Ahnung.
Gerade hat sich noch jemand hierher verirrt. Er ist ein Khmer von 34 Jahren und heißt Amy. Er ist superknatter und will noch einen losmachen. Aber so, wie er gerade in der Hängematte hängt, ist er nicht der große Partyhengst. Er kann schon nicht mehr auf die einfachsten Sätze reagieren. Sein Bierschluckauf kommt gesund und regelmäßig. Ein Mann nach unserem Geschmack. Ein Mann mit Gesicht.
0:58 Uhr
Amy sagt zwei Ausdrücke für Prost auf Khmer:
So genau konnte man das irgendwie nicht heraushören. Auch nicht, nachdem er es mindestens 20 Mal gesagt hat.
1:59 Uhr
Nicht ohne Stolz muss ich berichten, dass wir – Roat und Köm – die letzten sind an diesem Strand. Keine (in Buchstaben: KEINE) Bar hat noch auf! We are the last resort!! Überall ist Nacht, nur hier scheint die Energiesparlampe. Auf diesen 3 km sind nur noch drei Leute wach: Amy, Roat, Köm. Und hier sind mindestens 50 Bars. Der Securityvogel von nebenan konnte mir keine Zichten verkloppen. Nebenan ist noch eine letzte Bar, die noch Licht hat. Aber nur, weil der Schutzmann im Dunkeln Angst kriegt in seiner Hängematte, und sonst nicht pennen kann.
2:15 Uhr
Berichtigung einer Fehlannahme: nachdem wir Angkor nachgesoffen haben, schmeckt ein Beer Lao nicht wie ein Angkor Bier. Wir nahmen fälschlicherweise an, dass hier jedes Bier gleich schmeckt, außer das japanische. Ich beuge mein geschundenes Haupt vor kambodschanischer Bierbraukunst!
2:29 Uhr
Roat hat Pipas aufgetischt und Amy frisst die Teile, als wenn er die schon immer kennt. Gibt es hier Sonnenblumen?
2:51 Uhr
Ich mache es wie die Khmer, aber eben ist doch schon wieder der große Onkel nass geworden. Dann kommt wohl doch wieder Sand ins Bett. Wer nie Brot im Bette aß, ...
Dienstag, 2.12.2008, 9:00 Uhr
Ich schlug die Augen auf und prüfte km's Geisteszustand. Da war nicht mehr viel zu machen, also streifte ich mir die Badehose über und ging die 5 Meter bis zum Wasser zu Fuß. Glasklar und spiegelglatt, die kräftige Sonne spielte mit den harmlosen Wellen. Erstmal 'nen Kaffee, die Kühlbox würde noch 'ne Weile brauchen, bis sie auf Temperatur war. Die Strandbar, unser Zuhause, füllte sich langsam mit Gästen, das gute Essen hatte sich offensichtlich herumgesprochen. Amy, unser Kumpel von gestern Abend, torkelte schon wieder mit 'ner Dose Angkor zwischen den Stühlen herum, ich fürchtete schon den würden wir nicht mehr los. Um Ruhe vor ihm zu haben, setzte ich mir die Taucherbrille auf und tat im Wasser beschäftigt. Es funktionierte. Viel zu sehen gab es unter Wasser allerdings nicht, 'ne Menge kleiner Fische, paar Krebse und Muscheln im ansonsten tadellosen Sand. Aber hier ging es mehr ums Prinzip. Ein Taucher, der nicht taucht, taugt nix, wem sage ich das, und das ließ ich nicht auf mir sitzen. Köm nervte indes mit ständigem Umgeblätter in seinem Roman die Gäste. Sie suchten Entspannung und er lag rum und las ein Buch! Das sorgte natürlich für Empörung. Die Bestrafung Köms für diese bodenlose Dreistigkeit überließen sie Gott sei Dank mir. Zwischen Kaffee und Zigarette holte ich ein neues Magazin und lud nach. Ich hoffte, der Fall wäre für heute erledigt, aber ich hatte mich zu früh gefreut. Wie durch ein Wunder überlebte er seine Bestrafung und blieb dem Guest House als zahlender Gast erhalten. Anscheinend musste ich größere Geschütze auffahren. Wo hatte ich denn nur die Nummer von diesem Flugzeugträgerkommandanten? Hätte ich bloß meine Klamotten besser zusammengehalten. In dem Chaos, das wir bis jetzt in jedem Hotelzimmer angerichtet haben, fand man ja nichts wieder.
11:30 Uhr
So, jetzt habe ich mir auch so 'ne Massage andrehen lassen. Aber eine Gnadenfrist von einer halben Stunde bleibt mir noch. Die werde ich schwitzen lassen. Ich werde jeden Muskel anspannen, hart wie Granit. Da soll sie sich erstmal durchquälen. Hä-hä-hä!
Gestern habe ich immer abgelehnt und »no, maybe tomorrow« gesagt. Heute habe ich »Okay« gesagt. Da kommt doch glatt 'ne andere an und tut beleidigt. Warum ich jetzt bei 'ner anderen zugesagt hätte? Was weiß ich denn, wen ich gestern alles abgelehnt habe. Man erwischt sich ja schon oft genug selbst dabei, dass man »no« sagt, ohne seinem jeweiligen Gegenüber auch nur einmal in die Augen gesehen zu haben. Das ist unhöflich, jedenfalls nach meinem Ermessen. Das hört sich jetzt vielleicht so an, als würde man hier ständig belagert von den Barangfängern. Nein, alle halbe Stunde vielleicht kommt mal jemand rum und fragt kurz und meist auch ohne jede Hartnäckigkeit. Aber wenn man erstmal »yes« gesagt hat, ist man plötzlich umringt von diesen freundlichen Gesichtern.
Ich habe erstmal Schwarzpulver in das für Roat bestimmte Massageöl gekippt. Und zerschnippelte, gesalzene Rasierklingen. Das wird ein prickelndes, einschneidendes Erlebnis für ihn.
13:20 Uhr
Die Massage war ganz ok. Nicht bemerkenswert, aber die Entspannung war super. Man merkt, dass die große Abrissbirne, genannt Zeit, auch an diesen Frauen nicht vorbeigeht. Das Massage-Business scheint fest in der Hand der Enddreißigjährigen zu sein. Narben im Gesicht und an den Händen, rote Äderchen auf den Wangen, breite Hüften und dicke Oberschenkel. Sicherlich auch schon ein Ansatz von Bingo-Wings. Das soll aber nicht heißen, sie wären hässlich, sondern auch nur Menschen, die mit der Zeit dem körperlichen Verfall ins Gesicht blicken müssen.
Die, die mich massiert hat, ist 39 (samsab bram buun). Sie hat also das ganze Elende mit Krieg und Bürgerkrieg miterlebt. Sie war sechs, als die Roten Khmer ihre Blutgier und ihre Lust auf Unterjochung über dieses schöne Land stülpten. Wie soll man sowas je vergessen? Auch hier heilt die Zeit jede Wunde, aber Narben bleiben immer zurück. Man konnte es wirklich in ihrem Gesicht ablesen. Eine tiefe Traurigkeit ging von ihr aus, wenn sie sich auf ihre Arbeit konzentrierte.
Aber es gibt auch noch heiteres zu berichten: Roat ist in seinem eigenen Blut ertrunken. Sein Körper sieht aus, als hätte man ihn stundenlang beim Bamboo-Train-fahren kielgeholt, und dann angezündet.
Aber ich brannte nicht. Ich war zu nass von innen. Schon nach der zweiten Dose ging's mir wieder gut. Ich holte zum ersten Mal in diesem Urlaub mein Leatherman Supertool aus dem viel zu großen Rucksack und entfernte 2, 3 Rasierklingen ohne großes Gerede aus meiner Haut. Bei der vierten brannte es ein bisschen, viel schlimmer waren die letzten, die abgebrochenen. Da musste ich dann doch die Zähne etwas fester zusammen beißen.
Das Meer sah schon wieder aus, als hätte Buddha die Wasserwaage rausgeholt. KaEm ist in seinem Liegestuhl eingeschlafen. Es gelang mir sein Handy aus seinem grauen East-Pack HipBag zu angeln. Ich musste mal telefonieren; ein Gong musste her. »Beim Gong-Versand bestellt, in 10 min geliefert«, das war ihre Devise. Zwei junge Männer stellten einen Gong neben km's Liegestuhl, für den man eine Leiter brauchte, um die Mitte zu treffen. Ich sagte noch: »Pass auf mit Deine Badelatschen, Junge, das Ding ist schwer!« Hatten die hier keine Sicherheitsschuhe?
Ich erklomm die Leiter und holte mit dem übertriebenen Klöppel aus zum Klang. Ich glaube, davon hat er sich 'ne Weile kaum oder gar nicht erholt. Es war schon schwer genug seine Trommelfelle überhaupt zu finden, in dem ganzen Durcheinander.
Einige Zeit später ignorierten wir hartnäckig die Tsunami-Warnungen, die sie überall durchgaben. Den wollten wir sehen, der uns aus diesem Stuhl hochkriegte. Poseidon selbst hätte seine liebe Mühe gehabt. Als die Welle dann aber doch von weit draußen merklich sichtbar auf uns zurollte, fasste ich mir ein Herz und erhob mich ohne Hast aus dem hölzernen Gestänge. Nicht ohne vorher noch ein paar Fliegen zu verscheuchen. Die Welle war schon viel näher. Entschlossen ergriff ich die Tat. Mit einer Hand klappte ich den Strand hoch, so dass die Welle über uns hinwegrollte, mit der anderen machte ich ein Foto. Es ist aber nichts geworden, ich musste es leider löschen. Von der Welle haben wir nie wieder was gehört. Als ich danach aufwachte, überkam mich eine leichte Müdigkeit und ich schlief wieder ein.
So und ähnlich vertrödelten wir die Zeit. Die Sonne hatte schon ihren Schlafanzug an und putzte sich gerade die Zähne, da kam KaEm auf die irrwitzige Idee am Strand zu joggen. Für eine Sekunde hätte ich auch beinahe überlegt mitzukommen, doch ich hatte gerade gegessen. So stellte ich mich 'ne Weile ans Wasser und zählte ein paar Wellen. Irgendwann kam ich durcheinander und musste von vorne anfangen, das war dann doch ein bisschen ärgerlich. Es war wohl besser, sich bei sowas Notizen zu machen, also ging ich in unsere Bambushütte und holte einen Block. Laut quietschend öffnete ich die alte Tür, die vom Seeklima leicht verzogen war. War Köm eigentlich schon aufgefallen, dass ich seinen Rucksack den Hunden zum Spielen gegeben hatte? Seine Sachen warf ich einfach ins Khmer. Weil sie aber immer wieder angespült wurden, konnte ich nurmehr einen vorbeifahrenden Fischer bitten, den Unrat weit mit raus zu nehmen, um alles zu verklappen. Er lehnte ab. Er wolle sich doch nicht die Fanggründe vergiften, wovon sollte er seine Familie ernähren? Sicher ist ihm der Geruch der nassen Sachen auch schon aufgefallen. Als ich den Namen KoEm dann laut aussprach, packte ihn das nackte Entsetzen und er ergriff laut schreiend die Flucht. Mir standen die Haare zu Berge, doch war ich schlau genug eine Tüte mit dem ganzen Zeug an sein Boot zu binden, ohne dass er davon Wind bekam. So hat er letztlich den Plunder doch noch weit mit hinaus genommen. Wie sich später herausstellte, begann kurz danach eine verheerende Hungersnot dieses Land erneut in tiefe Depression zu stürzen. Die Wolken, die sich über dem Areal mit Köm's versunkener Wäsche bildeten, waren zu 80 % reines Dioxin, der Rest bestand aus Salz- und Schwefelsäure. Missernten waren die Folge, ganze Landstriche waren für immer unfruchtbar. Ich hätte es nicht so weit kommen lassen sollen, das habe ich heute eingesehen. Es wird nicht wieder vorkommen.
Der Wiederaufbau war schnell erledigt, alle packten mit an und pünktlich zum Sonnenuntergang war alles wieder in Butter. Heute wollten wir während des Sunsets mal was Verrücktes machen, und so haben wir unsere Kissen rausgeholt. Auf die Weise konnten wir viel länger verharren. Etwas Abwechslung trat auch in unser beschauliches Leben: der Generator sprang gleich beim ersten Mal an und, was der Sache noch die Krone aufgesetzte – schon 5 min eher als gestern gab es Licht. Das war mir dann doch zu viel, da kam ich völlig aus dem Trott. Doch bevor ich dadurch noch nervös wurde, ließ ich mich lieber noch ein wenig zurückfallen.
Diese klapprigen Liegestühle sind eine Offenbarung für den geschundenen Barangleib. Gestern haben wir mindestens 8 Stunden bewegungslos darin fünf gerade sein lassen. Der Körper zeigt nicht die geringste Gegenreaktion. Wenn das kein Zeichen für gesundes Abhängen ist, dann bleibe ich einfach liegen.
Irgendwann gewann dann doch mal wieder unsere unbeugsame Abenteuerlust Oberhand und wir flanierten am Strand entlang in nordwestlicher Richtung.
Die See war rauh und der Wind peitschte uns um die Ohren, unsere Augen zu Schlitzen zusammen gekniffen. Wir konnten kaum noch was sehen. Alles Quatsch. Gar nichts. Nur dunkel, der Mond brach durch den sanften Wolkenschleier. Unser Auftrag war definiert, ich las mir nochmal den Marschbefehl genau durch: zu einer Bar, wo sie unseren MP3-Player anstöpseln können. Bei der ersten Bar stimmte das Flair, wir ließen uns nieder. Das mit der Musik haute zwar nicht hin, aber das Essen war gut. Das Bier kannten wir bereits in und auswendig. In Gedanken hatten wir die hier in Sihanoukville ansässige Brauerei des Angkor-Bieres schon besichtigt. Die Preise zogen leicht an, aber für insgesamt 10 $ zogen zwei Barang gesättigt, weniger durstig ein Stück weiter. Die letzte Bar am Strand konnte uns dann im großen Stil weiterhelfen. Der überaus freundliche Kellner, sein Name stellte sich im Verlauf als Solpheap heraus, klinkte einfach seinen Mini-DVD-Player aus, wo Khmer-Musik rauskam und mein MP3-Player übernahm das Ruder.
MetallicA
Von nun an schallte MetallicA auf die See, wir begannen einfach mal mit Lied Nummer vier, The Day that never Comes, um dem Abend eine angemessene Dramaturgie zu verleihen. Der Rest ergab sich von selbst. Ich konnte es erst gar nicht fassen – so viel Glück an nur einem Tag! Hätte ich bloß auf Holz geklopft, hätte ich dem Mönch heute Morgen nur ein Scheinchen zugesteckt und sein Gebet abgewartet...
Als einige Zeit verstrichen war, wurde KaEm plötzlich unruhig. Wir hatten unsere Kladde, sprich diese Geschichte, auf unserem Tisch bei den Liegestühlen offen liegen gelassen, normalerweise vertrauten wir den Leuten in unserer Behausung blind. Man konnte dort alles liegen lassen. Wenn das jetzt aber länger dauert mit Metallica, und darauf lief es ja meist hinaus, konnte es doch sein, dass Amy der Dorftrinker um die Häuser schlich und vielleicht konnte er nicht widerstehen. Er stand auf das geschriebene Wort aus westlicher Welt, wie er sagte. Zwar sagte er das im Suff, aber gesagt ist gesagt.
Maukenpech
Ich stratzte also die paar 100m zurück und holte die Kladde. Sie lag dort wie gehabt, natürlich. Auf halber Strecke des Rückweges zur Bar, die ich wieder im Laufschritt zurücklegte, um nicht soviel vom nächsten Lied zu verpassen, latschte ich mit voller Wucht in einen Seeigel. Am Strand lag eigentlich nie auch nur irgendwas. Er war immer tadellos sauber. Wieso lag genau jetzt als einziges Hindernis hier ein Seeigel?
Ich ließ mich wie einen Sack fallen, um nur keinen weiteren Schritt auf dem betroffenen linken Hacken zu riskieren. Die Kladde fiel dabei fast in die Brandung, eine herannahende Welle leckte schon am schwarzen Karton. Ich robbte 3m strandaufwärts und untersuchte mit Köms Lampe den Fuß. 10 lange Stacheln steckten in der aufgeweichten Hornhaut. Bei der kleinsten Berührung brachen sie ab. Mein Leben zog wie ein Film an mir vorüber; meine Taufe, mein erster Audi, die Geburt meines Sohnes. Es war ein Audi 80 GL in Inarisilber, aber ich schweife ab. Mit bloßen Händen kam ich hier nicht weiter und so schleppte ich mich gebeugten Hauptes den Rest des Weges zur Bar, wo Köm mit einem Bier Vorsprung, den Fuß im Takte, meine Ankunft missbilligte. Im ersten Moment dachte ich freilich mein Resturlaub wäre irgendwie im Eimer, das kannst du mir glauben.
Der andere Kellner, Chamreorn (20) untersuchte betroffenen Blickes meine stachlige Mauke und holte einen Seitenschneider für Fußnägel. Seine feingliedrigen Finger stellten sich sehr geschickt an, ich hätte es niemals besser machen können. Außerdem brauchte ich langsam eine Brille. Das Gröbste konnte er operieren, aber die ganz tiefen Stachelstücke, dort wo die Sonne niemals scheinen würde, an ihnen biss selbst er sich die Zähne aus. Ich beließ es dabei und lud ihn und seinen Kumpel zum Bier ein. Er war von den Socken und so setzten sich die beiden zu uns, der Abend war noch nicht verloren.
Irgendwann später bollerte es im Gebälk. Chamreorns Mutter wollte, dass Ruhe ist. Khmer-Mütter stehen also nicht auf Heavy Metal. Ein seltsames Völkchen ist das hier. Der Generator wurde auch abgestellt und wir machten ein bisschen weiter im Takte. Als die zweite Kerze heruntergebrannt war, wurde es langsam spät. Nach dem Austausch von Klingeltönen und Abschiedsformeln, gingen wir dann irgendwann heim. Chamreorn hatte sich schon abgelegt und Solpheap schwächelte nämlich auch schon.
Wir gingen also zurück zu unserem Rotanak'schen Gästehaus. Nach zwei weiteren Dosen legte ich mich in eine der Hängematten, die mit integriertem Moskitonetz, und pennte bis zum Sonnenaufgang. Als ich aufwachte, fand ich erst den Reißverschluss nicht und bekam schon Panik, dass ich den Rest des Urlaubs in dieser Art Leichensack verbringen sollte. Das wäre ja eine schöne Scheiße geworden. Ich schrie: »Roat! Herkommen!«, und er kam folgsam in seiner linkischen Art auf den Knien angeschliffen. »Aufmachen, sonst setze ich dich wieder auf Almosen!«, befahl ich. Es konnte so einfach sein. Ich ließ ihn dann noch ein zweites Angkor bauen – etwas größer als das Original natürlich – und danach ignorierte ich ihn einfach ein paar Jahre.
Gerade kam die Marssonde Pathfinder vorbeigekrochen. Ich finde, so schlecht ist die Straße am Otres Beach nun auch wieder nicht. Als sie Roat entdeckte, schwenkte sie einfach gelangweilt ihr Kameraauge weg, immerhin war sie auf der Suche nach intelligentem Leben.
Aber da sie schon mal da war, verfing sie sich in Köm's stattlichen Vollbart und zerrte ihn ein Stück mit. Das kam mir entgegen, so konnte ich die Ruhe genießen und Papierboote aus seinem Buch basteln. Sie würden ein gelungenes Motiv abgeben wenn heute Abend die rote Sonne erneut im Meer versinkt. Stark mitgenommen kroch km später auf die Strandliege zu und erflehte eine Massage. Ich hatte bereits gestern mit der Khmer-Masseuse Array ausgemacht, dass ich ihr zwei Dollar extra geben würde, wenn sie bei ihm statt ihrer magischen Hände, diesen Knüppel verwenden würde, den ich bereit gelegt hatte. In froher Erwartung darauf schnappte ich mir ein Buch und las bis mein Handy mich daran erinnerte, meine Malaria-Tablette zu nehmen.
Pünktlich wie 'ne Khmer-Masseuse kam Array mit ihrem Gefolge den Strand entlang. Ich machte ihr klar, dass das mit der Fußmassage heute nichts wird. Mittlerweile hoben sich 21 Einstichlöcher leicht gerötet vom Rest der Fußsohle zur Hacke hin ab. Nari, das war die mit dem ganzen Armreifen und den Muschelkettchen, betrachtete mit geschultem Auge die Bescherung. Sie zückte eine ihrer Sicherheitsnadeln und machte sich ohne der Nachfrage sogleich ans Werk. Sie hatte was darauf, dass merkte man gleich. Während ich auf dem Bauch liegend massiert wurde, pulte sie mir 21 Stacheln aus der Quante, jeden Erfolg zeigte sie mir persönlich, der längste maß 2,5 mm bei einem Durchmesser von knapp unter 1 mm. Von Entspannung keine Spur. Meine Muskeln waren hart wie Espenlaub, Array kämpfte sich durch meine angespannte Situation.
Ich biss auf die Ecke vom salzigen Handtuch und wusste doch dabei, je tiefer Nari sich mit ihrer Sicherheitsnadel bis zum Knochen vorarbeitete, umso erfolgversprechender war dieses Unternehmen. Nach einer Stunde war das Thema durch. Als Dank kaufte ich ihr eine Gefriertüte voll Kettchen ab und Armbänder. Das als Erklärung für den Haufen, den ich jetzt mit nach Hause schleppen musste, sollte genügen.
Ging das hier am Ende doch noch gut aus? Jedenfalls hatte ich vorgesorgt, ich überließ nichts dem Zufall. Dem jungen Mönch der heute Morgen vorbeikam, gab ich Geld, kniete mich vor ihm hin und legte die Hände aneinander.
»Lieber guter Mönch: mach irgendwas mit meinem Fuß; vor'm Essen wäre super«, dachte ich während er monoton was sang. Konnte jedenfalls nicht schaden. Es würde sich zeigen, ob sich da was entzündet oder zuwächst oder beides.
Den Rest des lichten Tages ist nicht mehr allzu viel passiert. Köm wurde insgesamt zweimal verletzt irgendwo aufgefunden, in einem an Verwahrlosung grenzenden Zustand versteht sich. Ich griff ihm unter die Arme und riet zum Kauf einer Ananas. Er musste sich mit der äußeren Schale zufrieden geben, während ich mich über das süße Fleisch hermachte. Sowas hatte ich nie zuvor gegessen. Sowas Leckeres meine ich. Wäre ich gar nicht drauf gekommen, weil dazu meist kein Ketchup gereicht wird. Hatten wir also wieder was dazugelernt, auch Mango und Banane. Obwohl alles was er essen durfte vorher in den Sand gefallen war, rieb sich Köm voll Wonne die Pauke.
Der Obst-Kmehrin kaufte ich dann noch den Mangokern für 50 Dollar ab. Von Roats Geld versteht sich. Ich schmiss ihn den Ameisen vor die Füße. Sie stürzten sich gierig auf die Mangoreste und fraßen ihn blank. Das dauerte mindestens eine Woche. Kurz bevor sie ihr Festmahl beendet hatten, hob ich den Kern auf und legte ihn, mit gut 200 Ameisen darauf, auf Roats Rücken. Diesmal waren sie schneller. Deutlich schneller sogar. Sie zerrten ihm das Fleisch so fix von den Knochen, dass er nicht mal seinen allerersten Schmerzenschrei zu Ende bringen konnte. Ich lachte, bis mir alles weh tat und warf seine Knochen den Hunden zum Fraß vor.
Dann schwamm ich mit der Kühlbox auf dem Rücken mal eben nach Koh Russei (Bamboo-Island) rüber und beendete den Tag mit einem kühlen Angkor Bier aus der 640ml Flasche unter Kokospalmen.
Nachdem ich das nun alles gerade so überlebt hatte, mein Fleisch nachgewachsen war, kurz nachdem die Hunde von mir abließen, zählte ich nochmal meine Knüppelsammlung durch. Einer fehlte. Ich ersetzte ihn durch einen noch größeren. Das Meer hatte Gott sei Dank gerade ein Kantholz angespült, welches ganz gut in der Hand lag. Mal sehen, wenn sich Köm vielleicht doch noch einen Sonnenbrand einholen würde, ergab sich eventuell noch was. So ohne Sonnenbrand, das war doch langweilig.
Wo ich jetzt wieder laufen konnte, atzten wir mal rüber, den Strand runter um ein Boot zu mieten, oder besser gesagt, an einer kleinen Tour teilzunehmen. Drei Inseln nacheinander, die letzte davon vermutlich Bamboo-Island. So genau wusste die Barang in der Bar das auch nicht. Das läge an uns. Na dann, das konnte ja wieder was werden, so von 9-16:00 Uhr. Wir erwogen sogar auf Bamboo-Island eine Nacht zu verbringen, falls es uns dort gefiel. Unser altes Zimmer würden wir einfach nebenbei laufen lassen. Für 3,50 $ pro Person/Nacht packten wir noch nicht mal mehr zusammen, so faul sind wir im Paradies geworden. Was brauchte man schon? Kissen, Decke, Mückenzeug, Seife wenn's hoch kommt. Alles andere war immer überall zu bekommen, mal ehrlich, sogar das Handynetz war flächendeckend vom Dschungel bis zu den Inseln. Und plötzlich war die Sonne schon wieder weg. Das ging aber schnell. War ich nicht gerade eben erst aufgestanden und zuallererst ins Wasser? Humpelnd? Die Zeit raste. Morgen würde schon Donnerstag sein, wenn alles gut ging.
Später, zur Faulheit vedonnert, schaute ich hin und wieder in die Runde. Solange der Generator noch Licht lieferte, könnte ich Köm ja noch ein wenig Manieren beibringen.
Unsere heutige Lehrstunde behandelte das Wort »Bitte«, und zwar flehenderweise mit dem Wunsch nach Gnade. Als erste Aufgabe, quasi eine Heranführung an das eigentliche Thema, namentlich die mehrfache Aussprache des Wortes Bitte in kurz aufeinanderfolgenden zeitlichen Abständen, nun, als erste Aufgabe übten wir die Fortbewegung auf allen Vieren. Ich ließ ihn am Strand seine Zähne suchen. Das Neonlicht, dass die Fliegen anzog, musste ausreichen um einen schnelleren Lerneffekt zu erzielen.
Die zweite Aufgabe bestand darin, mit gebrochenen Fingern per Handy eine Pizza Salami zu bestellen. Es ging schon auf die erste große Pause zu und ich bekam langsam Appetit. Ich gebe zu, manchmal handelte ich etwas eigennützig. Doch warum nicht, wenn man seinem Schüler so etwas beibringen konnte.
Nach der Pause ging es dann weiter mit einem kleinen Test; Khmerpfeffer löffeln. Ganz gebliebene Körner sollten nach Möglichkeit zerkaut werden, sonst drohte Punktabzug. Er erreichte eine 3-, da musste nochmal nachgebessert werden. Die 3. Lehrarbeit war eigentlich mehr eine Hausaufgabe. Ich wollte es für heute gut sein lassen, denn das Bitte hat fürs erste schon ganz gut geklappt. Die Aussprache war etwas undeutlich, doch ich zeigte Verständnis. Seine Hausaufgabe würde sein, und das war jetzt wirklich ein bisschen grausam von mir, für einen Zeitraum von 5 Minuten nicht in Richtung Meer zu blicken. Das hat dann seinen Stolz gebrochen, das war ihm zu viel. Winselnd warf er sich vor mir in den Sand, immer wieder Bitte, Bitte flehend, er zuppelte mir sogar an den Sachen.

Na also, geht doch. So waren wir schon wieder ein Stück weiter.
Plötzlich frischte der Wind auf. Schon wieder was Neues. Das ging ja zu wie auf dem Taubenschlag, hier. Er hatte sich abrupt gedreht, mittlerweile schon im Kreis und wehte nun von rechts, wenn man in Meeresrichtung sah, was ja, wie Eingangs bereits erwähnt, unabdingbar war. Der hatte einen Zacken drauf, mein lieber Scholli, da geriet man ja direkt ins Schaukeln. Da brauchte man sich ja nicht mal mehr selbst anschubsen.
Für Köm war der Wind eher hinderlich. Er bekam Probleme beim Einfädeln, da er damit im Gange war, mich in die Hängematte einzunähen. Als der Wind noch stärker blies, begann ich mich wie ein Springseil zu drehen, immer schneller. Köm ging so lange ins Bett. Auskurieren. Ich wachte sogar auf. Ich ließ mir das 'ne Weile gefallen und machte einen auf Heidepark, als plötzlich...
Viseth Rotanak und sein Kumpel mit dem Moped von hinten in die Bar gekachelt kamen. Sie hatten in der Stadt einen genommen. Viseth war unser Vermieter, seine Frau, so erfuhr ich später, heißt Son. Die beiden setzten sich noch eine Weile zu mir, Viseth trank sogar noch einen mit. Irgendwann hörte sein Kumpel auf zu übersetzen und machte sich vom Acker. Viseth und ich verstanden uns dennoch prima, denn Chulmui heißt Prost. Er holte vier kleine Fotoalben aus einem Schrank und von weiter hinten einen CD-Player mit Cinch Stecker (das war ja unser Dilemma, dass wir keinen Cinch Adapter dabei hatten. Das musste man sich mal merken, fürs nächste Mal). Es gab nur fürchterliches Westfratzengeballer, Best of Dire Straights war maximum, aber die hörte ich nicht mehr. Hatte ich mir schon lange abgewöhnt. Ich legte irgend einen Krempel ein, eigentlich wollte ich keine Musik. War mir aber auch Wurst. War ja sein Laden. Wir blätterten seine Fotos durch und ich war in diesem kleinen Teil Kambodschas im Bilde. Viele Anlässe, Hochzeiten, Feiern im Freundeskreis, meistens war irgendwo ein Glas mit drauf und alle waren drank.
Er war bei der Chandamarie, wie er es aussprach, was französischen Ursprungs ist und dasselbe bedeutet; Sitzungen, Fotos von den Kindern. Seine Tochter Banja hatte irgendwas mit dem Auge. Irgendeine Krankheit. Ich nahm mir vor heraus zu kriegen wie das hieß, wie man das behandelt und ob es dort an Medikamenten mangelt.10 Die Symptome: das obere Augenlid schwillt an und das ändert sich mit der Tageszeit. Viseth, Betonung auf dem »e«, der Anfang kaum hörbar, und ich blätterten unsere Digi-Cams durch und zu guter Letzt sollte ich mal versuchen bei seinem Kumpel Peter A. M. in Germany anrufen. A. M. stand für Alemang, was ebenfalls dem französischen entliehen war. Das hat nicht geklappt, ich kam nicht durch. Vielleicht war es auch besser so, im Grunde war mir das 'ne Nummer zu hoch. Wie spät es war? Ich habe keine Ahnung. Ich hatte die Tage so gedümpelt, ich hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren. Die einzige Uhr in meiner Nähe ging nach dem Mond, der in dieser Region aussah wie eine zum Einsteigen präparierte Hängematte, wenn er zunahm, wohlgemerkt.
Viseth und ich machten aus, dass ich das Licht ausmachte, bis ich ebenfalls schlafen gehen würde. Den Stop-Schieber am Generator kannte ich ja bereits.
Irgendwann nur noch das Meer, der Generator und ich. An einem Tisch, auf dem es mittlerweile genauso aussah wie im Büro Zuhause.
In Phnom Penh hatte ich mir auf dem Markt eine Dose Pressluft-Fanfare vom FC Phnom Penh gekauft. Dafür habe ich sogar sechs Paar Socken weggeschmissen, dunkle oder blaue, ich weiß nicht mehr so genau, Weil sie so groß war. Ich tat so, als wolle ich was aus dem Zimmer holen und zog vorsichtig die Fanfare, die ich kaum mit einer Hand halten konnte aus Tiffis Rucksack. Köm ahnte nichts. Er schlief. (Er machte sich zwar in die Hose, aber nicht vor Angst; das war eher zufällig.)
Ich hielt sie ihm ans Ohr und drückte ab. Hab ich gelacht, ich kriegte mich gar nicht wieder ein. Und das so kurz nach dem Spaß mit dem Gong. Mensch, der Mann hatte ja kaum Zeit alles anwachsen zu lassen.
In dem Moment entstellte sich sein makaberes Äußere zunehmend. Die Fliegen stoben von ihm davon und bildeten einen Teppich auf der Meeresoberfläche von der Größe Battambangs. Warum sie das taten, fand ich nie heraus. Außerdem war es draußen dunkel, das konnte man gar nicht alles genau sehen. Köm, inzwischen wach, rannte besinnungslos aus unserer einfachen, kleinen Behausung. Die massiven Holzstämme, die die waghalsige, jedoch standhafte Dachkonstruktion stützten, lenkten seinen Lauf einer Flipperkugel gleich in Richtung Meer. Dort war heute Laichtag der Seeigel und sie alle trafen sich an unserem Strandabschnitt, was einmalig in der Welt war, ein weiterer Beweis für die schützenswerte Fauna dieser liebenswerten Gegend. Aber besser man bleibt bei sowas Zuhause. Bei den Rotanaks auf der Veranda. Nein, Köm nahm keine Notiz, unsere Warnungen fanden sein Gehör nicht. Er stolperte geradewegs in einen handgeknüpften Teppich aus ablaichenden Seeigeln, so breit wie der Strand. Ich habe mir dann irgendwann Ohrenstöpsel rein gemacht. Wie sollte man denn da ein Auge zu kriegen?
auf nache Inseln
4. Dezember, Bootstermin: 8:15 Uhr, Aufstehen: 8:15 Uhr
Nein, heute hat es mal nicht geklappt mit dem pünktlichen Aufgestehe. Zu viel Khmer steckte schon in uns oder war's im Gegenteil zu wenig? Jedenfalls waren die Rotanaks schon lange auf den Beinen und regelten ihren Tag im Ansatz. Wir schlappten mit einer Strandausrüstung für zwei Barang strandabwärts zu der Bar mit dem Boot. Der Reis dort ging gerade so, aber die Spinne im Klo war super. 10 cm, sagte Köm, bei mir war sie leider schon wieder weg. Das wir viel zu spät waren, störte hier niemanden. Wir waren ohnehin die einzigen Passagiere auf dem üppig dimensionierten Boot. 9:30 Uhr stachen wir in See. Von Wind keine Spur, von Sonne schon. Jede Menge Sonne. Captain Khmer tuckerte uns rüber zu den Inseln, die Standard-Tour umfasste 3 von einigen Inseln, wir stimmten zu. Immer wenn wir uns im Boot aufstellten, um dem Schatten zu folgen, den das Bootsdach herumschleuderte, legte sich das Boot auf die neue Seite. Khmerboote sind schaukelanfällig, das muss denen mal einer sagen, aber mit schaukeln kannten wir uns ja hinlänglich aus.
Ca. 40 Meter vor der ersten Südseeinsel gingen wir vor Anker. Schnell noch eben die Taucherbrille vollgespuckt, dann 'ne Krampe ins verlockende, hellgrüne Wässerchen. Unser Captain wurde dabei nassgespritzt und freute sich. Er sah aus, als hätte auch er Spaß an der Sache, auch wenn das Boot vollbesetzt mit 16 Leuten auf jeden Fall ein vielfaches mehr eingebracht hätte. Wir untersuchten den Meeresgrund mit unseren Brillen nach geilen Motiven, aschenbechergroßen Muscheln und Gedöns. Aber es gab nur große Fische, jede Menge Korallen und irgend solche Fischschwärme in angeberischen Farben. Da konnte man ja verrückt bei werden. Seegurken schlichen zwischen den Korallenbänken hindurch, wie auf dem Weg zur Arbeit.
Aber am auffälligsten waren SIE, meine stachligen Freunde. Im seichteren Wasser war plötzlich der Meeresboden mit ihnen nahezu übersäht. Kaum ein Felsen, auf dem man sich kurz ausruhen konnte, wenn die qualitativ eher im unteren Segment anzuordnende Leihbrille vom Khmerboot mal undicht wurde. Km hatte ja seine Eigene dabei, nichts von Aldi. Mich überkam Panik. Aber richtig, fast so, als wenn abends um halb acht die Kühlbox die Flinte ins Korn wirft. Ich begann unregelmäßig zu hecheln, der Schnorchel füllte sich mit Salzwasser, ich riss mir die Brille herunter und hustete. Alles voller Seeigel. Aber diesmal die fetten Burschen, nicht so ein mickriger Vertreter wie das, wo ich des Nachts reingetreten bin, wenn das denn überhaupt ein richtiger Seeigel war. Diese hier waren schwarz, sie waren groß, sie hatten leuchtende blaue Punkte auf dem Buckel, und ihre Mäuler waren aufgerissen wie der Höllenschlund. Sie spien Feuer und warfen mit Steinen nach mir. Ok, erstmal schwimmen, ganz normal Arme und Beine zurück ins Tiefe; das konnte ich noch. Zur Ruhe gekommen, versuchte ich es nochmal. Immer schön langsam. Der Trick war ja, ruhig zu atmen, aber wem erzähle ich das. Mit der Zeit hatte ich meinen schwuchtelhaften Schiss überwunden und ließ mich bald hierhin bald dorthin treiben. KoEm war mit seiner Unterwasserkamera weit ab vom Boot. Ich machte mir schon Sorgen. Wer zum Henker sollte sonst den Rucksack über Bamboo-Island schleppen? Nach gut einer ¾ Stunde sah ich ihn dann dort hinten bei den großen Felsen, halb am zerschellen. Er hatte jeden Stein 2x abfotografiert, schrie um Hilfe und ruderte mit den Armen in der Luft herum. Möglicherweise war seine Speicherkarte voll, was wusste ich.
Es ist kaum zu fassen. Wir fahren nach die Inseln rüber, und Roat zermartert sich das Hirn, ob er alles dabei hat; Sonnenbrille, Sonnenmilch, Mückenzeug, usw. Aber die malariaprophylaktische tägliche Tablette vergisst er natürlich! Dabei steht im Anhalter zu den Inseln »Vorsicht Malariagebiet!«. Na ja, es stand da zumindest, bevor ich es wohlweislich herausradiert habe. Aber leider, leider gab es nun doch keine Mücken dort. Die waren wahrscheinlich im Urlaub auf Hawaii und ließen sich mal von den einheimischen Insekten betütern.
Die zweite Insel war Bamboo-Island, die meist genannte, weil erschlossene. Wir legten am Strand an, es gab mehrere Bars mit Übernachtungsmöglichkeiten in einfachen Hütten. Trotz der vielleicht sechs oder sieben Boote, die ihre auffällig besser genährten Barang auf den Stand ergossen, herrschte unglaubliche Stille. Kurze Erfrischung, die Dose ebenfalls 1 Dollar, dann machten wir uns auf, quer durch den Dschungel zur anderen Seite der Insel. Dort sollte es Buchten geben, Strände menschenleer mit endlosem Korallensand. So war es auch. So ähnlich, aber mit Menschen. Ich meine, der Weg dauert 10 Minuten quer rüber, und so auf die Schnelle gab es auch nur den einen. So schlau waren andere auch. Trotzdem traumhaft. Vielleicht mal wieder ein bisschen viel Müll im Küstenschutzbereich, aber Palmen ohne Ende und eine Wand aus Dschungel auf die man sah, wenn man im Wasser auf allen Vieren die Zeit verstreichen ließ. Wir gingen noch ein Stück am Strand, eindeutig auf der Suche nach Schatten. Es war irgendwas kurz nach Mittag. Ein Baum sagte uns zu, ein Bassin von scharfkantigen Felsen umsäumt, lud zum verweilen ein.
Fischer aus Vietnam
Wer kann so ein Angebot schon abschlagen? Das Wasser war handwarm, ich schnorchelte ein wenig herum. Links von uns saßen ein paar vermeintlich Einheimische im nächsten Schattenfleck. Ein normales Fischerboot war auf dem Meer verankert und drei seltsame, direkt in Strandnähe. Sie erinnerten eher an den Korb eines Heißluftballons. Rund, keine 2 Meter im Durchmesser und jedes mit einer Öllampe bestückt. Ich: hin! Die »Einheimischen« stellten sich als vietnamesische Muschelfischer heraus, aber viel mehr konnten wir von ihnen nicht in Erfahrung bringen. Sie luden uns zum Mahle ein, es gab Reis mit sehr gut gewürztem Fisch. Lecker. Sie waren sehr interessiert an meiner Unterwasser-Kamera und der Taucherbrille, also zeigte ich einem von ihnen die Benutzung von Brille und Schnorchel. Roat ging mit ihm ins Wasser und er wäre fast erstickt, als er durch den Schnorchel erstmal eine große Portion Khmerwasser einatmete. Die anderen Fischer und ich lachten herzhaft. Auch Schadenfreude bringt einander näher.
Er ließ dann das Atmen sein und sammelte eifrig Muscheln, die Roat wie Glücksmarie und Pechmarie in seinem Longsleeve verstaute. Es war ca. ein halber Topf Muscheln, die da in guten fünf Minuten zusammen kamen. Sollte ich Ihnen meine gute Taucherbrille überlassen, damit sie mehr als sonst sammeln konnten? Wahrscheinlich würde dadurch eine Welle losgetreten und die Weltmeere wären in kürzester Zeit muschelfrei! Nein, also nicht. Außerdem sind die ja auch nicht blöde und hätten längst eine Taucherbrille, wenn es ihnen den entscheidenden Wettbewerbsvorteil einbrächte.
Außerdem will der Khmer nicht, dass der Vietnamese seine Gewässer leert, oder? Mit Zeichensprache fand ich noch heraus, dass sie wohl im Dschungel der Insel nächtigten. Bei genauerem Hinsehen konnte man auch ein paar Hängematten im dichten Fichtendickicht ausmachen. Mit Malaria müssen sich solche Leute wohl einfach abfinden... Freundlich, aber krank. Ich frage mich, wie sie ihre korbartigen Miniboote aus dem nahen Vietnam hier herübergekommen. Im Schlepp des großen Bootes? Dafür sahen die Dinger einfach nicht seetüchtig genug aus. Oder waren Sie vielleicht Dauergäste ohne Visum? Wir jedenfalls, werden es nie erfahren, es sei denn wir besuchten sie alle paar Monate einmal. Auf dem Rückweg am Strand entlang, das genaue Gegenteil: fette Barangs, die sich an der Sonne ihren gerechten Anteil Hautkrebs auf die Oberfläche brennen ließen... Unfreundlich, aber krank. Also geht es doch nur darum, ob man nett ist oder nicht; sein Fett kriegt sowieso jeder.
Durch den Dschungel und am Ostbeach noch drei schnelle Dosen gekauft. Zwei für uns und eine für Captain Khmer. Er freute sich sichtlich über diese Geste. Er konnte genauso wenig Englisch, wie die Fischer, aber einen frohen Gesichtsausdruck mit einer mehr oder weniger vollständigen Reihe Zähne darin versteht auch der dämlichste Pauschaltourist.
Khmermann, hol über
Dann ging es zur nächsten und letzten Insel unserer Tour - die, die auf unseren Bildern vom Otres-Beach aus immer am Besten zu erkennen ist. Wir streichelten eine Seegurke und kartographierten die restliche Unterwasserwelt akribisch mit der Unterwasser-Kamera. Demnächst bei Google-Seaview. Nee, das sollte man nicht online stellen, denn nahezu 100 Prozent der Unterwasserfotos sind unscharf. Wir wollen ja nicht, dass keiner mehr kommt, weil er denkt, dass man dort unter Wasser einer plötzlichen Kurzsichtigkeit anheim fiele.
Wenn mir jetzt noch was Böses für Roat in den Sinn käme, wäre das ein gelungener Abschiedsgruß an einen gelungenen Tag.
Ja, in dieser Atmosphäre wurde man irgendwann sogar zu faul zum austeilen.
Aber für einen Anruf bei Amy reicht meine Lebensenergie noch gerade so eben aus. Er wird schon für genug Nerverei sorgen.
Seegurkensalat
Eine Seegurke zu streicheln fühlte sich an, als hätte man einen Damenstrumpf unter Wasser mit Luft gefüllt. Nur, dass keine Blasen im Spiel waren. Vielleicht fühlte sich ein mit Flitzkacke gefüllter Dickdarm genauso an, aber was wäre das für eine Beschreibung? Sollte ich hier vielleicht noch durch unanständige Wörter mein Gesicht verlieren? Nichts dergleichen. Es gab ja in den letzten acht Tagen noch nicht einmal einen Grund die Stimme zu erheben, nicht mal aus Gram. Sicher, ich hätte mich beschweren können, dass der Gecko zu leise sei, dass die Käfer von den Hühnern verschmäht wurden, und dass die Sonne Gas machte, als wäre sie auf der Flucht, aber ich tat es nicht. Ich schwieg stille. Ich lies es drauf ankommen. Bei Nudeln mit Reis. Ich spähte ein bisschen den Grill aus und war begeistert. Eine Betonröhre mit ordentlich Zug, wo ein Wok drauf gehörte. Ein paar Klumpen Holzkohle reichten stets für einige Wok-Ladungen nebenbei, was ja ideal ist, wenn sowieso gegrillt werden musste. Der Reis steht irgendwo, immer warm, immer frisch, aber ich bekam nicht raus wo, als hätten die Khmer einen Trick, genau das zu verheimlichen. Du kannst in jeden Topf schielen – Reis ist immer woanders.
Eine Seegurke zu streicheln, lieber Leser, ist in etwa so, als hätte man dir zehn Jahre geschenkt, obwohl sie noch nicht verloren geglaubt waren, was immer das auch bedeuten mag.
Nicht zuletzt war es auch ein Synonym für dieses Land: Nicht kneifen, sonst platzt es.
Mein lieber Khmer, jetzt werde ich aber gesprächig. Khmerk ich's nicht khmer, oder steckt doch khmer dahinter? Wer einmal von Boot zu Boot gewunken hat, und wirklich jeder Khmer winkt fröhlich zurück, sogar gleich die ganze Familie vom Hausboot aus, der ahnt wie es uns geht.
Übrigens, Köm geht es schon wieder besser. Seine eigene Lunge hat inzwischen die Maschine abgelöst. Jetzt kommt es nur noch darauf an, ob er durchhält.
FC Bamboo Island Sharks
Ihm ist da nämlich etwas passiert, dort draußen auf See. Als er sich rückwärts vom Boot hat fallen lassen, so wie immer im Fernsehen, schnappte ein Seeungeheuer nach ihm. Mit Mühe entging er dem, schrappte sich dabei aber ein wenig am Oberschenkel. Das zog natürlich Haie an. Den Rest könnt ihr euch sicher vorstellen. Zwei kamen über die Außen, der Mittelstürmer Sharkie Sharkman, der Hai mit der Nummer 10, flankte Köm nach innen, genau auf die Flosse von De Witte Hai, dem niederländischen Ersatz von Haidewitzka, auch genannt die Perle aus Polen. Dieser hatte beim letzten Spiel gegen die Sea-Eagles aus Kha Phrom Phnam ein hailoses durcheinander veranstaltet und saß diesmal auf der Korallenbank. De Witte Hai legte sich den Köm vor, scheiterte an Torwart Hailand Sack. Köm prallte ab und landete vor den gierigen Leftzen von Riff, dem Hai. Vor Spannung gefror das Wasser. Sogar die Putzerfische suchten ihr hail weiter draußen. Für Köm sah es schlecht aus. Die Bamboo Island Sharks wollten den Heimsieg. Am Ende war es dann doch tatsächlich Sharkman, der einen Happen ergatterte. Köm schwamm um sein Leben, oder dem was ich ihm zugestand. Sharkie hatte schon seine Leber bekommen, und hatte noch Lust auf einen Lungenflügel, als ich mich heroisch in die Fluten warf um ihn da heraus zu holen. Ich machte einen Roundhousekick gegen die halbe Mannschaft und zerrte Köm an Bord. Es sah schlimmer aus als es war. Aber das sollten die Ärzte entscheiden. Ich war nur froh, dass die eiserne Lunge abgeschaltet werden konnte. Wir waren hier in Kambodscha, wer sollte das alles bezahlen?
5. Dezember, 9:00 Uhr
Gockel Nummer eins blies zum Appell, Gockel Nummer zwei antwortete, hatte es aber nicht so drauf. Heute stand ein Strategiewechsel ins Haus, ich hatte mir vorgenommen meine Malaria um 9 statt um 12 einzunehmen und geriet deshalb schon morgens an meine Grenzen. Das würde ja bedeuten, ich müsste zum Rucksack und sie holen! Völlig außer Atem schleppte ich mich danach zurück zum Bett. Die ganze Aufregung schon am frühen Morgen, dazu der unbeschreibliche Krach, den Köm's Stuhlgang verursachte – eigentlich war ich schon wieder urlaubsreif. Wie sollte das erst werden, wenn wir uns nach dem Frühstück in Richtung Stadt auf machten, um ein wenig zu shoppen? Vielleicht gab es ja auch Sänften, die uns durch die Läden trugen. Mal fragen.
Mein lieber Khmergesangsverein! Was Roat da wieder zusammengestammelt hat, macht nur die Kulis alle. Und die sind hier Mangelware.
Jetzt nicht mehr. Scheiße, das ist ja ein Bleistift. Da muss ich ja schon wieder umdenken. Was für ein Stress.
Wir ließen uns mit dem TukTuk im Zentrum abzusetzen, am Samudera Supermarkt. Die Auswahl war ordentlich, so wie ein kleiner Edeka-Markt. Es gab auch die Nationalflagge in verschiedenen Größen, T-Shirts und Mützen. Gekauft. Dazu ein halber Liter Actimel oder sowas, wir wollten Grundlage schaffen. Auf dem Markt kaufte ich mir eine »echte« Camel-Hose mit so Taschen außen für sieben Dollar. Hoffentlich ging jetzt nicht der Rucksack in die Knie, könnte grenzig werden, so viel war sicher. Etwas herrenlos ließen wir uns umher karren, mal hinten drauf, mal mit dem TukTuk. Den Laden mit den richtig guten T-Shirts fanden wir nicht. Bei Angkor war die Auswahl größer gewesen. In der Hinsicht hatten wir einen Fehler gemacht, das musste man hier jetzt mal klar eingestehen. So denn, der Tag war kurz, wir mussten nach hause, auf den Stuhl mit der schönen Aussicht. Tie, der nunmehr 20. TukTuk-Fahrer, dem wir unsere Namen verraten mussten, wurde auf vier Dollar runtergehandelt. Drei Dollar bezahlen Einheimische, wir selbst haben für die Fahrt schon mal acht Dollar abgelatzt. Wie die allerletzten Barang haben wir uns damals abrippen lassen. Jetzt nicht khmer.
Die Innenstadt war ziemlich chaotisch und wirr. Es war zusätzlich noch unerträglich heiß. Bloß wieder an den Strand! Bisher konnte man noch auf jedem Flughafen seine letzten Devisen verprassen, dort werden wir dann auch die gewünschten T-Shirts mit Khmer-Flagge bekommen. Roat wollte ständig khmermäßige Winterpullover kaufen. Dämlicher geht' s ja wohl nimmerkhmer!
Ich habe dann noch im Schweiße meines Angesichts zwei Bustickets nach Phnom Penh gekauft. Morgen, 12:30 Uhr an der GST Busstation geht die große Rückreise los. Wir werden gute 40 Stunden unterwegs sein, wegen der ständigen Wartezeiten. 7 Stunden in Phnom Penh, 5 in Seoul. Wie sollen wir das durchstehen, so entspannt wie wir sind?
Wie sollten wir überhaupt das Packen unbeschadet überstehen, wir wussten ja nicht mal mehr, was man zum Leben brauchte; Badehose, Feuerzeug, 2 gesunde Augen. Nächstes Mal komme ich mit einer aktuell-Tüte hierher. 1kg Wäsche waschen hätte hier 0,75 Dollar gekostet. Und wenn man Euch erzählt, die Wäsche wäre hinterher weg oder kaputt, glaubt es einfach nicht. Schaut euch die Leute an, wie sie lachen mit ihren schneeweißen Zähnen. Seht ihnen in die dankbaren Augen, wenn man sie anständig behandelt. Sie alle arbeiten hart, sie verdingen sich in der Tropenhitze, suchen ihre noch verbleibenden Überlebensnischen. Hoffen, dass Grundstücksspekulanten aus den Abzocker-Ländern, China allen vorneweg, ihnen Aufschub gewähren. Wenn das nur nicht so scheißenweitweg wäre, dieses Land, ich würde es der Nordsee vorziehen, wo man jedes Mal seine Kurtaxe vorzeigen muss, wenn man mal aufs Klo will. Deutschland, du jämmerliche Anstalt. Bei dir kostet ein Kugelschreiber über zwei Euro und dann geht er auch noch vorzeitig in Arsch.
der letzte Abend am Strand
5. Dezember, abends
Ich fragte Köm, ob er noch ein Bier wolle, aber er antwortete nicht. Er hatte sich mit dem Sonnenuntergang abgefunden. Ach ja, Scheiße, war ja schon wieder so weit. 18:00 Uhr fällt sie ins Wasser, und um sechse steht sie auf. So ist das in Äquatornähe. Da braucht man nicht mal 'ne Bürgerinitiative für zu gründen.
Die eine halbe Stunde, irgendwann nach Beginn der Tageszeit »Generator an« wollte ich Son fragen, ob sie nicht Bock hätte, lieber Khmer-Musik anzumachen. Sie lud mich sogleich ein, an den Tisch, um den herum sich das Leben abspielte. Was auf dem Tisch stand, durfte probiert oder gegessen werden. Mit Salz und Pfeffer wurde hier nicht gegeizt. Ich, als eigentlich überzeugter Fleisch-mit-Pommes Experte, sprang über meinen Schatten und probierte erneut Fisch. Wow! Also ehrlich. Schon wieder ok. Kein Fischgeschmack sondern einfach nur lecker. Scheint so, als hätten wir schon wieder alles richtig gemacht. Wie »letzte Abende« es so an sich haben, saßen wir bei Khmer-Musik und frönten der Druckbetankung. Der Kambodschaner isst langsam aber trinkt schnell. Wegen dem Eis, das er sich ins Bier donnert. Das führt dazu, dass nach einem kurzen Moment der Unachtsamkeit, das Bier aus Wasser besteht, weil die Eiswürfel in dieser Strandatmosphäre einfach nicht lange mitmachen. Wenn Du bei so einem Brauch mithalten willst, vergiss es. Ein Bier bleibt ein Bier, auch hier, wo der Pfeffer wächst. Ein Bier in den Tropen mit Eiswürfeln zu kühlen, ist in etwa so, als würde unsere Omma, schneller stricken, bevor ihr das Garn alle geht. Das haben wir jedenfalls nicht lange durchgehalten und kehrten zum Battambang zurück.
Irgendwann holte Viseth sein Maschinengewehr raus. Eine abgegriffene Wumme aus hoffentlich abgehakter Zeit. Für die zwei Salven, die aus Versehen in Köm einschlugen, wollte ich mich noch bei ihm entschuldigen, aber ich kam vor Lachen einfach nicht dazu. Und außerdem hatte ich mit Hundemassage alle Hände voll zu tun. Viseth setzte immer noch einen drauf. Zwischen ungezählten Zuprostungen stellte er Köm und mir plötzlich je ein Korallenskelett vor die Nase. Um Gottes Willen! So was wertvolles habe ich im Leben noch nicht in den Händen gehalten. Wie sollte man das denn bloß heile nach Hause kriegen? Abgesehen davon, dass man uns einbuchten würde, wenn sie uns damit erwischten. Oder nicht? Keine Ahnung. Einen Versuch war es vielleicht wert: zu groß war der symbolische Charakter, den dieses zerbrechliche Kunstwerk für uns hatte. Das Teil würde ich nie wieder aus den Händen geben, man würde sie mir abhacken müssen. Aber erst zuhause. Jetzt galt es zunächst die Koralle zu verpacken. Ich füllte den Karton eines 120 $ teuren Whiskys mit einer Mischung aus Unterhosen und Sand. Darauf stellte ich die Koralle und füllte ihre verästelten Zwischenräume mit noch khmer Sand. Son klebte alles zu, damit nichts ausläuft. Ich konnte nur hoffen, dass das ausreichte. Es wäre unverzeihlich wenn da was kaputt geht. Son war irgendwann verschwunden und Orro, der Freund der Familie, den ich schon von vorgestern kannte, war genauso breit wie Viseth. Drank! Bei uns ging's eigentlich noch, schließlich waren wir seit zwei Wochen im Trainingslager, und wir hatten auch unsere Hausaufgaben gemacht. Ein bisschen zogen wir den Abend noch in die Länge, wir konnten uns von diesem, dem schönsten aller Orte, nicht loseisen. Das war gar nicht so einfach.
9 zurück Richtung alte Heimat
6. Dezember 2008
Ein letztes Mal vom Bett die paar Meter zum Meer. Ein letztes Mal Frühstück bei Rotanaks. Den ganzen Mist, den ich nicht mehr brauchte und die Kabelbinder ließ ich dort. Sich über irgendwas zu freuen, gab es keinen Grund. Vor uns lag eine ätzende Rückreise deren Verlauf weitaus weniger verheißungsvoll war als Hähnchen mit Pommes in der Badehose. Die Verabschiedung war herzig, so ist das eben im Urlaub. Wir erfuhren schon gestern, dass für heute abend, Samstag, bis zu 50 Gäste erwartet wurden. 25 Khmer und 25 Barang. Das war natürlich noch bitterer. Mann, was wäre das für eine Party geworden, was hätten wir abgelacht. So ließen wir uns von irgendeinem TukTuk abholen und zum Bus bringen, und es kam wie es kommen musste. Zwei Deutsche besetzten die beiden Sitze genau vor uns. Einer, der tat, als wenn er alles wusste und es dauernd erklärte, der andere hat auch die ganze Zeit nur gelabert, jedoch lauter. Man wurde unfreiwillig Zeuge ihres vierstündigen Gespräches. Soviel Mist wie die von sich gaben, ich war schon vor dem Stopp zur Halbzeit total bedient. Da die beiden Ochsen nicht wussten, dass zwei deutsche Barang hinter ihnen saßen, fühlten sie sich unbelauscht. Und dann mussten wir uns auch noch anglotzen, was der eine auf seiner Videokamera hatte. Wir kamen uns fast vor wie TKKG. Dabei war ich natürlich Tarzan und Köm spielte Klößchen. Zu mehr hat es bei ihm nicht gereicht, im Grunde tat es das nie. Die meiste Zeit meines Urlaubs war ich ohnehin damit beschäftigt, Köm neu anzulernen. Schon morgens hatte er vergessen, wie man sich Badelatschen anzog. In einem Land, wo 98 % der Bevölkerung auf Flipflops unterwegs waren, sollte man wenigstens in dieser Hinsicht ein sicheres Auftreten vorgaukeln. Danach konnte er meist 20 Minuten nichts anderes tun, als seine Füße zu betrachten an denen die Schlappen baumelten, so fasziniert war er jedes Mal aufs Neue davon. Vor dem Mittag hatte ich Köm dann oft so weit, dass er selbstständig ein- und ausatmen konnte, ohne sich dabei zu verschlucken. Gegen Abend konnte KaEm dann meist schon selbstständig aus der Bierdose was trinken. Allerdings musste ich es ihm stets vorher ein paar Mal zeigen. Langsam zum Mitschreiben. Er hatte großes Glück, dass er in mir so einen geduldigen Lehrmeister fand. Er hätte sonst ziemlich alt aus gesehen, so weit weg von Zuhause.
Zurück in Phnom Penh haben wir am Flughafen unsere Rucksäcke abgegeben und sind mit dem TukTuk quer durch den völlig durchgeknallten Samstagabendverkehr, pauschal erstmal zum Central Market. Das war aber nicht zum aushalten. Wir waren zwar schon einiges gewohnt, aber das musste jetzt nicht sein, oder sind wir am Strand vielleicht doch etwas verweichlicht? Waren wir Strandschwuchteln geworden, die an einer roten Ampel kalte Füße bekamen? Sei es drum, wir suchten lieber nochmal die Nähe unserer alten Gegend am Lakeside. Dort kannten wir uns aus, dort wussten wir wie man sich an den See setzt. Obendrein hatten sie dort Internet. Die Sache mit der Koralle ließ uns keine Ruhe. Wir wurden immer skeptischer, was die Ausfuhr von unter Naturschutz stehendem Meeresgetier anbelangte. Wenn die uns einbuchteten oder eine Strafe einforderten, die das bisher völlig in Vergessenheit geratene Weihnachtsfest ruinös zu versauen drohte? Hätten wir beiden Idioten die wunderschönen Korallenskelette doch bloß dankend abgelehnt und bei Viseth und Son im Schrank gelassen. Jetzt standen sie in einem Gebüsch am Flughafen Phnom Penh, herrenlos, mutterseelenallein und könnten, wenn man das mal von der anderen Seite betrachtet, im Nachhinein noch für eine Bombenwarnung sorgen. So ein verklebter Whiskey-Karton, der gut und gerne 7-8 kg auf die Waage bringt, der macht schon was her. Was waren wir doch nur für bescheuerte Hornochsen, also manchmal kam man aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr raus. Dieser Geistesunfall soll für ewig an uns nagen, wir hatten es verdient zu leiden.
Aber immerhin saßen wir im Flugzeug. Zwar nicht nebeneinander, doch zum schlafen reichte das. In den 4 Stunden und 35 min bis Seoul fielen mir etwa hundertmal die Augen zu, Köm hat fast komplett durchgeratzt. Wäre der Teil also schon mal vom Tisch.
Ich nutzte das eine ums andere Mal die Gunst der Stunde, mir auszumalen wie ich KoEm davon abhalten konnte, diese Reise unbeschadet zu überstehen. Ich ließ alle möglichen Sachen auf ihn herniederregnen; Fäuste, Wischeimer, selbst Fassadenteile vom Flughafengebäude lösten sich und begruben ihn unter sich. Von mir aus auch mit lautem Getöse, ich war für alles zu haben. Mehrere große Meteorite stürzten genau auf ihn herab, er geriet zwischen die Fronten eines Guerilla-Krieges nachdem sein Fallschirm versagte, eine dicke Frau gab ihm eine Backepfeife. Sie war natürlich Barang. Eine dicke Khmer Frau habe ich nicht zu Gesicht bekommen. Khmer-Frauen sehen bis sie 30 sind, alle aus wie junge Mädchen. Ich kann das nur vermuten; die paar Gespräche, die sich um dieses Thema rankten, waren nicht repräsentativ. Sie sind alle gleich groß, gleich schlank, haben die gleiche Frisur, und dieselbe Augenfarbe. Auffällig auch die Kinder. Ich habe noch nie so viele, so hübsche, niedliche Kinder auf einen Haufen gesehen.
Und diese Kinder sind so genügsam. Die Viseth-Kinder spielen miteinander oder mit den Hunden und Katzen. Rothas größter Schatz ist ein kleiner Elektromotor, mit dem er batteriebetriebene Boote baut. Im Bus sind auch immer Kinder dabei gewesen, und nur ganz selten hörte man mal das kurze Krähen einer Beschwerde. Sie sind wohl einfach nicht so übersättigt, wie bei uns und brauchen nicht ständig was Neues. Ihre Fantasie muss lebhafter sein und ihr Geduldsfaden deutlich strapazierfähiger.
Ich wurde auch Zeuge einer Begebenheit, die bei uns in Deutschland ihresgleichen sucht. Deutsche Eltern aufgepasst! (Personen mit eingeschränkter körperlicher Leistungsfähigkeit sollten an dieser Stelle lieber nicht weiterlesen, es könnte sie aus der Bahn werfen). Eine Khmer-Mutter sagte ihrem Sohn, was er tun soll und der Junge stand auf und tat es. Kein Murren, keine Widerrede. Einfach so. Mann, das war echt 'n Hammer. Aber ich kann sagen: ich war dabei, ich hab's mit eigenen Augen gesehen.
Sogar das erneute Abhängen am Flughafen von Seoul fiel gnädigerweise irgendwann der Zeit zum Opfer. Fand ich das alles auf dem Hinflug noch spektakulär, so mit all den Schriftzeichen und den ganz anders aussehenden Menschen, so gingen mir die Koreaner mittlerweile auf den Keks. Natürlich lag das in erster Linie an meiner schlechten Verfassung, denn dort, in Seoul wollte ich im Moment ja nun wirklich nicht sein. Nein, Asien war nicht überall gleich, manchmal ist weniger khmer. Ich hätte jetzt ein TukTuk gebrauchen können, aber niemand fragte: »Hello Sir, where do you wanna go? Do you need a TukTuk, Sir? Fei Dollars, good pri for you, good pri for me!«
Ein wenig Zerstreuung würde mir sicher gut tun. Ich sah aus dem Fenster, direkt in die grelle, blendende Sonne die nicht von meiner Seite wich. Wir flogen mit der Erddrehung. Man konnte eigentlich schon wieder nichts von der Welt dort draußen sehen, es war einfach zu hell. Außerdem war das Triebwerk genau vor meinem Fenster, ich würde glatt behaupten, ich hatte mal wieder einen Scheißplatz erwischt. Da könnte man auf den ganzen Erdball hinunter blicken, mit von mir aus 428 mp/h (692 km/h), sie könnten einem Filme vorspielen und mit Tomatensaft nur so um sich schmeißen, die Fahrt im Bamboo-Train können sie nicht toppen, auf altem Gleis und wundem Steiß. Apropos Gleis – wir flogen gerade an Ulan-Ude vorbei in Richtung Irkutsk. In diese Gegend schickte ich Köm häufig zur Gleisarbeit. Er hatte sich im Gleis-Schotter-Begradigen sogar schon einen kleinen Namen gemacht. Seine Aufgabe war, jedenfalls solange die Sonne genug Licht spendete, die Schottersteine, welche sich durch die klirrende Kälte oft nur schwer voneinander lösen ließen, einmal zu wenden, damit es das Moos über die Jahrzehnte nicht ganz so einfach hatte. Bei Dunkelheit bekam er eine kleine Lampe und einen digitalen Messschieber ausgehändigt. Er musste dann die Stellen markieren, wo der Schienenstrang die vorgegebenen Maße nicht einhielt. Die markierten Stellen konnte er dann gleich am folgenden Tag ausbessern, wenn er sich beim Steinwenden ein bisschen beeilte. Wenn alles klappte, liefen ihm sogar manchmal Menschen über den Weg, die ihm mit einem Schluck Tee aus der Patsche halfen. Hin und wieder durfte er von der Yak-Butter kosten, darauf freute Köm sich stets ganz besonders. Ja, Köm hatte in all der Zeit gelernt nicht nach den Sternen zu greifen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Manchmal, früher, wenn er tagelang auf den Punkt starrte, dieser Punkt an der Zimmerdecke auf der Intensivstation, dann empfand er doch tatsächlich so etwas wie Dankbarkeit. Er dankte dem Elektriker, weil er Strom für seine Beatmungsmaschine bereitstellte. Er dankte dem Pflegepersonal und er dankte mir. Weil ich ihn am Leben ließ, wenn auch gerade eben so. In einer so auf materielle Dinge fixierten Welt ist es wichtig auch mal inne zu halten, einen kleinen Augenblick zu verweilen und einfach Danke zu sagen. Ogun. Ogun Chra.
Wer weiß, vielleicht kommt man ja tatsächlich beim nächsten Mal als Delphin zur Welt, wie die Khmer glauben. Ich kenne jetzt eine Gegend, die würde ich als Delphin glatt mal besuchen.
Später:
Mittlerweile habe ich schon wieder drei Spielfilme durch, sechs Säfte und eine Dose Cass-Bier aus Korea. Das ist aber Plörre, Angkor wäre damit nie entstanden. Von Köm habe ich seit Stunden nichts gehört. Er hat sich im Flieger eine freie Sitzreihe gebunkert, damit er sich mal khmer über drei Sitze legen kann. Das ist gut, denn im Schlaf kann sich der Körper besser erholen. Wunden heilen ab, Knochen wachsen in Ruhe zusammen. Irgendwo im Flugzeug wird eine Zigarette geraucht. Entweder vorne der Captain oder einer von diesen Business- oder Goldpassagieren. Das war jetzt aber echt nicht ok, davon kann man doch abstürzen, oder wie war das? Ich ging mal rüber zu Köm in Reihe 21, Mittelgang. Er schlief tief und fest. Ich rüttelte ein bisschen an ihm herum, bis er die Augen aufschlug, dann duckte ich mich ab. Er wusste natürlich nicht wirklich was los war, er muss wohl richtig weg gewesen sein. Unter Umständen wäre er erst zur Ankunft aufgewacht und hätte sich nicht noch weitere vier oder fünf Stunden herumquälen müssen. So aber konnte ich mich noch ein bisschen mit ihm beschäftigen. Erst blies ich ihm Pfeffer und Salz in die Augen, so dass er seine Kontaktlinsen herausnehmen musste, um wenigstens einigermaßen zu sehen, wie es mit ihm weiter ging. Während er mit geschulten Handbewegungen diese Prozedur vollzog, goss ich seinen Tomatensaft in sein Hip-Bag und versteckte seine Schuhe im Flugzeug. Wenn er nicht barfuß in Frankfurt landen wollte, musste er seine Suche so langsam mal anzetteln. Die anderen Passagiere engagierten sich ebenfalls, indem sie den Rest seines Handgepäcks herum warfen. Ich durfte mich inzwischen im Cockpit umsehen. Immer wenn eine der geishahaften Stewardessen mit ihrem vollen Tablett an Köm vorbei kam, der noch immer unter den Sitzen nach seinen Schuhen Ausschau hielt, riss ich den Steuerknüppel herum, so dass Köm von ihr und dem Tablett begraben wurde. Die anderen, meist koreanischen Passagiere klatschten fröhlich und jubelten mir zu. Einige interessierten sich aber auch für die Sauerstoffmasken die von oben herab hingen. Sie erkannten dabei den praktischen Nutzen dieser Masken, die verhinderten, dass die unzähligen Schmeißfliegen, die sich noch immer auf Köm's gesamten Körper aufhielten, aus Versehen eingeatmet werden konnten. Die Fliegen waren mir schon so vertraut, ich erwähnte sie kaum noch. Seine Vorliebe für Duschzeug aus Stinkfrucht-Essenz und Phnom Penh-Markt-Sud machten KaEm zu einem Idealbild von einem Transportmittel für Fliegen und andere Insekten. Meist waren auch Ameisen und Flöhe unter ihnen, Fliegen beherrschten aber Köm's Gesamterscheinung. Er beschwerte sich schon, dass er kaum Farbe bekommen hatte, was aber nur an den Fliegen liegen konnte, denn sie hafteten an ihm, wie ein Pullover mit angenähter Sturmhaube und Handschuhen. Damals, unter Wasser war seine Haut eigentlich als einziges mal von Fliegen befreit, aber sie wussten halt immer wo er mal Luft holte. Quasi im Sturzflug nahmen sie ihn wieder in Beschlag. Sie waren viele, aber nicht doof. Auch sich-Wälzen, Klopfen oder Giftspray versprach keine Abhilfe, das hatte Köm alles schon versucht, selbst die Fanfare zog nicht mehr. Allein ein Feuerbad zeigte mildernde Wirkung, wenn auch nur von kurzer Dauer.
Inzwischen, und da musste ich Köm entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten auch mal kurz in Schutz nehmen, hatte sogar mein eigenes Deo versagt. Eine Reisedauer von 39,5 Stunden steckte sogar ich nicht so einfach weg. Trotzdem machte der Fliegenteppich keine Anstalten zu mir überzuwandern. Bei Köm war er zuhause. Einzig der Zoll runzelte mit der Stirn. Die Ausfuhr dieser Tierarten, war in den Statuten nicht genau geklärt, auch die Menge wurde dort nicht angesprochen.
In Frankfurt am Flughafen angekommen, mussten wir erstmal durch die halbe Stadt zur Gepäckausgabe. Das lag aber eher daran, dass der Flughafen so groß wie eine Stadt war. Zuhause, in Kambodscha, hätte ich mich mit einem Moped dorthin bringen lassen. Und als dann auch noch die Rucksäcke vollzählig waren und Köm und Roat zu den 1000 Barang in die Halle hinter dem Zoll entlassen wurden, hatte ich zum ersten Mal seit zwei Wochen Schiss, dass mich einer beklaut, absticht oder infiziert. Aber echt jetzt.
Zum Glück haben bei McDonald's zwei Asiatinnen gearbeitet, fast Khmer die eine. So hat mein Kulturschock doch noch mal die Kurve gekriegt. Jetzt mal ehrlich; die tote Ratte, die auf der Straße vor dem Central Market in Phnom Penh herum lag, ohne dass sich jemand zuständig fühlte, hat mir weniger ausgemacht als der dicke gelbe Strich auf dem Bahnsteigfußboden. Vier solcher Striche bildeten ein Quadrat und innerhalb diesem durfte geraucht werden. Aber nicht übertreten, sonst Glotzen sie doof, die Barang. Und nach oben schauen brachte irgendwie auch nichts. Da war nur eine furchtbar große Werbung für eine Zeitung, so dick, dass man damit zweimal um die Welt fliegen könnte. Köm machte große Augen. Mit der Zeitung konnte er sich glatt zwei Wochen zudecken. Ich war gezwungen gewesen, seine Wohnung von unterwegs bei eBay zu verschachern. Davon habe ich letztlich diese Reise bezahlt.
Aber nicht dass Ihr denkt, ich wäre irgendwie gemein oder so. Ich habe auch eine freundliche Seite. Ich habe Köm noch was gelassen. Seine Krankenversicherungskarte. Und dann habe ich ihm sogar noch 10€ geliehen. Für die Praxisgebühr.


-Ende-

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