Khmerbuch
2008
Inhaltsverzeichnis
1
Lesehilfe
2
Vorwort
3
Anreise
3.1 von Hannover nach Frankfurt
3.2 Frankfurt - Seoul
3.3 in Seoul
3.4 Seoul - Phnom Penh
4 Phnom Penh
4.1 Von Klang-Asseln und Angkor-Nazis
4.2 ab nach Siem Reap
5 Siem
Reap
6 auf
Schlappen nach Battambang
7
Battambang
7.1 Holzklasse
7.2 Bamboo Trains
7.3 Plan B?
7.4 Phnom Sampou
8 auf
auf, zum Khmer
8.1 Serendipity Beach
8.2 zum Otres Beach
8.3 neugeboren
8.4 Brauner Reis
8.5 MetallicA
8.6 Maukenpech
8.7 auf nache Inseln
8.8 Fischer aus Vietnam
8.9 Khmermann, hol über
8.10 Seegurkensalat
8.11 FC Bamboo Island Sharks
8.12 der letzte Abend am Strand
9
zurück Richtung alte Heimat
1 Lesehilfe
Ja,
so langsam brauchen wir alle eine Lesebrille..., das bleibt nicht aus
ab Mitte Dreißig. Meine Oma sagte immer: »Junge, Möhren sind gut
für die Augen« und »Du wirst mal Inschenjör!«, aber ich wollte
ja nicht hören. Andere Sprüche waren zum Beispiel diese:
»Ihr
habt noch keinen Krieg erlebt.«
»Ich
hab kein Geld, um billig einzukaufen.«
»Kleine
Kinder - kleine Sorgen, große Kinder - große Sorgen!«
»Hätte
der Hund nicht geschissen, hätte er den Hasen gekriegt!«
Aber
bevor ich noch zu weit aushole, hier ein paar Informationen, wie man
dieses ganze nervtötende Gestammel, diesen Reisebericht zu lesen
hat:
Roat's Text ist in normaler Schrift.
Köm’s (km’s) Text ist in kursiver Schrift und blau.
Und
getze? Getze geht das gleich los!
2
Vorwort
Mir ist
bei der Durchsicht aufgefallen, dass in dieser Geschichte nicht
einmal der Spruch: Alles Roger in Kambodscha vorkommt. Das
geht natürlich nicht und sei hiermit erledigt.
3 Anreise
von
Hannover nach Frankfurt
Unsere
kleine Reise beginnt am Sonntag, den 23.11.2008 um 13:41 Uhr ab Gleis
4 des Hauptbahnhofes zu Hannover. Ein ICE bringt uns nach Frankfurt
am Main, wo hoffentlich alles glatt geht. Der Zug ist
rappeldickevoll, und meine Daheim gebliebenen winkend am Gleis, die
Augen voll Wasser. Mein Rucksack (13 kg) passt in keine Ablage und
weil er nicht steht, halte ich ihn fest. km hantiert mit losem
Blattwerk, irgend so ein organisatorischer Kram, während ich ihm
genüsslich nach dem Leben trachte.
Sonntag, 23.11.2008, 15:45 Uhr
Haben
erstmal die Rucksäcke umgepackt. Meiner kommt ins Handgepäck,
Roat's kommt nach Afrika. Socken kann ich ihm dann leihen; 10 $ für
5 Stunden. Bitte gewaschen zurück. Auf seinen MP3-Stick konnte ich
gerade eben unbemerkt das noch unveröffentlichte, letzte Bin Laden
Video kopieren. Das wird ein Heidenspaß, wenn ich die Sheriffs am
Flughafen darauf aufmerksam mache.
Frankfurt
- Seoul
19:20 Uhr
Mitten
im Flug. Köm hat gerade serviert bekommen und wundert sich. Sieht
nach Nahrung aus, es riecht so, ist heiß. Für mich als
balkanerprobter Billig-Touri ist das hier schon wieder ein Schritt
weiter. Einer in die richtige Richtung. Sie reichen einem mit einer
Chromgrillzange kleine weiße Röllchen aus Frottee, in heißem
Wasser getunkt, dass wir uns damit am Platz waschen können. Da wo
ich her komme, hauen sie einem höchstens einen alten Wischlappen um
die Ohren, wenn man um eine Erfrischung bettelt! Hier ist schon
wieder alles anders. Hier gibt es Fleisch mit Pommes im Flieger, dazu
ein paar Bier und jeder hat seine kleine Glotze vor sich in der Lehne
über dem Klapptisch, wo angezeigt wird, wo man ist und wie lange es
noch dauert.
Wenn
man neben km sitzt, können 9:45 Stunden eine verdammt lange Zeit
werden. Da wünscht man sich beinahe in ein temporäres Koma zu
verfallen. Doch in bin ja nicht blöd und räche mich hin und wieder
mit einem dezenten Furz. Soll er doch sehen, wo er bleibt.
Ich
spies soeben:
Pilz,
Reiskorn und Blumenkohl
Brötchen
Sallatt
& Obst
Und
Roat hat mir noch seinen Donauwellenkuchen untergejubelt. Wenn er
nachher Grauen Star wegen Unterzuckerung kriegt, lache ich mich
schlapp.
Ich
habe auch erstmal das ganze Beck's ausgetrunken. Und Roat muss pissen
wie ein Ochse, aber ich lasse ihn nicht raus. Er ist eingekeilt
zwischen mir und der Außenhülle des Fliegers. Gleich rechts von ihm
- ca. 20 cm weiter - sind es -50°C und es geht 10.058 Meter
senkrecht nach unten. Wenn man 10 Kilometer bei 900 km/h
runterfällt..., man mag es sich gar nicht ausmalen. Ich würde da
nicht freiwillig sitzen. Na ja, auf jeden Fall muss sein
Schließmuskel jetzt erstmal Überstunden machen. Thihihihi!
Irgendwann,
ich sah schon aus wie eine Mischung zwischen Ulli Urin und Urin
Stein, durfte ich dann doch mal raus, auf Klo. In dem lauten Raum sah
es aus wie bei Rossmann, jedenfalls standen dort fast soviele
Zahnbürsten und Toilettenartikel für die Fluggäste rum. Könnte
man alles klauen, dachte ich mir, bräuchte ich mir 3 Jahre nichts
davon kaufen. Ich beschloss nachher km's Seitentaschen damit
vollzustopfen; wenn sie ihn erwischten, war ich fein raus, brauchte
das Diebesgut aber nicht schleppen.
Habe
ich überhaupt schon erzählt, wo es hinging, ich meine, wohin es
ging? Nicht? Ganz einfach: nach Kambodscha. Aber jetzt ging's erstmal
nach Seoul, das war irgendwo in Korea. Sowas war immer am Besten wenn
es in Eckerde gerade begann zu schneien. Dort hätte ich nämlich
ansonsten mit dem Rad lang gemusst. Mit so Handschuhen.
Nach
diesem Flug stand uns ein 6 - 7 stündiger Aufenthalt in Seoul bevor,
in Erwartung des Weiterfluges nach Phnom Penh. Das war die Hauptstadt
von Kambodscha, und dort, irgendwo in der Nähe, wuchs der Pfeffer.
"Hab ich im Fernsehen gesehen", dachte ich noch so, während
ich noch einen Schluck nahm und km 'ne Zeitung um die Ohren haute.
Hier lagen noch 'ne Menge Zeitungen herum, und der Tag war noch lang.
Die
fesche Stewardess rückte anständig ihren schmucken, roten Kittel
zurecht und beschleunigte ihren Bierwagen im Gang zu unserer Linken.
km, geistesgegenwärtig, zückte einen stabilen Kabelbinder und
machte die voll beladene Schubkarre in Augenhöhe am Sitz fest. Macht
Sinn, sinnierte ich, braucht man nicht so oft Rufen und spart auch
'ne Menge Zeit. Sie entschuldigte sich noch. Weil das Beck's zur
Neige ging, aber ihr war schnell verziehen. CASS ging auch erstmal,
ein koreanisches Brandbeschleunigerbier mit forschem Zuckergehalt.
Lies sich alles mit uns machen, wir sahen das nicht so eng.
Km's
Zeitung, mittlerweile arg zerfleddert, erzählte Geschichten aus der
kalten Heimat; Merkel hier, Steinbrück da, und erst dieser
Frank-Walter mit seiner bescheuerten Brille. Nö, ich zog mir die
Schuhe aus, stellte die Lehne eine Nuance zurück und pfiff mir
vielleicht zum 80. Mal seit September die Neue von Metallica rein.
Das war ich ihnen schuldig, denn das Konterfei von James Hetfield
zierte mein langsam müffelndes T-Shirt. Noch ein, zwei wuchtige
Riffs und ich dämmerte dahin, hoch über Nizhny Novgorod oder
Kolpino oder irgendwo dazwischen. Konnte mir ja eigentlich Wurst
sein, solange km, noch immer bewusstlos, auf seine gerechte Strafe
wartete.
00:00 Uhr
Ich sag
es ja nur ungern, aber wir überfliegen gerade Novosibirsk. Ich
meine, nicht, dass die Russen vorhaben, uns abzuschießen, nein,
meine Trauer gilt eher der Dunkelheit. Man sieht nix. Ural im
Schatten, paar Lichter unten, Sterne oben und eine Tragfläche –
immer das Gleiche, Stund um Stund.
Köm
schnarcht und ich bin so freundlich und tupfe den auf Spinnweben
träufelnden Sabberfaden von seinem Mundwinkel ab – mit einem
schweren Buch. Bevor das noch ein Rinnsal wird, man kann ja nie
wissen. Die Stewardess, diesmal die andere, pendelt den Gang auf und
ab. Unermüdlich räumt sie das Dosenmeer fort, das km und ich auf
dem noch freien, 3. Platz in unserer Sitzreihe aufgespült haben.
Säckeweise
zerrt sie das scheppernde Blechwerk in ihre kleine Werkstatt am Ende
des Flugzeugs. Sie kommt kaum gegen an. Es ist nur noch ein einziger
leerer Sack übrig, die bereits aufgefüllten Beutel, jeder groß wie
ein Kleinwagen versperren die Zugänge zum Klo und wabern bereits auf
die hinteren Sitzreihen. Bis ein Sack zerreißt und sich laut
brüllend auf die meist koreanischen Passagiere ergießt.
Ich
schrak hoch. Ich musste eingenickt sein. Ein Blick auf meine Uhr, ich
glaube, ich hatte sie bei Lidl für 'nen Appel und 'n Ei erstanden –
es waren wieder zwanzig Minuten verstrichen. Hier drinnen merkte man
davon aber nichts. Und draußen? Nichts. Alles dunkel. Vielleicht
sollte ich km einfach aus dem Flieger schmeißen, mal gucken, wie oft
er unten aufditscht. Oder hatte ich die Uhr von Aldi? Mal fragen,
wenn ich wieder zuhause war, irgendwann in 2 Wochen. Nun denn, zappte
ich eben nochmal durch die 39 Sender im Mini-Flatscreen, einen halben
Meter vor meiner vom Klimagerät gestressten Nase: Wall-E, Batman,
Hulk 2, Hancock, das machte was her, das hörte gar nicht auf. Aber
alles Schrott, offen gesagt. Hielt keiner lange aus, sowas. Der Krach
vom Flieger übertönte den Sound vom Kopfhörer, so dass man derart
laut stellen musste, dass man davon Kopfschmerzen bekam. Jetzt mal
ehrlich, wollte ich Kopfschmerzen?
1:00 Uhr
Jetzt sind wir angeblich gerade über den Sayan Mountains, next
stop: Ulan-Ude. Das ist die Mutter von Ulan-Baator. Wenn das kein
Grund ist, nach einem frischen Kaltgetränk zu langen, dann weiß ich
auch nicht. Der weitere Kurs: via Irkutsk zwischen Beijing und
Changchun durch, und dann ist schon Seoul. Noch schlappe 3:26 h und
wir sind dort.
2:06 Uhr in Hannover, 10:06 Uhr in Seoul
Es
scheint, als überflögen wir gerade die innere Mongolei. Sieht aus,
als hätte der liebe Gott als Kind mit einer großen Mistgabel auf
seinen Schokokuchen eingedroschen und anschließend Puderzucker
darüber gestreuselt. Das sieht so geil aus! Dagegen wirkt der
Deister wie ein Programmabsturz in Google Earth. Berge bis zum
Horizont, aber irgendwie kaum abzuschätzen wie hoch sie sein mögen,
bei der tief stehenden Sonne.
Ortszeit
14:20 Uhr, nach Ankunft in Seoul
Inzwischen gammeln wir am Flughafen in Seoul 'rum. Die Zeit scheint
still zu stehen, kein Ereignis weit und breit. Die beiden Heineken
für 13 US-Dollar sind lange passee und km hat sich für eine Weile
auf sein Ohr gehauen. Ich wollte ihm das eigentlich abnehmen, aber er
bestand darauf. Unser Flieger nach Phnom Penh geht erst um 18:40 Uhr
oder so und das zieht sich.
Es
wurde uns eine Auswahl an Sightseeing Tours angeboten, gratis quer
durch Koreas Hauptstadt, aber irgendwie haben wir noch keine Meinung
dazu. Km muss unbedingt pennen, damit er fit wird, ich selbst fühle
mich an eine der unzähligen Nachtschichten erinnert, in denen ich
genau wie jetzt mit irgend einem zuckenden Augenlid durch Raum und
Zeit stolpere, übernächtigt aber nicht aussichtslos.
Draußen,
auf dem Flugfeld und um die Gangways herum, sind 10 °C, es ist
furchtbar nebelig.
Hier
drinnen, in der Rest Lounge geht alles seinen Gang. Auf jedem Sofa
liegt jemand, wohl dem, der schon eins hat. Ich watze ein wenig durch
das Gebäude, wenn ich ehrlich sein soll, suche ich Fleisch; und zwar
durch. Das ist mir aber echt alles zu teuer, deshalb speise ich mich
mit einem Kaffee ab; die 4,50$ machte ich locker.
Ortszeit Korea: 21:35 Uhr
Oceanic
815
Nach
endloser Warterei sitzen wir nun im nächsten Flieger nach Phnom
Penh. Das Essen ist schon durch. Huhn mit Reis und ein Fingerhut voll
gottgleicher scharfer Sauce, Marke Stuhlgangfreund. Auf meinem
Tablett drapieren sich wie die Orgelpfeifen die Getränkebecher;
O-Saft, der obligatorische Tomatensaft, Bier, Kaffee – alles
gleichzeitig. Sag ich nicht nein, wer weiß, wann es wieder was gibt.
Und noch immer 3000 km bis zum Ziel.
Vorsichtig
nehme ich mir vor, km den nächsten Tomatensaft ins Gemächte zu
schütten, es ist jedesmal ein Heidenspaß wenn er sich hilfesuchend
nach einem Lappen umsieht. Schräg neben ihm sitzt eine hübsche
Frau, woher auch immer. Deshalb kann er nicht so losblähen wie
sonst, jedenfalls glaubt er das. Bei mir ist das anders. Ich tue mir
keinen Zwang an und zeige danach mit dem nackten Finger auf ihn.
Was
Roat für eine hübsche Frau hält, halte ich für eine
überschminkte, koreanische Mittvierzigerin.
Wir
planen per Moped nach PP reinzufahren. Hoffentlich regnet es nicht,
so wie das Internet gesagt hat. Macht sicher Böcke, so hinten drauf
durch die nächtliche Stadt zu knetern. Am besten, wir stecken uns
schon mal ein paar kleine Scheine in die Hosentaschen, dann muss man
nicht gleich seine prallen Geldspeicher zücken.
OT 21:05 Uhr
Sind gerade eine Taiwanlänge vor Taiwan; unter uns erstreckt sich
das chinesische Meer. Laut Monitoranzeige jedenfalls. Noch 2600 km to
go.
Asiana
Airlines mästet uns ordentlich durch. Eine Mahlzeit folgt der
anderen - wie am Schnürchen. Und das vegetarische Essen kommt
natürlich immer zuerst. Irgendwie muss man die Leute ja bei Laune
halten, sonst gibt es noch eine Revolte an Board, aus reiner
Langeweile. Der <balloon title="Knifte = Bemme,
Stulle">Kniftenzähler</balloon> zeigt eine nackte Null
und jeden zweiten O-Saft habe ich von Roats blauem Kuschelkissen
aufsaugen lassen. Ich höre schon das Gemäkele, wenn er es bemerken
wird. Herrlich! Die Gurte von seinem Rucksack habe ich auch schon
sabotiert. Eins geht also nur: Rucksack unterwegs wech oder blaues
O-Saft Kissen. Egal! Natürlich bleibt auch das obligatorische
Rahmenprogramm aus der Glotze nicht aus. Ein Irrer Komödiant zwängt
sich durch zwei oder drei Tennisschläger ohne Bespannung, ein
bisschen Karaoke-Singsang und anderer, karnevalistisch anmutender
Stumpfsinn wird uns vorgesetzt.
Da
Roat gerade schläft, entschließe ich mich dann doch zu etwas
Besserem. Mit einer kleinen Handbohrmaschine durchstoße ich die
Außenwand an seinem Fensterplatz. Er kriegt nix mit, hat
Ohrenpröppel drin. Upps, fast hätte ich vergessen, seinen Gurt los
zumachen. Puuh. Als die Bohrmaschine das letzte Blech zermöllert,
verschwindet die Außenwand plötzlich im Nix. Roat wird heraus
gesaugt, und kurz bevor ich das Loch mit einem losgeschraubten Sitz
verstopfe, sehe ich noch wie er aufwacht. Ungläubige,
restalkoholisierte Augen starren in mein schallend lachendes Gesicht.
Dies war dann wohl sein letzter Gesichtsausdruck; der, mit dem er
Gevatter Tod gegenüber tritt.
Ich
nuckele noch ein wenig O-Saft aus dem blauen Kuschelkissen und
schlafe zufrieden mitten in der Massenpanik um mich herum ein. Das
nenne ich einen spektakulären Abgang!
Währenddessen
Ich
schlafe, den verklebten Bart in ein Airlinekissen pressend und
träume, wie ich mit Köm's Socken Krebse aus dem Mekong fische, als
sich plötzlich die linke Bordwand verabschiedet und mich mit in den
Abgrund zieht. Schlaftrunken reiße ich die Augen auf und erblicke
km's grinsendes Antlitz, das sich sekundenschnell von mit entfernt.
Reaktionsschnell, wie es nun mal meine Art ist, bekomme ich ein, zwei
Wolken zu fassen und hangele mich gekonnt mit einem filmreifen Satz
auf das Heck des Flugzeugs. Leicht fröstelnd verharre ich nun dort
oben den Rest des Fluges. Mit einer Hand halte ich mich am
Seitenruder fest, mit der anderen winke ich den vorbeiziehenden
Sternen zu. Vielleicht komme ich ja ins Fernsehen.
In
Phnom Penh gelandet, klopfte ich mir lässig den Flugstaub aus den
Klamotten. Im Grunde machte mir das alles nichts aus. Mit solchen
Situationen konnte ich umgehen. Im Gegenteil; ich gewann der Sache
noch was ab. Da ich draußen saß, konnte ich wenigstens in Ruhe eine
rauchen.
OT 23:25 Uhr
Es
nahm offenbar kein Ende. Die Zeit verging einfach nicht. Der Flug zog
sich wie Hubba-Bubba, aber wie, als wenn man vier auf einmal
durchgnatscht und dabei versucht das Lied vom Tod zu pfeifen, nur
rückwärts. Wir waren anscheinend gefangen in einem temporären
Fragment. Unsere Fingernägel waren mittlerweile so lang, dass wir an
den Reglern im Cockpit drehen konnten, ohne dabei aufstehen zu
müssen. Wir saßen in Reihe 24, also – und wen wundert das noch –
genau über der Tragfläche. Drauf gebräkt, war eh dunkel draußen.
Schon wieder, oder immer noch, ich hatte es längst vergessen. Zu
allem Übel brachten sie „Batman - The Dark Knight“ in der
Klappglotze, die von der Decke herunterhing. Das ging gar nicht. Der
Film dauerte 2 Jahre, und es kam einem so vor, als wurde er nur von
einer Folge „Deal or no Deal3“ unterbrochen, die 4 Jahre dauerte;
immer derselbe Koffer. In meiner Not schickte ich Köm Bier holen.
Dann konnte ich wenigstens in der Zeit seine Taschen durchwühlen und
hatte ich endlich mal was zu tun. Seinen Fummel verschenkte ich an
Sitzreihe 27 und sein technisches Spielzeug schmiss ich aus dem
Fenster. Sein dummes Gesicht gehörte in diesem Fall zu den
Lichtblicken des Fluges. Ich musste mich doch irgendwie beschäftigen,
ich konnte doch nicht tatenlos bleiben!
OT 00:20 Uhr
Ich
will ja nicht meckern, und ich beklage mich auch nicht. Auch nehme
ich Abstand mich aufzuregen. Aber es darf jetzt ein Ende finden.
Einfach landen und gut. Ankommen und Dasein und so. Aber nichts
dergleichen. Wir überqueren Vietnam und es leuchten die Sterne. Im
Fenster nur die monotonen Funzeln der Tragfläche und das Summen der
Motoren. Noch immer 24 min. Ich muss meine Uhr schon wieder 2 Stunden
zurückdrehen, jetzt ist es 22:30 Uhr, keine Ahnung wie spät es
zuhause ist. Das Hin und Her rafft doch keiner ab. Da hätten wir ja
gleich zu Fuß hier hin latschen können.
Aber
das alles ist vermutlich gleich gegessen, wenn es denn endlich soweit
ist. Sofern mein (Tiffi's) Rucksack überhaupt mitgekommen ist, und
ihn das Flugzeug auf's Gepäckband göbelt. Dann geht's ab: KaEm und
Roat im Urlaub. 27°C und bewölkt und keine Ahnung wie es
weitergehen soll. Flug Ende.
Mal
sehen, ob der Flug schon vorbei ist, denn noch 10 min. vor dem Start
ist zweimal der Strom ausgefallen.
4
Phnom Penh
25.11.2008, OT 17:10 Uhr Phnom Penh
Wir
sind jetzt da. Das alles zu beschreiben, was wir seit gestern 0:00
Uhr und ein paar zerquetschten erlebt haben, geht gar nicht. Zimmer
rosa unterm Dach, mit Blick auf den See, wo jetzt gerade die Sonne
versinkt. Wetter gut; heiß und schwül. Die Erlebnisse in den Bars
sind auf der Quatsche dokumentiert und bedürfen zu hause einer
fröhlichen Überarbeitung.
Heute
sind wir um 12:00 Uhr aufgestanden und haben uns durch Phnom Penh
bewegt. Volles Programm mit Markt und am-Fluss-sitzen und Tuk Tuk.
Abenteuer Nummer Drei war: rüber, über die Straße und Kacken
(Style: Großaufrag) in so' ner Bar. Mein erster ernst gemeinter
Kontakt zum Strassenverkehr, gestellt auf mich alleine. Ein nicht
abreißender Strom Mopeds und überladender Transportfahrzeuge nahm
mir die Sicht. Eine falsche Bewegung und Köm wäre alleine im
Urlaub. Halb ergriffen von dem Wellensittichbauer erklomm ich die
Straßenmitte, ja ich streckte sogar meine Arme aus, damit sie mich
später leichter unter dem vermeindlichen Kollisionsfahrzeug bergen
konnten, doch ich kam unversehrt auf der anderen Seite an. Da wo
imaginär "kein Klopapier" dran stand, und auch keine
Halterung dafür, sondern ein weißer Wasserschlauch mit Drucktaste;
an oder aus. Aber das war hier offenbar alles kein Akt. Wenn's Seife
gab, hielt ich einiges aus. Verkehrsregeln waren nicht existent, es
zählte Entschlussfreudigkeit und Selbstvertrauen. Ein gewisser Grad
an Lebensmüdigkeit kam der Sache entgegen.
Bevor
wir in die Stadt sind, haben wir noch in einer Garküche gespachtelt.
Bohnen mit irgendeinem Knorpelgemüse und Reis. Dazu eine Soße mit
glücklichen Kühen aus der Pulle. Wohl nicht sehr vegetarisch. Egal.
Der
Markt, der sich vor uns auftut, nachdem wir uns durch unerforschte
Nebengassen durchgeschlagen haben, ist glaub' ich das Krasseste, was
ein Europäer sich auf die Schnelle antun kann. Allein die Gerüche,
die irgendwann zu einem unaussprechlichen Gestank heranwachsen.
Irgendwann vertraut, riecht doch früher oder später die eigene Hand
danach. Stinkfrüchte liegen neben einer Aluwanne voll Trockenfisch,
die hockende Verkäuferin verscheucht gebetsmühlenartig die Fliegen.
Daneben ein Klotz Fleisch auf Holz, durch das der pralle Strahl der
Nachmittagssonne wandert. Säcke voller Reis und Gewürzen,
getrocknete Krabben in Riesenkorbgeflechten. Wer kauft das alles? Das
Video vom Hühnertod ist mein ganzer Stolz, die SD-Karte wird später
in Gold gerahmt.
Auf
dem Markt haben sich Roat's Kulturschocks gegenseitig ein gnadenloses
Rennen um die linke und die rechte Herzklappe geliefert. Es war aber
auch echt genial da. Leider keine Salaks. Und Roat wollte keine
kleinen gebratenen Vögel einschlotzen. Aber sonst: alles! Papaya,
Mango, Trockenfisch & Klamotten. Körbe mit locker 500 – 1000
Eiern drin. Wer sollte die alle kaufen, bevor das
Mindesthaltbarkeitsdatum um war? Oder gab es hier so etwas gar nicht?
Es gab außerdem noch hellgrüne, rosafarbene und schwarze Eier. Und
NIEMAND hat einen am Ärmel gezerrt um irgendwas aufzuschwatzen! Das
war richtig entspannt da.
Es gibt
Tage im Leben eines Roat, da gibt's kein Wasser auf dem Zimmer. Heute
ist so ein Tag, jedenfalls für ein paar Minuten. KaEm, der Mann der
schnellen Treppe, ist flugs nach unten gewatzt um das zu klären,
aber als er mit dem jugendlichen Hausmeister die drei Etagen wieder
hochgeastet kommt, furzt es plötzlich lustig im Waschbecken und
alles ist wieder in Ordnung. Gibt es eine Erklärung für dieses
Phänomen? Wir werden es nie erfahren.
Von
Klang-Asseln und Angkor-Nazis
26.11.2008, OT 01:00 Uhr
Wenn
die Dinge kompliziert erscheinen, muss man sich das Leben
vereinfachen. Man muss Strukturen schaffen, einordnen was geht. Bei
uns geht das so: es gibt Herri-Asseln und Gilde-Nazis. Wir sind die
Guten, die anderen sind Gilde (Pilsener). Und nach einer guten
Batterie Klang sieht die Welt ohnehin nicht mehr so aus, wie sie uns
angeblich vorgaukelt. Da beißt die Maus kein Faden ab. Was ja auch
egal war.
Das
alles hielt uns nicht davon ab, nochmal in der Garküche zu speisen –
dieselbe wie gestern, schön so mit Ei. Das mit den Stäbchen nahm
auch langsam Form an. Es gelang mir sogar den alten Teelöffel mit
Stäbchen aus dem zweckentfremdeten Nescaffébehälter zu pulen, da
wo jetzt die oben bereits erwähnte gottgleiche Rotpaste drin war;
scharf wie Hulle mit einem Hauch von Honig. Nur, dass das Gefäß
fast alle war, und der Löffel so kurz, dass man ihn mit den Fingern
eines grobschlächtigen 40jährigen nicht erreichen konnte. »Mit
Stäbchen kommst du weiter,« das sagte sogar einst Lun Fei, der
Bruder von Tok Cha, dessen Mutter, ich glaube sie hieß Wok Mam, Pan
Fei ehelichte, einen Schwager schwesterlicherseits, dessen erste Ehe
nur um Haaresbreite einer Rettung entglitt; sie alle einträchtig bei
einer Dose Klang.
Wollen
wir nicht vergessen, wie km, der Untaugliche, der dem Wahnwitz nahe
Begleiter auf die glorreiche Idee kam, morgen mit dem Boot
abzureisen.
»Sehr
optimistisch,« gab ich zu verstehen, normalerweise gab es für ihn
kein morgen! Jedenfalls nicht, wenn ich mit ihm fertig sein würde.
Nichtsdestotrotz
buchten wir eine Bootsfahrt auf dem Tonle Sap, oder wie der heißt,
flussaufwärts, nach Siem Reap, wo man das zweite »e« weg lässt,
und das »a« unmerklich betont.
Hätten
wir mehr Zeit gehabt, wären wir sicher noch ein, zwei Tage
geblieben, in Phnom Penh, dort wo man sich tatenlos in eine
Hängematte fallen lässt, welche über den wettergegerbten Dielen
einer Bar schaukelt, die irgendein geschickter Khmer mal vor Jahren
über den See geplankt hat.
Die
Asche unserer roten Ara Zigaretten rutschte unter unseren Füßen
durch die Fugen in das Wasser. Wenn mal nichts los war, blickte man
einfach nach oben, wo sich 8 bis 10 Salamander im Strohwerk
gegenseitig in die Schulter bissen; die Viecher machten sogar
Geräusche, hörte sich an wie irgend so ein Vogel von zu hause, der
mich immer aus dem Nachtschichtschlaf holte.
Termin
für die Bootsfahrt war morgen früh, 6:30 Uhr. Nein, kein Scherz;
nochmal in Worten: sechuhrdreißig. Von Herzen gewollt, zum Scheitern
verurteilt. Aber ich will den Teufel nicht an die Wand malen, es
bestand doch immerhin eine ernst zu nehmende Chance auf Erfolg.
ab
nach Siem Reap
OT 05:45 Uhr
Km's
nervtötendes Billig-Handy riss mich aus meinem schwitzigen Schlaf,
bzw. dem, was davon übrig geblieben war. Es war irgend so ein
beknackter Weckton aus den 80igern, wo man schon morgens das Gefühl
hatte, jemand steckte einem den Finger in den Hals. Davon ließen wir
uns aber nichts anmerken und starteten beschwingt und fröhlich in
den neuen Tag. Km putzte sich gerade die Zähne, (eigentlich ein
sinnloses Unterfangen, zeitverschwenderisch und ohne späteren
Vorteil, wenn ich ihn mir erstmal vorgeknöpft gehabt haben würde),
und ich packte meine Plünnen zusammen. Wir kackten, duschten und
standen pünktlich wie die Deutschen am Treffpunkt, links um die
Ecke. Mr. Tha brachte uns mit seinem Tuk Tuk zum Ablegeplatz des
Speedbootes, welches für satte 35 $ nach Siem Reap zu bringen uns
erkoren war.
Meine
Schuhe habe ich übrigens im Guest-House gelassen. Die waren sowieso
halb im Arsch und ich war mir langsam sicher, ich würde sie in
diesem Land nicht brauchen.
OT 08:45 Uhr
Roat ist sogar zu blöd, Schuhe anzuziehen. Warum tue ich mir das
eigentlich an? Ich bin doch hier im Urlaub und nicht in einem
afghanischen Selbstkasteiungsseminar!
Das
Speedboat macht richtig Mett. Wir waren eben auf dem Dach. Die Natur
hat hier mehr Power, als ein Kubikmeter Ariel Ultra. Noch winkt Roat
fröhlich den Fischern in ihren Booten zu, gleich wird er ihnen
hilfeschreiend zuwinken. Dann werden sich die Fluten für immer über
ihm schließen.
Der Bootslärm ist eine willkommene Abwechselung zu seinem
ständigen unqualifizierten Geseier. Nach dieser Fahrt wird ein
ewiges Bierdosenmeer auf diesem See treiben. Alles aquatische Leben
wird dahin sein, da kein Sonnenstrahl mehr die Wasseroberfläche
treffen wird. Mit der linken Hand dem ständigen Bierdurst Tribut
zollend, schreibe ich hier diesen belanglosen Mist zusammen.
Das ist
kein belangloser Mist, Köm, das ist der größte Stuss, den je ein
Mensch zu Papier gebracht hat. Dagegen wirkt das Tagebuch einer
abgestorbenen Koralle noch wie das Lebenswerk Schillers. Aber Recht
hat er, der Quälgeist. Das Boot gibt derart Gummi, kaum dass man
sich kurz umdreht, ist alles schon wieder woanders. Ich könnte
stundenlang regungslos dasitzen und auf die Wasseroberfläche
starren. Nur gut, dass ich genau das letztlich auch tun muss, denn
die Fahrt geht laut Angabe meines unerträglichen Mit-Biervernichters
gut und gerne viereinhalb Stunden. Die tropische Vegetation ballert
an uns vorbei, die nackigen Kinder am Ufer winken zu uns herüber. Im
Wasser dümpeln leere Farbdosen als Markierungsbojen für die Netze
der Fischer und ein Dorf auf Stelzen reiht sich an das andere. Ich
hatte mich schon gewundert, zu welchem Zweck man auf dem Psah Chrah,
dem alten Markt in Phnom Penh rostige Farbdosen kaufen konnte. Jetzt
geht mir ein Licht auf; habe ich doch tatsächlich was dazu gelernt,
da muss ich glatt erstmal einen kleinen Schluck nehmen, da kann ich
gar nicht anders.
Diese
Fahrt gehört zweifelsohne zu den schönsten Naturerlebnissen, die
mein bisher ahnungslos karges Dasein vorzuweisen hat. In mich gekehrt
sitze ich neben Köm, der in dieser nahezu vollkommenen Schönheit
völlig fehl am Platze wirkt. Er mit seinem umfassenden
Paar-Tage-Bart. Ich lasse meine Blicke und Gedanken wandern.
Vergessen der Monsterkrach des Bootmotors, verdrängt der sich
langsam bemerkbar machende Hunger; an dieser Fahrt zu kritteln, lasse
ich mich nicht herab.
Kurz
abgelenkt wurde ich erst so gegen halb, als ich km kurzerhand über
Bord warf. Er verfing sich überschwänglich in der Schiffsschraube,
was auch sein Gutes hatte. So trieb er nicht ab und eine
Unterbrechung der Überfahrt war nicht notwendig, nur um ihn wieder
ins Boot zu holen. Schließlich wollten wir alle noch was vom Tag
haben. Leicht mitgenommen streckte er sich auf dem Oberdeck aus und
in der Hitze war er ruckzuck wieder trocken. Manch ein mitreisender
Passagier war dankbar für diese willkommene Abwechselung. So sorgte
KoEm noch für ein wenig mehr Heiterkeit an Bord. Am Ende war es doch
gut, dass wir ihn mitgenommen hatten. Aber schon kurze Zeit später
zog der Tonle Sap, der sich langsam zum See verbreiterte, uns alle
wieder in seinen Bann. Die Stelzenhausdörfer waren bald nur noch von
weit her auszumachen. Wie weitläufig sich das alles auch gab, wenn
man nur lang genug auf irgendeinen Punkt starrte, bemerkte man früher
oder später eine Bewegung im Inseldickicht, ein Boot zwischen Bäumen
und Gebüschen, geschäftige Menschen, dabei gerade ein schwimmendes
Dorf zu gründen, oder was auch immer. Irgend eine Zivilisation
präsentierte sich immer, es war nur eine Frage der Zeit, schließlich
wohnten diese Khmer auf dem Wasser. Irgendwann öffnete sich der See
soweit, dass beide Ufer hinter dem Horizont verschwanden. Ich sah km
an und hoffte auch an ihm irgendwas zivilisatorisches zu erkennen,
aber ich biss auf Granit.
OT 11:24 Uhr, Sternzeit 1,24-23,5
Die Camshin San ist in den unendlichen Weiten des Tonle Sap Sees
verschollen. Der Kapitän wurde von einem wütenden Touristenmob in 8
Teile zerknüllt und diese kurzerhand einzeln Kiel geholt. Dumm nur,
wie sollte es auch anders sein, dass sich der dämliche Roat für den
dämlichen Kapitän ausgegeben hat. Wie ein Fünfjähriger hat er im
Führerhaus gebettelt, nur ein einziges Mal das Steuer selbst in die
Hand nehmen zu dürfen. Nachdem der Blutrausch der Meute gestillt
war, habe ich die ganzen Pauschaltouristen mal eben im See verklappt
– man möge mir diese Umweltverschmutzung gnädigst verzeihen. Die
Board-Khmer leben natürlich noch. Mal sehen, vielleicht können sie
ja noch Bier vorbei bringen.
An
jedem Tag einer solchen Reise muss eine Fülle von Eindrücken deinen
Schädel weichkauen, bis er nur noch eine fraktale Ungleichung 2.
Grades ist. Der nie versiegende Bierstrom erledigt dann den Rest.
Muss ja erstmal ein paar Jahre halten.
Der
Schiffsmotor sieht aus wie geleckt und schnurrt wie ein Kätzchen
(nur um das 1000fache verstärkt).
11:29 Uhr
Ich habe einen Entschluss getroffen: ich werde Roat nicht mehr
nach seinem verlotterten Lebensrest trachten. Ich werde mir einfach
genüsslich ansehen, wie er sich zu Tode säuft. Das eine oder andere
Bier werde ich ihm dabei natürlich zustecken, damit er möglichst
noch vor dem Rückflug jämmerlich an seiner eigenen, kalten Kotze
erstickt. Ich freue mich jetzt schon auf das Youtube-Video davon, wie
ein Schneekönig auf die nächste Eiszeit.
Das
Boot ballert und ballert, nur um uns Touristenabschaum in die größte
Geldmaschine der Welt zu kajolen: ANGKOR WAT. Dort wird noch der
letzte Zloty aus jeder Weißhaut herausdestilliert. Aber nicht mit
mir, ich habe mir in jede Tasche einen kambodschanischen Igel
gesteckt und diese dann mit billiger, gebrauchter Zahnseide zugenäht.
5
Siem Reap
OT 14:00 Uhr, grob geschätzt
Ich
war eingenickt, als wir in den Hafen einliefen, was aber mehr ein
Stück Deich mit einer hölzernen Planke war, welche einen alten
Schuppen mit dem Boot verband. Köm ihm sein Name prangerte auf einem
DIN A4 Ausdruck in Überlebensgröße: »Hello Welcome Mr. KOM«, es
war praktisch unmöglich dem zu widerstehen.
Tee,
(gesprochen Tie) trug meinem Rucksack zu seinem TukTuk und brachte
uns nach Hause.
Guest
House No.10; ein Fehler war das nicht. Zimmer gut, sauber, groß, TV,
aber das untere Scharnier von der Klotür war im Eimer. Die Tür
blieb eigentlich die ganze Zeit angelehnt, aber so dass sie nicht
umkippte und das obere Scharnier auch noch mit in den Abgrund zog.
Wenn einer richtig abschachtete, machte der andere am besten
irgendwas lauter.
Natürlich
sind wir erstmal los und natürlich haben wir was gegessen! In einer
Bratküche (Stickfoodkitchen) unseres Vertrauens; am Rande der roten,
staubigen Straße langten wir hin. Einige Häuser weiter genehmigte
ich mir Kleinvogel im Brot, Köm aß zusätzlich Reis mit Maggi und
dazu versalzenes Ei. Einen Versuch war es wert.
Der
Ausklang des Abends war bezeichnenderweise in unserem
Guest-House-Foyer. Khmer wie TukTuk-Tee standen uns Rede und Antwort
und das eine um's andere Mal erzählten sie mehr von ihrer
kambodschanischen Vergangenheit, als der Leser zuhause erfahren will.
Nicht, dass ihm (dem Leser) noch die Salamiknifte runterfällt, das
wollte ich nicht.
Ich
hatte mich schon längst in dieses Land verglotzt, km versuchte sich
indes von seinen Fesseln zu befreien. Unten im Keller. Ich musste ihn
wohl irgendwie weggesperrt haben, wer wußte das schon noch so genau.
Um die Sache beim Namen zu nennen; wir waren auf dem besten Wege
Angkor Wat nachzubauen. Aus Bierdosen und einem Berg aus Flaschen.
Ich ließ gerade einen Kran kommen, als Köm sich noch mit den Jungs
vom kambodschanischen Tiefbauamt herumschlug. Es war doch so: die
ganze Stadt benötigte ein neues Fundament seitdem wir unseren Plan
zu verwirklichen drohten. Die Zementwirtschaft halb Asiens musste
umdenken, seitdem km und ich unser E-Visum abgestempelt bekamen. Doch
die Sache ging glimpflich aus; Heerscharen von Zementmischern aus
ganz Indochina taten wie ihnen geheißen und stadtviertelgroße
Batterien aus Kränen türmten wochenlang unermüdlich unsere Dosen
und Flaschen zu einem Bauwerk, wofür eine Hundertschaft an
Wissenschaftlern Jahrmillionen benötigen würde, um der Sache auf
den Grund zu gehen.
Wir
lernten Susanne kennen, die Tochter des Fassmachers aus Stuttgart,
und noch einen Lee, der scharf auf sie war. Wir übten uns in der
Kunst des Zählens auf Khmer, dabei ging es schon ans Eingemachte.
Der Nachtwächter an der Rezeption musste los, einen neuen Block
kaufen weil unsere Strichliste zu groß wurde. Die letzten Biere
hatte er schon verzweifelt mit dem Daumennagel in das Holz der Theke
geritzt. Seine Kugelschreiber waren auch schon alle sämtlich leer
geschrieben.
Km und
ich fielen übermüdet ins Bett, halb schwebten wir, halb sanken wir
dahin. Der nächste Tag war längst besprochen, Angkor Wat stand auf
unserem kulturellen Einkaufszettel, die größte je von Menschen
erbaute Tempelanlage, verteilt auf einem 300 km² großen Landstrich:
Dafür mussten wir eigentlich wieder früh hoch. Acht Uhr war
anberaumt, und ich kann ja jetzt schon mal vorgreifen: es hat
hingehauen, wie eigentlich alles in diesem Urlaub.
In
Angkor konnte man wochenlang umherirren, ohne doch alles gesehen zu
haben. Um nicht im unausweichlichen Menschenstrom vollends zu
versacken, sind wir – wie sonst unüblich – am Eastgate
eingetreten. Lee hat uns mit seinem TukTuk auf Wunsch dort hin
gefahren und auch den ganzen Tag über betreut. Wie am Schnürchen:
Tickets besorgen, Abladen, Treffpunkt, Zeit, Wiederaufnahme,
herumkacheln. Vom Southgate dann zum Westgate, nee anders herum und
dann über das Southgate auf der Stadtmauer entlang zum Northgate,
oder war es doch das Southgate, nahe dem Westgate gegenüber dem
Eastgate? Na ja, auf jeden Fall habe ich 400 Fotos gemacht, die
kommen noch zu den 800 Milliarden bei Google Earth dazu. Da lässt
sich auch 'ne Menge zu schreiben, aber mit sowas fängt man am besten
gar nicht erst an. Das geht ja alles von der Zeit ab, und außerdem
wollte ich noch km's Mückenstiche von gestern zählen. Allein damit
würde ich die die nächsten zwei Stunden beschäftigt sein, jetzt
mal ganz optimistisch geschätzt.
Am
Ende, und das sei fix erwähnt, sind wir gute 15-20 km gelatscht, und
haben uns 'ne Menge angeglotzt. Eigentlich peinlich für mich, dass
ich noch wenige Wochen zuvor nicht mal wusste, dass Angkor Wat
existiert. Jetzt mal ehrlich, waren alle meine Lehrer in der Schule
zu dämlich uns Schülern wenigstens eine Stunde darüber zu
berichten? Die sollte man echt in Arsch treten.
Klar,
dass Horden von Kindern einem Souvenirs andrehen wollten, aber drei
T-Shirts für 5 $, die auch noch ganz geil aussahen, da gibt's nix zu
kritteln. Kriegt man bloß alles nicht mehr im Rucksack unter, also
verzichten, nur ein Shirt tut's auch. Köm ist übrigens im
Tempelgraben ersoffen. Nur mit Mühe gelang es mir ihn wieder ins
Leben zurückzuholen. Ich habe ihn so lange getreten, bis er zu sich
kam. Tut mir jetzt noch der Fuß weh von.
Angkor
ist riesig. So groß, dass man Roat's zerquetschten Leib wohl nie
wieder finden wird. Erst wollte ich ihn ja versteinern lassen und als
Buddha-Statue irgendwohin schmeißen. Aber ich hatte keine Lust, viel
zu anstrengend. Immer wenn er den Rucksack trug, habe ich ein paar
Felsen reingepackt. Hat er gar nicht gemerkt. Er hat geschwitzt wie
in der Sauna.
Besonders
heftig fand ich die Stadtmauer von Angkor Thom: Kilometerweise
Steinquader, umgeben von einem 50 Meter breiten Wassergraben. Das
alleine muss schon 100 Jahre gedauert haben.
Das
entspräche in etwa der Zeit, die Köm vor dem Tor zur Hölle
verbringen muss, bis Satan sich dann endlich entschieden haben würde,
in welches Quartier er ihn einlädt. Zur Wahl stehen: : a.) die Halle
der Gebeine, wo KaEm als »Schubkarrenreifen-mit-dem-Mund-Aufpumper«
bis in alle Ewigkeit tätig sein könnte, oder : b.) ein Zimmer, mehr
eine Höhle unter der Pfütze auf der 93. Street, Lakeside in Phnom
Penh. Der Witz ist, dass das Wasser nur abläuft, wenn er den Stöpsel
in seiner Zimmerdecke zieht. Besonders dicht ist der Stöpsel
ansonsten aber nicht, meist würde es auf km's Kopfkissen tropfen.
Mal sehen wie die Sache ausgeht.
In
diese Pfütze hatte ich seinerzeit immer km's Zahnbürste
eingetaucht. Nur so zum Zeitvertreib.
Jetzt
wo KaEm sich von seiner Wanderschaft durch Angkor erholte, auf dem
Rücken liegend, das nie endende Hundegebell übertönte seine
entsetzlichen Schlafgeräusche, kamen schwarze Schwaden aus seinem
Mund. Ob es da einen Zusammenhang gab? Ich entschloss, dafür zu
sorgen, dass er keine Zahnbürste mehr benötigen würde.
Aber er
hatte Recht; der Wassergraben, welcher die Stadtmauer umgab, war echt
der Hammer. Man könnte mehrmals den Maschsee dort hineinkippen und
fand hinterher sogar noch Zeit für ein, zwei Dosen Klang. Das waren
ja rosige Aussichten, da ließ sich bestimmt was machen.
Bei dem
Ganzen soll aber nicht der Eindruck erweckt werden, wir würden hier
nur Bier trinken. Nein, es gab auch Zeiten, wo das nicht der Fall
war. Während des Zähneputzens zum Beispiel und kurz davor. Und die
Unmengen an wohlschmeckendem kambodschanischen Wassers, die wir
permanent in uns hineinschütten, verdienen, und das ist auch meine
einhellige Meinung, einen ernst zu nehmenden Eintrag in diesem Buch.
Aber es
gab auch ärgerliche Momente heute, das muss ich einfach auch
zugeben. Ich hatte meine Bollos vergessen, KaEm pustete einen
Luftballon auf, für die kleine drollige Khmer, die uns eigentlich so
Kühlschrankmagnete von Angkor Wat verkaufen wollte und das sah nach
einem Heidenspaß aus. Ein Bollo aus Germany hätte ihr sicher auch
gefallen. Und es ärgerte mich auch, dass ich ihr nicht was abgekauft
habe. Pfeif auf den Dollar. Uns war aber auch klar, dass, wenn man
jeden Tag was kauft, man den Rucksack irgendwann nicht mehr hoch
kriegt. Für heute hatte ich schon ein neues T-Shirt im Gepäck, km
sogar zwei. Das durfte nicht aus dem Ruder laufen. Ärgerte mich noch
was? Nö! Alles in allem ein sehr entspannter, monumentaler,
ehrfürchtiger Tagesverstrich. Wir haben sogar zweimal gegessen. Erst
Reis und dann Nudeln. Und ich habe mich sogar verbessert. Nur noch
80% meiner Nudeln gingen mir mit den Stäbchen durch die Lappen, das
sah schon mal nach was aus.
Wir
danken Lee für seine tadellose Verfügbarkeit, die 20$ Entgelt
insgesamt hatte er sich redlich verdient. Weiterempfehlen den Mann!
Der Eintritt kostete auch 20$, unser Essen und Trinken im ganzen gute
30$, sechs Dollar für T-Shirts. Und mit einem Dollar investierte ich
nachhaltig in meine Zukunft. Vor Shiva legte ich ein Scheinchen auf
die Untertasse und senkte unter Anleitung eines kleinen, alten
Mönches voller Demut mein Haupt, und was er dabei sang, hörte sich
insgesamt sehr, sehr freundlich an. Die drei Räucherstäbchen, die
er mir mit seinem sonnengegerbten, zierlichen Händen in die meine
drückte, sind jetzt schon lange abgefackelt und verschmelzen mit der
Aura im Wat und mit ihm in einem, so glaube ich, weniger
aussichtslosen Universum. Vielleicht wurde mir ja sogar schon eine
Kostprobe der Macht Shivas zuteil? Als ich nämlich heute unter einer
riesigen Palme durchgehen wollte, vernahm ich kurz vorher hoch oben
in ihrer Blätterkrone ein außergewöhnlich lautes Rascheln. Der
Wind sang in ihrem Blattwerk und ich blickte hoch. Die ganze Palme
war stark am Schwanken, sicher so wie immer, und ich dachte »Wow,
machste mal ein Foto von«. Ich hatte aber die Kamera noch auf
Videomodus stehen, und als ich das bemerkte, war mir das irgendwie
voll Wurst. Als ich so locker flockig ein paar Sekunden die
schwankende Palme filme, bricht ein riesiges Blatt an seiner Wurzel
und segelt hinunter. Wäre ich nicht stehen geblieben, um zu filmen,
hätte das Blatt mich erschlagen. Ich fasste es kaum und hielt weiter
drauf, nach weiteren 15 s kam plötzlich noch so ein gewundenes
Knüppelwerk herunter. Bestimmt 6 kg schwer. Danach war Sense. So oft
filme ich eigentlich keine Palmen, schon gar nicht solche Großen,
aber wenn das kein komischer Zufall war... Ich denke, für eine
kleine Buddhastatue war in meinem Rucksack noch Platz. Und wenn ich
die ganzen Socken wegschmeißen musste. In Kambodscha trägt kein
Arsch Socken. Sie laufen vielmehr auf Battambang-Schlappen durch die
Gegend.
Apropos
Battambang. Morgen würde es wieder weitergehen. Mit dem Bus, wenn es
noch zwei Plätze für uns gab. 8:30 Uhr ab Siem Reap nach Battambang
für 6,50 $. Sollte 4 Stunden dauern. Den Entschluss dazu fassten wir
beim Khmer Curry in der Innenstadt nahe Psa Chah, dem Alten Markt.
Danach noch ein Gezapftes, paar Häuser weiter auf dem Balkon einer
Bar mit Blick auf die Straße, wo sich die Garküchen aufreihten, und
die Kinder mäßig hartnäckig die Touristen drangsalierten. Und
denne war eigentlich Feierabend. Wir waren so gesehen groggy und das
würde ein harter Ritt nochmal morgen.
6
auf Schlappen nach Battambang
Freitag, Weckzeit 7:30 Uhr
Scheiß die Wand an, wir haben schon wieder alles richtig gemacht.
Pünktlich
ausgecheckt, zur Busstation um Achte. Mit dem TukTuk für zwei
Dollar, wie immer, den zweifelhaften Ausredeversuchen der Guest House
Nr. 10 Crew zum Trotz, in die Innenstadt.
Natürlich
erzählte einem jeder, dass der Bus kaputt sei, dass die Busstation
noch zu hätte, der Bus führe nur freitags und heute wäre Samstag.
Dabei war Freitag. Alles Lüge, aber von KaEm folgerichtig
interpretiert. Sie wollten, dass wir blieben, als wüssten sie besser
über unser Portemonnaie Bescheid, als wir selbst. Ich wäre ihnen
glatt auf den Leim gegangen. Woher sollte ich wissen, ob heute
Freitag oder Samstag war?
Um
exakt 8:30 Uhr erschien der Bus linke Hand in Richtung Norden. Zwei
Westmänner hatten bereits ihre Mountainbikes auf die letzte Bank
geschmissen, aber sonst nur Khmer. Wir wurden selbstverständlich
eingehend gemustert, als wir den Bus betraten. Aufrichtig belächelt
wäre eigentlich treffender. So spektakulär waren Touristen nun auch
wieder nicht. Wir kachelten gute fünf bis sechs Stunden nach
Battambang, das letzte »a« dabei mehr wie ein »o« ausgesprochen,
aber nicht ganz. Via Sisophon, einer schönen Stadt am Rande. Nach 2
Stunden eine Zigarettenpause und wer wollte, konnte in den Garten
einer Bambushütte pinkeln. Ich musste nicht. Ich kann sowieso nicht
wenn einer neben mir steht.
Nach
weiteren 2 Stunden eine Rast an einer Garküche am nicht vorhandenen
Bürgersteig der nicht asphaltierten Straße, kurz nachdem ein
Sprenkelfahrzeug die Piste befeuchtet hatte. In den Töpfen garte
allerlei Unerkennbares. Es war kein Fehlgriff; meins eher knochig,
bei KoEm ein unbewiesener Hauch von Fisch. Aber so lecker! Stunden
später, und das sei hier vorgreifend notiert, gab es nicht die
geringste körperliche Nebenerscheinung deshalb. 6 Stunden durch
Kambodscha fahren, aus dem Fenster glotzen und in der Hand nichts als
eine große Flasche Wasser. Mehr braucht es nicht, um für einen
Moment glücklich zu sein. Ich starrte die ganze Zeit und machte mehr
Fotos, als irgendjemand sehen will. Ein paar Perlen waren dabei,
daran kann ich mich noch erinnern. Früher war das alles Dschungel,
heute nur noch ein jeweils 100 Meter breiter Streifen rechts und
links der Fahrbahn. Dahinter meist endlose Reisfelder. Und die Leute,
mit ihren Stelzenhäusern in diesem Streifen an der Straße. Unser
Achtzigerjahre-Bus bretterte über die sich im Bau befindliche
Straße. Der Dschungel wurde durch zügellosen Raubbau zerstört und
diese Menschen lebten jetzt mit dem Ergebnis. Als Reisbauern, und sie
trockneten ihre Ernte auf großen blauen und grünen Planen,
dieselben die auch ihre Garküchen vor Wetter schützten. Diese
Planen wurden mit dem Reis schön so in der Sonne ausgelegt. Am
Straßenrand! War ja sonst kaum Platz auf ihrem Land. Stünde nämlich
das nicht dauernd unter Wasser hätte ihr Haus auch keine Stelzen. Wo
in Buddha's Namen könnten sie den Reis denn sonst auslegen, wenn
nicht dort, wo die ganzen Mopeds, Laster und Busse langballerten?
Nicht, dass unser Fahrer für eine Lage Reis in die Bremsen gegangen
wäre. Nix da, sein Ziel stand fest, und es war auch das Unsrige:
Battambang, die fruchtbarste Gegend Kambodschas.
7
Battambang
Am
Ankunftsbushof war natürlich die Hölle los. »Sir, hello, where do
you wanna go?«, nicht mal 'ne Zigarette lang lassen sie Ruhe. Wir
sträubten uns und gingen ein Stück. Falsche Richtung, was sonst.
Irgendwie genau die Straße, wo sie ihre Mopeds immer zur Reparatur
hinbrachten. Eine Bude neben der anderen. Wir waren in der Falle, sie
hatten uns: eine handvoll Bengels auf einer 125er Honda so, wie
überall in Kambodscha, erwischte uns dabei, wie wir uns nach nur 50
Meter verlaufen hatten. »No problem, Sir, we bring you to the Hotel,
It's very cheep, 5$ the room, trust me, I bring you for free.« We
trusted, immerhin brauchte er eine Provision. Einen Augenblick
später, aber immerhin gute 600 Meter kreuz und khmer entfernt
stiegen wir von Ihrem Sozius ab, vor eben beworbenem Hotel. Aber
diesmal mit Kühlschrank und - haltet euch fest: einem frischen
Handtuch! Da brauchte ich ja bald überhaupt nicht mehr Auspacken.
Die Sachen, die ich trug waren frisch, das ganze elektronische
Zubehör in meinem Rucksack war belanglos, fast alles umsonst
mitgeschleppt. Oder doch nicht? Wer weiß, war ja erst
Freitagnachmittag.
Holzklasse
Duschen,
abschachten, auf Rappen zum Hauptbahnhof, glotzen ob er fährt, der
Zug unserer Träume.
Nö,
der Zug fährt nicht mehr. Nie mehr. Die Schienen sind zu kaputt.
Plopp! Kann man nichts machen. Gehen wir eben über den Markt. Lass
uns Plan B später ausdenken.
In
einer Dokumentation im ZDF, »In der Holzklasse durch Kambodscha«,
zeigten sie einen maroden Holzzug, welcher übersät mit Menschen
und Tieren tagelang im Schneckentempo durch das Reisland bis nach
Phnom Penh klapperte. Wofür ein Bus knappe 4-5 Stunden bräuchte.
Das Ganze für wenige Dollar, aber mit garantiert echtem Vollkontakt
zur Bevölkerung. Dieser Zug hatte unsere Entscheidung Kambodscha als
Reiseziel zu wählen maßgebend beeinflußt. Tja, hat nicht geklappt.
Bamboo
Trains
Beim
Essen auf dem Markt, in der Gasse der Garküchen stießen wir auf
einen Khmer. Er hatte eine militärische Mütze auf und zählte ganz
viel Geld. Er arbeitete auf dem Markt. Er war nett und antwortete
immer ehrlich. Er fuhr uns sogar umsonst zu dritt zum Bahnhof, um uns
als Einheimischer den Tod der Bahn zu bestätigen. Alternativ
schiggerte er uns beiden Fettsäcke hinten drauf auf seiner Honda
raus, in die Pampa, wo die Bamboo-Trains zuhause waren. Bei jedem
Schlagloch schlugen die Stoßdämpfer durch. Ich vermutete mal, dass
das der Grund war, warum sie Schlaglocher hießen. Es ging ziemlich
weit raus aus der Stadt.
Wir
riskierten eine Fahrt mit dem Bamboo-Train, in die Richtung der
Reisfelder. Das war so krass, das gab es nur hier, in Kambodscha. Am
besten schaut Ihr euch mal diese Videos an, dann wisst ihr wovon ich
spreche. Sucht nach Bamboo Train!
Immer
wenn uns auf den Gleisen ein anderes Fahrzeug entgegenkam, und das
ist uns einige Male passiert, bauten die beiden Zugführer unseren
Bamboo-Train mal eben ab und wir ließen die anderen durch. Das
Regelwerk schrieb vor: wer am meisten geladen hatte, durfte auf den
Schienen bleiben. Daraus resultierte; nur Menschen = absteigen. Das
Ziel war eine Brücke über einem kleinen See weit draußen, mit
herrlichem Blick auf die Reisfelder. Dort herrschte sogar ein kleines
Getummel. Es hatte sich offenbar unter Touristen schon
herungesprochen. Wir schossen ein paar Fotos und genossen die
Aussicht. Auf dem Rückweg haben wir noch ein paar Khmer mitgenommen,
sechs Leute mit ihren Sachen. Die Schienen waren wirklich kaputt, wir
wurden mächtig durchgeschüttelt.
Unser
Kumpel, der uns hierher gebracht hatte, wartete noch immer auf uns,
um uns wieder zurückzubringen. Und er lud uns noch heute zu sich
nach hause ein. Wir lehnten dankend ab. Offen gesagt, wollten wir
nach der Strapaze nur abhängen, im Einklang mit Kambodscha.
Plan
B?
Am
Markt schmiss er uns wieder runter von seiner Honda und wir sammelten
noch eine Mütze voll Eindrücke.
Bei der
Inspektion einer Schüssel Pansen tippte mir eine Deutsche auf die
Schulter. Ob ich wüsste, wo man hier international telefonieren
könne, aber auf Englisch. »Nö«, sagte ich, ich hatte längst
bemerkt, dass sie 'ne Deutsche ist. Köm war auch nicht schlauer,
aber er bot ihr an, mal mit seinem Handy in Bangkok anzurufen. Der
Flughafen sei lahmgelegt. Warum nicht. War doch nur ein Steinwurf,
wenn man sich die Sache mal auf einer Weltkarte ansah.
Vergeblich,
sie kam nicht durch, auch nicht per Internet oder sonst wie. Aber sie
machte uns den Mund wässrig. Nein, nicht so wie du denkst, lieber
Leser, sie meinte, wir sollten kurz mal eben nach Thailand fahren, um
einen ganz berühmten schönen Strand abzuklappern (km:
sie meinte Koh Chang). War das Plan B? Wir aßen noch eine
Suppe zusammen, dann machte sie sich auf die Socken. Sie war schon
sechs Wochen unterwegs und auf dem Pfad einer zwölfmonatigen
Weltreise. Wegen der Unruhen in Thailand haben wir uns natürlich
nicht für Thailand entschieden. Schließlich hatten wir auch gerade
erst trainiert, was Danke auf Khmer heißt. »Ogun«, und zwar so,
dass nicht gleich alle lachen, wenn man es falsch ausspricht. Aber ob
sie lachen, was sie eigentlich immer tun, oder nicht; freuen tun sie
sich sowieso immer, wenn man sich ein bisschen verneigt und Ogun
sagt. Wir, die Barang, womit eigentlich mehr die Franzosen von
gestern gemeint sind, wie aber alle westlichen Touris heute noch
genannt werden. KaEm, der Barang und Roat, der Barang, die
Restalkoholiker vom Battambangsaufen; Spacken Nr. 1 und sein
Blödmannsgehilfe. Die, die wir mittlerweile auf Khmer zählen
können, so dass 1000 Riel (Mui Puan) von 3000 Riel (Bey Puan) zu
unterscheiden sind. Die, die wir sogar schon Dialekte bei Zahlen von
einer Stadt zur anderen zu unterscheiden glauben. Bey Puan und Bai
Puan. Ja, genau wir beide erheben unsere Dose, und entschlummern in
einen neuen Tag. Ein Tag, für den Plan B noch nicht geschmiedet
wurde. Wo man unter Umständen pennen kann, bis einen der Hunger
weckt. Den Mönchsgesang, den lob ich mir, das ist genau mein Klang.
Samstag, 8:53 Uhr
Dass
mich der Hunger weckte, konnte ich gerade nicht behaupten. Ich würde
sagen, es war die Glotze aus dem Nachbarzimmer. Khmer Musik voll
aufgerissen. Das hatte aber auch seine Vorzüge. Da fiel der
Hausabriss gegenüber gleich nicht mehr so ins Gewicht. Den
veranstalteten sie offenbar von Hand. Auf jeden Fall klopften da 100
Hämmer auf 100 Meißel, (Mui Roy) und einer der fleißigen Burschen
schwor sogar auf Druckluft und gab alles. Und wo ich dann schon mal
wach war, hatte ich auch schon gleich wieder Hunger. Da war ich
maschinell veranlagt. So ein Kilo Reis, das hielt bei mir nicht lange
an. Das wurde in meinen Eingeweiden in Bruchteilen pulverisiert und
gebräunt, es war eine wahre Freude das mitzuerleben. Natürlich
nicht für KoEm, wenn er nach mir auf den Schacht musste.
9:30 Uhr
Vom Bamboo Train retour, an so einem
Kreisel, mit einer großen Figur in der Mitte, mussten wir noch den
lokalen Tierbefreiungsaktivisten mit 'nem Dollar unter die Arme
greifen. Dafür gab es zwei Vögel: einen, der mich zweimal biss und
einen, der Robert keinmal biss. Vielleicht war ich doch zu grob zu
ihm. Zu dem Vogel. Vielleicht war ich nicht ausgelastet, seitdem ich
Roat nicht mehr so offensichtlich nach dem Leben trachtete. Dauerndes
Zuprosten baut scheinbar keine Aggressionen ab. Die Vögel sollten
irgend so einen Wunsch hinausflattern. Wahrscheinlich flogen sie
gleich wieder in die Hände der Häscher, des als gottgleich
verehrten Stadthalters/Gouverneurs von anno Knipps: Mitten in einem
quirligen Kreisverkhmer erhebt sich seine dunkle Statue, die trotz
Schnodderbalken wie ein Buddha aussieht. Sein Name ist Da Tambong –
wenn sich das man nicht schwer nach »Battambang« anhört! Es
bedeutet nichts anderes als »Oppa mit dem Stab«.
Davor
verstümmelte Personen, die sich hier offenbar ein Quäntchen
Seelenheil ergattern wollen.
Letzte
Station war gestern noch ein Lokal, das »erst« in 2-3 Tagen
aufmachen sollte. Bei gefühlten fünf Bieren genossen wir dieses
unvergleichliche Ambiente eines noch nie aufgeräumten Kinderzimmers.
Keine Ahnung wie dort in ein paar Tagen Struktur einkehren sollte.
Der
Harndrang trieb mich dazu, einen großen Fehler zu begehen. Das Klo
dieses angehenden Etablissements in der zweieinhalbten Straße sah
aus! Der ganze Boden vollgestellt mit unerledigtem Abwasch. Teller
mit Fischresten drauf, Töpfe mit was-weiß-ich-Suppe türmten sich
auf dem speckigen Fußboden. Wie durch den fettigen Küchendunst
herangeweht, erhob sich das Geschirr fast bis zum Rand der Ferguson.
Nach verrichteten Dingen wollte ich die Klospülung durchführen.
Dazu lag ein Schlauch am Boden. Als ich das Wasser aufdrehte und den
Schlauch mit spitzen Fingern vom Boden losriss, löste sich das
andere Ende vom Rohr und das Wasser ergoss sich munter plätschernd
auf den ganzen Kladderradatsch. »Schnell den Hahn zu und mit den
Händen über dem Kopf raus hier«, dachte ich laut schreiend in mein
Sisophon hinein, als der 1200l Wasserbehälter ins Schwanken geriet,
um nur Millionstel von Augenblicken später seinen Inhalt über mich
und das gute BASF-Porzellan zu entleeren. In einer Flutwelle aus
Essensresten wurde ich also wieder ans Tageslicht (23:00 Uhr) gespült
und erhob mich aus einem gelungenen Polterabend.
Phnom
Sampou
Sonntag, 20:00 Uhr
Wir sind erstmal schön mit gemietetem Moped zum Phnom Sampou
gefahren. Die Straße dahin war die übliche Katastrophe. Staub,
Staub, Staub und Schlaglöcher so groß wie norddeutsche
Mastschweine. Meine Augen sind natürlich übergelaufen vom Staub und
der Reaktion darauf. Die Cambodian Dustmakers fahren von morgens bis
abends durch die Pampa, um den Staub in den letzten Winkel der Nation
zu transportieren.
Am
Phnom Sampou haben wir uns einen Guide genommen, der uns alles
gezeigt hat. Zuerst die Killing Caves mit liegendem Buddha und
ausgestellten Menschenknochen. Die Roten Khmer hatten wirklich Lust
auf Grausamkeit. Sie haben den Leuten das Genick gebrochen und sie in
die Höhle runtergeworfen. Manche sollen wohl noch gelebt haben und
sind dann zwischen den ganzen Toten verhungert. Mönche, Lehrer,
Intellektuelle waren ihrer Opfer.
Statt
der 700 Treppenstufen erklommen wir den Phnom Sampou über eine
kleine Zufahrtsstraße die sich um den Berg schraubte. Nur so bekam
man letztlich alles zu sehen. Ein paar kleine Scheine landeten in den
Schalen der Mönche und Bettler. Oben dann noch ein Gebet von Kojak
und Jimi Hendrix, eins für den Abstieg und offensichtlich zwei für
den Heimweg auf der Schotterpiste. Der Stoßdämpfer schlug 18 mal
durch, und leichte Zündaussetzer machten von sich Hören. An einer
Kreuzung im Leerlauf ging das Moped gerne aus. Vorzugsweise am Markt
Psah Nat und im Gewusel am Rande eines Hiphop-Konzerts stadtauswärts.
Dazu kam, dass der Anlasser-Fußhebel nicht mehr so mitspielte, wie
das vor Stunden noch der Fall war. Er war inzwischen verbogen und
irgendwie hatte ich Schiss, mir in Sandalen die Füße am Auspuff zu
verbrennen. Gesund und munter konnten wir dennoch unsere Maschine
wieder vor die Vermietung lenken. Von der Staubmaske (Marke OP)
hatten wir braune Ränder unter den Augen und die Klamotten waren
unbrauchbar geworden. Herri, das war echt ein Ritt. Insgesamt gute
30-40 km. Der Tacho und die Blinker gingen übrigens auch nicht. Die
Khmer fuhren echt wie die Irren. Allein die Anzahl von Mopeds, meist
125er Hondas, ließ gar nichts anderes zu. Wenn eine Ampel
tatsächlich ernst genommen würde, wäre die Straße mit Rot
innerhalb von Sekunden verstopft mit klappernden, stinkenden
Rappelkisten. Ich glaube das braucht hier keiner. Die machen das
schon.
Zu
guter Letzt gab's nochmal gut was zwischen die Zähne. Wurde auch
Zeit. Die Mahlzeiten heute waren für mich ungeeignet. Während der
Geschmack von Zitronengras KaEm durchaus zusagte, verging mir davon
der Appetit. Allein der Aufstoß davon erzeugte Unbehagen. Vielleicht
hatte ich ja endlich mal was abgenommen. Zu sehen war jedenfalls
nichts.
Glücklich
und zufrieden fielen wir um 0:00 Uhr in die Falle. Ich verbrachte den
Rest des Tages damit, KaEm im Krankenhaus zu besuchen. Ich half auch
die Formulare auszufüllen. Außerdem machte ich die Schwester darauf
aufmerksam, dass das Beatmungsgerät an seinen Füßen angeschlossen
war. Der Kerl war kaum wiederzuerkennen. Seine eigene Mutter
verwechselte ihn mit meinem Mettbrötchen, als sie das Zimmer betrat,
vereinzelte Knochensplitter hielt sie für die Zwiebeln. Wie das
passieren konnte? Ich hatte ihn mit Kabelbindern an den
Deckenventilator geknüpft, damit dieser nicht mehr so fürchterlich
schnell drehte. Das war ja kaum zum Aushalten. Als ich nach getaner
Arbeit den Ventilator auf 3 stellte und mich zur Ruhe legte, muss
irgendwas vorgefallen sein. Nachbarn, vom Krach ganz bleich, hatten
die Feuerwehr alarmiert. Ich hatte nichts gehört, oder seine Schreie
waren mir einfach schon zu vertraut. Ich hoffte, dass er bis morgen
früh wieder fit sein würde, immerhin rappelte sein Handy um 5:50
Uhr, weil wir zum Bus mussten.
8
auf auf, zum Khmer
Montag, 30.11.08, 6:00 Uhr
Kacken, Packen, auf zum Bus. Nach'n Strand hin. Auf die Minute genau
hielt der Bus vor der Station, das war alles ein ziemliches Gewusel.
Irgendwie hat das immer alles voll geklappt, denen macht hier keiner
was vor. Die Strecke, diesmal mit größtenteils fertig geteerter
Straße. Rechts und links aus dem Fenster das gleiche wie überall
sonst auch. Stelzenhäuser, Reisfelder, Palmen. Jetzt neu:
Wasserbüffel und Berge am Horizont. Mehr große Hügel, keine Ahnung
wie hoch.
Viele
Fotos habe ich nicht geschossen, nur ein paar auf gut Glück. Leider
lag immer dauernd soviel Müll am Straßenrand und vor den Baracken.
Wie sollte ich das erklären?
Aber
ich war nicht hier um das zu Ändern. Mein Auftrag sah anders aus:
Reis am Strand, die Füße im Wasser – so in etwa lautete er.
Serendipity
Beach
Gegen
18:00 Uhr wurde es dunkel und wir waren immer noch nicht da. Den
ganzen Tag im Bus verbracht. Später war es dann eben doch so weit.
Geht doch nichts über eine voranschreitende Zeitachse. Der
TukTuk-Fahrer schmiss uns bei den Bungalows raus. Nobel, teuer, geil,
aber voll. Wir haben ein bisschen rumgesucht und dann für 20 $
eingecheckt. Mit Klimaanlage. Aber kein Meerblick. Sollte erstmal gut
sein für eine Nacht. Der Strand war in westlicher Hand, jede Menge
Krach und lauter Barangs. Hat aber trotzdem Bock gemacht. Etwas
abseits genehmigten wir uns einige Gläser und luden das Personal,
zwei Khmer-Bengels um die 20 zum Drink ein. Die waren echt baff. Ganz
am Ende kam ich sogar noch in den Genuss die Bluesharp zu spielen.
Auf einer Bühne aus Sand durfte ich eine Gitarre begleiten. Ach so,
zwischendurch waren wir ja noch in der »Innenstadt«, zumindest da
wo auch die großen Hotels stehen, um Geld aus dem Automaten zu
ziehen. Köm latschte prompt in einen Puff. Das konnte man von außen
gar nicht erkennen. Fassungslos starrten die vielleicht 25 jungen
Khmer-Mädels auf den bärtigen Holzfäller, einige waren schon
bereit zum Sprung. »Alter, Köm, Alter, das ist hier'n
Stundenhotel«, machte ich ihn aufmerksam. Handbremse, 180°. Gleich
nebenan war so 'ne Bar. Der Besitzer, so stellte sich heraus, hieß
Rainer und kam aus Stuttgart. Das hat dann erstmal gedauert. Er hatte
gute Tipps auf Lager, vielleicht hat er uns sogar das Leben gerettet,
indem er uns davon abriet die dunkle Seite des Strandes auf eigene
Faust zu erkunden. Halunken sollten sich dort herumtreiben. Wir
ließen davon ab.
zum
Otres Beach
Montag, 1.12.2008
Am
nächsten Tag, unsere Zimmernachbarn wurden kurzerhand ausgeraubt,
machten wir uns wieder auf die Socken. Wir wollten mehr - oder
weniger, wie man's nimmt. Ne spärliche Hütte irgendwo am Wasser.
Wieder
mit dem TukTuk, diesmal kam sogar dazu, dass ein Teil der Straße
völlig unbrauchbar war. So gesehen ist der Fahrer solange
durch die immensen Schlaglöcher gebrettert, bis er ein
Strandgästehaus in der Preiskategorie erreichte, welche wir ihm
während der Fahrt auf Anfrage zuriefen.
Wir
nahmen natürlich die Erstbeste.
Dort
hielt er an. Nicht unglücklich darüber, war doch sein
selbstgebastelter Kühlschlauch während der Fahrt aus der Halterung
gesprungen. Wir stiegen aus, bezahlten ihn, nahmen lieber das Zimmer
mit Meerblick und fühlten uns gleich total wohl. Ich war angekommen.
Ganz. Den Rest schreibe ich später, denn die nette Khmer steht schon
die ganze Zeit neben mir. Wir hatten einen Termin vereinbart. 1 hour,
6$. Massage am Strand mit anschließender Pedi- und Maniküre. Das
sollte mir jetzt mal einer nachmachen.
neugeboren
1,5 Stunden später:
Wie
neu geboren. Komplett durchgeknetet. Ich lasse mich umspülen von der
warmen, glasklaren Südsee und kann, wenn ich stehe, im Wasser meine
Füße sehen. Den Rechten hat sie mir viel zu kurz geschnitten, ich
mag es ja eigentlich länger. Auf den anderen Fuß habe ich dann
verzichtet.
Nachdem
die ganzen wegelagernden Mädchen und Jungen all ihren Kram an uns
vertickt haben, ließen sie von uns ab und zogen ihrer Wege. Das
spricht sich rum, wenn neue Barang in der Gegend sind und sie lassen
auch nicht locker. Wenn alle so freigiebig sind wie ich, können sie
prima davon leben. Und das im Paradies. Zu meinen Füßen liegt ein
Hund, ein Hahn führt seine Hennenschar zwischen unseren Tischen
spazieren. Alle paar Minuten brüllt er los. Köm geht irgendwo am
Strand spazieren, in Badehose versteht sich, während ich
nachbestelle. Als ich ihn dann später schwimmen sehe, vermeide ich
es tunlichst, ihn darauf hinzuweisen, dass sich ihm ein Hai nähert.
Ich finde nicht die Kraft, laut zu rufen, so entspannt bin ich. Ich
glaube, ich habe ihn nie wieder gesehen.
Aber
glauben hieß nicht wissen. Ich schlug die Hände über dem Kopf
zusammen als er plötzlich doch wieder in der Hängematte schaukelte
und auf die aalglatte See starrte. Er hatte schon wieder diesen
Khmer-Blick und seine Blessuren gingen langsam zurück.
Ich
hatte die Wahl; ging ich noch mal eben ins Wasser, oder wartete ich
vorher das Essen ab. Ich entschied mich für die Hängematte. Die 3m
von unserem Zimmer bis zum Sand schienen mir zu weit. Ich könnte ja
eben noch schnell beschreiben, wie das Meer rauschte oder wie grün
die Inseln waren, deren Namen ich sicher auch noch rausbekam, dort
draußen auf halblinks. So langsam bekam ich Farbe. Hach, war das ein
Leben. Jetzt musste ich nur noch KoEm loswerden, denn er bombardierte
mich schon wieder mit Fragen. Erst austrinken oder gleich bestellen?
Ich stimmte zu, den Blick aufs Meer gerichtet.
Die
Küche war vorzüglich, jedenfalls das Essen. Irgendwann war etwas
Fisch übrig geblieben. Damit rieb ich Köm's Schnorchel ein. Die
Chilipaste sparte ich mir auf. Durch sie ersetzte ich später die
Flüssigkeit für seine Kontaktlinsen. Der würde Augen machen, das
kann ich dir sagen.
Den
Sonnenuntergang zu beschreiben, kann ich mir glaub' ich sparen. Ich
habe 50 Fotos von ihm gemacht. Wir hatten, hier am Otres Beach, extra
darauf geachtet, dass das Meer am Wasser liegt und nach Westen zeigt.
Wenn schon, denn schon. Als die Dunkelheit einkehrte, ließ unser
Vermieter den Generator an. Ich dachte schon, wir hätten nicht nur
keine Spülung sondern auch keinen Strom. Dem war aber nicht so. So
konnte Köm seinen Föhn doch noch benutzen, da war er ja pingelig.
Was
soll ich dazu noch sagen, außer: »stimmt ja gar nicht!«?
Wir
liegen hier am Felsenriff. Das Wetter ist total mies und das Essen
liegt bei 30° im Schatten. Aaaah! Da kommt ja endlich die Polizei,
die ich angerufen habe. Die stecken Roat, den alten Khmer, erstmal
ein paar Jahre ins Loch.
Brauner
Reis
19:30 Uhr?
Ich sitze jetzt hier und mache erstmal eine Schüssel braunen
Reis. Roat hat angerufen, aus dem Knast. Wie dämlich muss man sein,
sein einziges Telefonat an mich zu verschwenden? Er jammerte
irgendwas von erbärmlichen Zuständen, Krankheiten, Ketten und
sadistischen Wärtern. Ich hab ihn einfach weggedrückt. Ich lass mir
doch nicht den Urlaub von sowas verderben. Ober! Bring's noch a Maß!
Endlich hab ich Ruhe. Lebenslänglich hat er gekriegt. Kein Wunder,
ich hab ihm ja auch erstmal ein Kilo Kokain in die Mütze eingenäht.
Jetzt schmeckt bestimmt auch das japanische Bier.
Dass
der Strom hier aus dem Generator kommt, muss ich ja wohl nicht extra
erwähnen. »Waschbecken« ist hier ein Fremdwort. Dazu dient ein
Loch im Boden, in das auch das Duschwasser abläuft. Darüber ein
Hahn und gut. Es kann alles so einfach sein, wenn man auf Fliesen und
so einen Tinneff verzichten kann. Wände aus verflochtenen
Palmblättern, Dächer auch. Paar Bambusstangen, fertig ist die
Laube.
Da wo
wir jetzt sind, im Südwesten von Kambodscha, leben die Khmer-Bayern.
Wie die das Ogun aussprechen, also echt. Da reist man durch das halbe
Land und jeder erzählt dir was anderes.
Kann ja
wohl nicht angehen. Aber wie nett die Vermieter sind, glaubt mir auch
keiner. Kurz drei Beispiele für den zweiten Stern unserer Behausung:
kein
Kleingeld? Sie greift in die Kasse, beziehungsweise das Portmonnaie
ihres Mannes und leiht mir 10 $.
SIM
Karte leer? Er ruft seinen Kumpel in der Stadt an und der gibt mal
eben 'ne Nummer durch, mit der KaEm aufladen kann.
Zichten
alle? Sie schickt ihre Bengels mit dem Moped los, welche holen. Dabei
sind die erst 10 oder 11.
Vielleicht
hatten sie ja sogar eine Schaufel für mich, damit ich Köm damit
eins überziehen konnte.
So
saßen wir als die einzigen Gäste einer liebevoll erbauten
Bambusvilla in Ruhe und hofften ein bisschen, dass der Generator zum
dritten Mal für, sagen wir, 10 Minuten ausfällt, damit man die uns
noch unbekannten Sterne besser sehen konnte. Da sich unser Vermieter
aber vor einer Woche den Arm gebrochen hatte, welcher nur notdürftig
mit Lappen geschient wurde, wünschte ich mir natürlich dass der
Moppel durchhielt. Das Rumgefummel im Dunkeln war für ihn sicher
eine Qual. Apropos Qual: er hatte sogar zwei Schaufeln. Ich nahm dann
die Große.
21:40 Uhr
Wenn zwei Barangs stündlich je zwei
Bier trinken, reicht das aus, um den Generator wirtschaftlich laufen
zu lassen. Die ganze Beleuchtung ist nur für uns. Und vielleicht
lockt es ja auch noch wen an, sich hier verköstigen zu lassen. Gute
fünf Leuchtstoffröhren und vier Energiesparlampen werden im
Endeffekt mit 1,3l Bier pro Stunde betrieben. Und natürlich muss die
Familie noch davon leben.
Auf
der Kühltruhe – die ohne Strom, sondern mit Eisblöcken läuft –
liegt ein Zettel, auf dem wir unsere Bierstriche jetzt selber machen.
Die Famulle pennt schon. Wir legen lieber noch einen zweiten Kuli
bereit, der andere wird nicht mehr lange halten, bei diesem unseren
Öffnungsverhalten.
Während
der Sand an meinen Füßen trocknete, machte Köm noch zwei Striche.
Er bat um eine Petroleumlampe und trat dabei barfuß in Hundescheiße.
Beim Abwaschen der Kacke im Wasser holte er sich eine nasse Hose. Der
Abend entwickelte sich nach meinem Geschmack.
Der
Sternenhimmel war ein Knaller. Alles voll. Orionnebel lag schon auf
der Seite, wir konnten noch. Der Weg von meinem halb zerrissenen
Liegestuhl bis zur orangenen Kühlbox zeigte schon erste Anzeichen
von Furchenbildung. Wenn das so weiter ging, fiel morgen jemand in
einen Abgrund auf dessen Grund glühende Lava loderte. So musste die
Hölle aussehen. Ein Weg zur Kühlbox aus glühender Lava.
0:38 Uhr
Überall in der Welt gibt es Lügner und
Betrüger. Sogar unter Hühnern. Aber das interessiert uns gerade
sowas von gar nicht! Warum kam mir das gerade jetzt in den
Parolenspeicher? Keine Ahnung.
Gerade
hat sich noch jemand hierher verirrt. Er ist ein Khmer von 34 Jahren
und heißt Amy. Er ist superknatter und will noch einen losmachen.
Aber so, wie er gerade in der Hängematte hängt, ist er nicht der
große Partyhengst. Er kann schon nicht mehr auf die einfachsten
Sätze reagieren. Sein Bierschluckauf kommt gesund und regelmäßig.
Ein Mann nach unserem Geschmack. Ein Mann mit Gesicht.
0:58 Uhr
Amy sagt zwei Ausdrücke für Prost auf Khmer:
So
genau konnte man das irgendwie nicht heraushören. Auch nicht,
nachdem er es mindestens 20 Mal gesagt hat.
1:59 Uhr
Nicht ohne Stolz muss ich berichten, dass wir – Roat und Köm –
die letzten sind an diesem Strand. Keine (in Buchstaben: KEINE) Bar
hat noch auf! We are the last resort!! Überall ist Nacht, nur hier
scheint die Energiesparlampe. Auf diesen 3 km sind nur noch drei
Leute wach: Amy, Roat, Köm. Und hier sind mindestens 50 Bars. Der
Securityvogel von nebenan konnte mir keine Zichten verkloppen.
Nebenan ist noch eine letzte Bar, die noch Licht hat. Aber nur, weil
der Schutzmann im Dunkeln Angst kriegt in seiner Hängematte, und
sonst nicht pennen kann.
2:15 Uhr
Berichtigung einer Fehlannahme: nachdem wir Angkor nachgesoffen
haben, schmeckt ein Beer Lao nicht wie ein Angkor Bier. Wir nahmen
fälschlicherweise an, dass hier jedes Bier gleich schmeckt, außer
das japanische. Ich beuge mein geschundenes Haupt vor
kambodschanischer Bierbraukunst!
2:29 Uhr
Roat hat Pipas aufgetischt und Amy frisst die Teile, als wenn er
die schon immer kennt. Gibt es hier Sonnenblumen?
2:51 Uhr
Ich mache es wie die Khmer, aber eben ist doch schon wieder der
große Onkel nass geworden. Dann kommt wohl doch wieder Sand ins
Bett. Wer nie Brot im Bette aß, ...
Dienstag, 2.12.2008, 9:00 Uhr
Ich
schlug die Augen auf und prüfte km's Geisteszustand. Da war nicht
mehr viel zu machen, also streifte ich mir die Badehose über und
ging die 5 Meter bis zum Wasser zu Fuß. Glasklar und spiegelglatt,
die kräftige Sonne spielte mit den harmlosen Wellen. Erstmal 'nen
Kaffee, die Kühlbox würde noch 'ne Weile brauchen, bis sie auf
Temperatur war. Die Strandbar, unser Zuhause, füllte sich langsam
mit Gästen, das gute Essen hatte sich offensichtlich
herumgesprochen. Amy, unser Kumpel von gestern Abend, torkelte schon
wieder mit 'ner Dose Angkor zwischen den Stühlen herum, ich
fürchtete schon den würden wir nicht mehr los. Um Ruhe vor ihm zu
haben, setzte ich mir die Taucherbrille auf und tat im Wasser
beschäftigt. Es funktionierte. Viel zu sehen gab es unter Wasser
allerdings nicht, 'ne Menge kleiner Fische, paar Krebse und Muscheln
im ansonsten tadellosen Sand. Aber hier ging es mehr ums Prinzip. Ein
Taucher, der nicht taucht, taugt nix, wem sage ich das, und das ließ
ich nicht auf mir sitzen. Köm nervte indes mit ständigem
Umgeblätter in seinem Roman die Gäste. Sie suchten Entspannung und
er lag rum und las ein Buch! Das sorgte natürlich für Empörung.
Die Bestrafung Köms für diese bodenlose Dreistigkeit überließen
sie Gott sei Dank mir. Zwischen Kaffee und Zigarette holte ich ein
neues Magazin und lud nach. Ich hoffte, der Fall wäre für heute
erledigt, aber ich hatte mich zu früh gefreut. Wie durch ein Wunder
überlebte er seine Bestrafung und blieb dem Guest House als
zahlender Gast erhalten. Anscheinend musste ich größere Geschütze
auffahren. Wo hatte ich denn nur die Nummer von diesem
Flugzeugträgerkommandanten? Hätte ich bloß meine Klamotten besser
zusammengehalten. In dem Chaos, das wir bis jetzt in jedem
Hotelzimmer angerichtet haben, fand man ja nichts wieder.
11:30 Uhr
So,
jetzt habe ich mir auch so 'ne Massage andrehen lassen. Aber eine
Gnadenfrist von einer halben Stunde bleibt mir noch. Die werde ich
schwitzen lassen. Ich werde jeden Muskel anspannen, hart wie Granit.
Da soll sie sich erstmal durchquälen. Hä-hä-hä!
Gestern
habe ich immer abgelehnt und »no, maybe tomorrow« gesagt. Heute
habe ich »Okay« gesagt. Da kommt doch glatt 'ne andere an und tut
beleidigt. Warum ich jetzt bei 'ner anderen zugesagt hätte? Was weiß
ich denn, wen ich gestern alles abgelehnt habe. Man erwischt sich ja
schon oft genug selbst dabei, dass man »no« sagt, ohne seinem
jeweiligen Gegenüber auch nur einmal in die Augen gesehen zu haben.
Das ist unhöflich, jedenfalls nach meinem Ermessen. Das hört sich
jetzt vielleicht so an, als würde man hier ständig belagert von den
Barangfängern. Nein, alle halbe Stunde vielleicht kommt mal jemand
rum und fragt kurz und meist auch ohne jede Hartnäckigkeit. Aber
wenn man erstmal »yes« gesagt hat, ist man plötzlich umringt von
diesen freundlichen Gesichtern.
Ich
habe erstmal Schwarzpulver in das für Roat bestimmte Massageöl
gekippt. Und zerschnippelte, gesalzene Rasierklingen. Das wird ein
prickelndes, einschneidendes Erlebnis für ihn.
13:20 Uhr
Die Massage war ganz ok. Nicht bemerkenswert, aber die
Entspannung war super. Man merkt, dass die große Abrissbirne,
genannt Zeit, auch an diesen Frauen nicht vorbeigeht. Das
Massage-Business scheint fest in der Hand der Enddreißigjährigen zu
sein. Narben im Gesicht und an den Händen, rote Äderchen auf den
Wangen, breite Hüften und dicke Oberschenkel. Sicherlich auch schon
ein Ansatz von Bingo-Wings. Das soll aber nicht heißen, sie wären
hässlich, sondern auch nur Menschen, die mit der Zeit dem
körperlichen Verfall ins Gesicht blicken müssen.
Die,
die mich massiert hat, ist 39 (samsab bram buun). Sie hat also das
ganze Elende mit Krieg und Bürgerkrieg miterlebt. Sie war sechs, als
die Roten Khmer ihre Blutgier und ihre Lust auf Unterjochung über
dieses schöne Land stülpten. Wie soll man sowas je vergessen? Auch
hier heilt die Zeit jede Wunde, aber Narben bleiben immer zurück.
Man konnte es wirklich in ihrem Gesicht ablesen. Eine tiefe
Traurigkeit ging von ihr aus, wenn sie sich auf ihre Arbeit
konzentrierte.
Aber
es gibt auch noch heiteres zu berichten: Roat ist in seinem eigenen
Blut ertrunken. Sein Körper sieht aus, als hätte man ihn
stundenlang beim Bamboo-Train-fahren kielgeholt, und dann angezündet.
Aber
ich brannte nicht. Ich war zu nass von innen. Schon nach der zweiten
Dose ging's mir wieder gut. Ich holte zum ersten Mal in diesem Urlaub
mein Leatherman Supertool aus dem viel zu großen Rucksack und
entfernte 2, 3 Rasierklingen ohne großes Gerede aus meiner Haut. Bei
der vierten brannte es ein bisschen, viel schlimmer waren die
letzten, die abgebrochenen. Da musste ich dann doch die Zähne etwas
fester zusammen beißen.
Das
Meer sah schon wieder aus, als hätte Buddha die Wasserwaage
rausgeholt. KaEm ist in seinem Liegestuhl eingeschlafen. Es gelang
mir sein Handy aus seinem grauen East-Pack HipBag zu angeln. Ich
musste mal telefonieren; ein Gong musste her. »Beim Gong-Versand
bestellt, in 10 min geliefert«, das war ihre Devise. Zwei junge
Männer stellten einen Gong neben km's Liegestuhl, für den man eine
Leiter brauchte, um die Mitte zu treffen. Ich sagte noch: »Pass auf
mit Deine Badelatschen, Junge, das Ding ist schwer!« Hatten die hier
keine Sicherheitsschuhe?
Ich
erklomm die Leiter und holte mit dem übertriebenen Klöppel aus zum
Klang. Ich glaube, davon hat er sich 'ne Weile kaum oder gar nicht
erholt. Es war schon schwer genug seine Trommelfelle überhaupt zu
finden, in dem ganzen Durcheinander.
Einige
Zeit später ignorierten wir hartnäckig die Tsunami-Warnungen, die
sie überall durchgaben. Den wollten wir sehen, der uns aus diesem
Stuhl hochkriegte. Poseidon selbst hätte seine liebe Mühe gehabt.
Als die Welle dann aber doch von weit draußen merklich sichtbar auf
uns zurollte, fasste ich mir ein Herz und erhob mich ohne Hast aus
dem hölzernen Gestänge. Nicht ohne vorher noch ein paar Fliegen zu
verscheuchen. Die Welle war schon viel näher. Entschlossen ergriff
ich die Tat. Mit einer Hand klappte ich den Strand hoch, so dass die
Welle über uns hinwegrollte, mit der anderen machte ich ein Foto. Es
ist aber nichts geworden, ich musste es leider löschen. Von der
Welle haben wir nie wieder was gehört. Als ich danach aufwachte,
überkam mich eine leichte Müdigkeit und ich schlief wieder ein.
So und
ähnlich vertrödelten wir die Zeit. Die Sonne hatte schon ihren
Schlafanzug an und putzte sich gerade die Zähne, da kam KaEm auf die
irrwitzige Idee am Strand zu joggen. Für eine Sekunde hätte ich
auch beinahe überlegt mitzukommen, doch ich hatte gerade gegessen.
So stellte ich mich 'ne Weile ans Wasser und zählte ein paar Wellen.
Irgendwann kam ich durcheinander und musste von vorne anfangen, das
war dann doch ein bisschen ärgerlich. Es war wohl besser, sich bei
sowas Notizen zu machen, also ging ich in unsere Bambushütte und
holte einen Block. Laut quietschend öffnete ich die alte Tür, die
vom Seeklima leicht verzogen war. War Köm eigentlich schon
aufgefallen, dass ich seinen Rucksack den Hunden zum Spielen gegeben
hatte? Seine Sachen warf ich einfach ins Khmer. Weil sie aber immer
wieder angespült wurden, konnte ich nurmehr einen vorbeifahrenden
Fischer bitten, den Unrat weit mit raus zu nehmen, um alles zu
verklappen. Er lehnte ab. Er wolle sich doch nicht die Fanggründe
vergiften, wovon sollte er seine Familie ernähren? Sicher ist ihm
der Geruch der nassen Sachen auch schon aufgefallen. Als ich den
Namen KoEm dann laut aussprach, packte ihn das nackte Entsetzen und
er ergriff laut schreiend die Flucht. Mir standen die Haare zu Berge,
doch war ich schlau genug eine Tüte mit dem ganzen Zeug an sein Boot
zu binden, ohne dass er davon Wind bekam. So hat er letztlich den
Plunder doch noch weit mit hinaus genommen. Wie sich später
herausstellte, begann kurz danach eine verheerende Hungersnot dieses
Land erneut in tiefe Depression zu stürzen. Die Wolken, die sich
über dem Areal mit Köm's versunkener Wäsche bildeten, waren zu 80
% reines Dioxin, der Rest bestand aus Salz- und Schwefelsäure.
Missernten waren die Folge, ganze Landstriche waren für immer
unfruchtbar. Ich hätte es nicht so weit kommen lassen sollen, das
habe ich heute eingesehen. Es wird nicht wieder vorkommen.
Der
Wiederaufbau war schnell erledigt, alle packten mit an und pünktlich
zum Sonnenuntergang war alles wieder in Butter. Heute wollten wir
während des Sunsets mal was Verrücktes machen, und so haben wir
unsere Kissen rausgeholt. Auf die Weise konnten wir viel länger
verharren. Etwas Abwechslung trat auch in unser beschauliches Leben:
der Generator sprang gleich beim ersten Mal an und, was der Sache
noch die Krone aufgesetzte – schon 5 min eher als gestern gab es
Licht. Das war mir dann doch zu viel, da kam ich völlig aus dem
Trott. Doch bevor ich dadurch noch nervös wurde, ließ ich mich
lieber noch ein wenig zurückfallen.
Diese
klapprigen Liegestühle sind eine Offenbarung für den geschundenen
Barangleib. Gestern haben wir mindestens 8 Stunden bewegungslos darin
fünf gerade sein lassen. Der Körper zeigt nicht die geringste
Gegenreaktion. Wenn das kein Zeichen für gesundes Abhängen ist,
dann bleibe ich einfach liegen.
Irgendwann
gewann dann doch mal wieder unsere unbeugsame Abenteuerlust Oberhand
und wir flanierten am Strand entlang in nordwestlicher Richtung.
Die See
war rauh und der Wind peitschte uns um die Ohren, unsere Augen zu
Schlitzen zusammen gekniffen. Wir konnten kaum noch was sehen. Alles
Quatsch. Gar nichts. Nur dunkel, der Mond brach durch den sanften
Wolkenschleier. Unser Auftrag war definiert, ich las mir nochmal den
Marschbefehl genau durch: zu einer Bar, wo sie unseren MP3-Player
anstöpseln können. Bei der ersten Bar stimmte das Flair, wir ließen
uns nieder. Das mit der Musik haute zwar nicht hin, aber das Essen
war gut. Das Bier kannten wir bereits in und auswendig. In Gedanken
hatten wir die hier in Sihanoukville ansässige Brauerei des
Angkor-Bieres schon besichtigt. Die Preise zogen leicht an, aber für
insgesamt 10 $ zogen zwei Barang gesättigt, weniger durstig ein
Stück weiter. Die letzte Bar am Strand konnte uns dann im großen
Stil weiterhelfen. Der überaus freundliche Kellner, sein Name
stellte sich im Verlauf als Solpheap heraus, klinkte einfach seinen
Mini-DVD-Player aus, wo Khmer-Musik rauskam und mein MP3-Player
übernahm das Ruder.
MetallicA
Von nun
an schallte MetallicA auf die See, wir begannen einfach mal mit Lied
Nummer vier, The Day that never Comes, um dem Abend eine angemessene
Dramaturgie zu verleihen. Der Rest ergab sich von selbst. Ich konnte
es erst gar nicht fassen – so viel Glück an nur einem Tag! Hätte
ich bloß auf Holz geklopft, hätte ich dem Mönch heute Morgen nur
ein Scheinchen zugesteckt und sein Gebet abgewartet...
Als
einige Zeit verstrichen war, wurde KaEm plötzlich unruhig. Wir
hatten unsere Kladde, sprich diese Geschichte, auf unserem Tisch bei
den Liegestühlen offen liegen gelassen, normalerweise vertrauten wir
den Leuten in unserer Behausung blind. Man konnte dort alles liegen
lassen. Wenn das jetzt aber länger dauert mit Metallica, und darauf
lief es ja meist hinaus, konnte es doch sein, dass Amy der
Dorftrinker um die Häuser schlich und vielleicht konnte er nicht
widerstehen. Er stand auf das geschriebene Wort aus westlicher Welt,
wie er sagte. Zwar sagte er das im Suff, aber gesagt ist gesagt.
Maukenpech
Ich
stratzte also die paar 100m zurück und holte die Kladde. Sie lag
dort wie gehabt, natürlich. Auf halber Strecke des Rückweges zur
Bar, die ich wieder im Laufschritt zurücklegte, um nicht soviel vom
nächsten Lied zu verpassen, latschte ich mit voller Wucht in einen
Seeigel. Am Strand lag eigentlich nie auch nur irgendwas. Er war
immer tadellos sauber. Wieso lag genau jetzt als einziges Hindernis
hier ein Seeigel?
Ich
ließ mich wie einen Sack fallen, um nur keinen weiteren Schritt auf
dem betroffenen linken Hacken zu riskieren. Die Kladde fiel dabei
fast in die Brandung, eine herannahende Welle leckte schon am
schwarzen Karton. Ich robbte 3m strandaufwärts und untersuchte mit
Köms Lampe den Fuß. 10 lange Stacheln steckten in der aufgeweichten
Hornhaut. Bei der kleinsten Berührung brachen sie ab. Mein Leben zog
wie ein Film an mir vorüber; meine Taufe, mein erster Audi, die
Geburt meines Sohnes. Es war ein Audi 80 GL in Inarisilber, aber ich
schweife ab. Mit bloßen Händen kam ich hier nicht weiter und so
schleppte ich mich gebeugten Hauptes den Rest des Weges zur Bar, wo
Köm mit einem Bier Vorsprung, den Fuß im Takte, meine Ankunft
missbilligte. Im ersten Moment dachte ich freilich mein Resturlaub
wäre irgendwie im Eimer, das kannst du mir glauben.
Der
andere Kellner, Chamreorn (20) untersuchte betroffenen Blickes meine
stachlige Mauke und holte einen Seitenschneider für Fußnägel.
Seine feingliedrigen Finger stellten sich sehr geschickt an, ich
hätte es niemals besser machen können. Außerdem brauchte ich
langsam eine Brille. Das Gröbste konnte er operieren, aber die ganz
tiefen Stachelstücke, dort wo die Sonne niemals scheinen würde, an
ihnen biss selbst er sich die Zähne aus. Ich beließ es dabei und
lud ihn und seinen Kumpel zum Bier ein. Er war von den Socken und so
setzten sich die beiden zu uns, der Abend war noch nicht verloren.
Irgendwann
später bollerte es im Gebälk. Chamreorns Mutter wollte, dass Ruhe
ist. Khmer-Mütter stehen also nicht auf Heavy Metal. Ein seltsames
Völkchen ist das hier. Der Generator wurde auch abgestellt und wir
machten ein bisschen weiter im Takte. Als die zweite Kerze
heruntergebrannt war, wurde es langsam spät. Nach dem Austausch von
Klingeltönen und Abschiedsformeln, gingen wir dann irgendwann heim.
Chamreorn hatte sich schon abgelegt und Solpheap schwächelte nämlich
auch schon.
Wir
gingen also zurück zu unserem Rotanak'schen Gästehaus. Nach zwei
weiteren Dosen legte ich mich in eine der Hängematten, die mit
integriertem Moskitonetz, und pennte bis zum Sonnenaufgang. Als ich
aufwachte, fand ich erst den Reißverschluss nicht und bekam schon
Panik, dass ich den Rest des Urlaubs in dieser Art Leichensack
verbringen sollte. Das wäre ja eine schöne Scheiße geworden. Ich
schrie: »Roat! Herkommen!«, und er kam folgsam in seiner linkischen
Art auf den Knien angeschliffen. »Aufmachen, sonst setze ich dich
wieder auf Almosen!«, befahl ich. Es konnte so einfach sein. Ich
ließ ihn dann noch ein zweites Angkor bauen – etwas größer als
das Original natürlich – und danach ignorierte ich ihn einfach ein
paar Jahre.
Gerade
kam die Marssonde Pathfinder vorbeigekrochen. Ich finde, so schlecht
ist die Straße am Otres Beach nun auch wieder nicht. Als sie Roat
entdeckte, schwenkte sie einfach gelangweilt ihr Kameraauge weg,
immerhin war sie auf der Suche nach intelligentem Leben.
Aber da
sie schon mal da war, verfing sie sich in Köm's stattlichen Vollbart
und zerrte ihn ein Stück mit. Das kam mir entgegen, so konnte ich
die Ruhe genießen und Papierboote aus seinem Buch basteln. Sie
würden ein gelungenes Motiv abgeben wenn heute Abend die rote Sonne
erneut im Meer versinkt. Stark mitgenommen kroch km später auf die
Strandliege zu und erflehte eine Massage. Ich hatte bereits gestern
mit der Khmer-Masseuse Array ausgemacht, dass ich ihr zwei Dollar
extra geben würde, wenn sie bei ihm statt ihrer magischen Hände,
diesen Knüppel verwenden würde, den ich bereit gelegt hatte. In
froher Erwartung darauf schnappte ich mir ein Buch und las bis mein
Handy mich daran erinnerte, meine Malaria-Tablette zu nehmen.
Pünktlich
wie 'ne Khmer-Masseuse kam Array mit ihrem Gefolge den Strand
entlang. Ich machte ihr klar, dass das mit der Fußmassage heute
nichts wird. Mittlerweile hoben sich 21 Einstichlöcher leicht
gerötet vom Rest der Fußsohle zur Hacke hin ab. Nari, das war die
mit dem ganzen Armreifen und den Muschelkettchen, betrachtete mit
geschultem Auge die Bescherung. Sie zückte eine ihrer
Sicherheitsnadeln und machte sich ohne der Nachfrage sogleich ans
Werk. Sie hatte was darauf, dass merkte man gleich. Während ich auf
dem Bauch liegend massiert wurde, pulte sie mir 21 Stacheln aus der
Quante, jeden Erfolg zeigte sie mir persönlich, der längste maß
2,5 mm bei einem Durchmesser von knapp unter 1 mm. Von Entspannung
keine Spur. Meine Muskeln waren hart wie Espenlaub, Array kämpfte
sich durch meine angespannte Situation.
Ich
biss auf die Ecke vom salzigen Handtuch und wusste doch dabei, je
tiefer Nari sich mit ihrer Sicherheitsnadel bis zum Knochen
vorarbeitete, umso erfolgversprechender war dieses Unternehmen. Nach
einer Stunde war das Thema durch. Als Dank kaufte ich ihr eine
Gefriertüte voll Kettchen ab und Armbänder. Das als Erklärung für
den Haufen, den ich jetzt mit nach Hause schleppen musste, sollte
genügen.
Ging
das hier am Ende doch noch gut aus? Jedenfalls hatte ich vorgesorgt,
ich überließ nichts dem Zufall. Dem jungen Mönch der heute Morgen
vorbeikam, gab ich Geld, kniete mich vor ihm hin und legte die Hände
aneinander.
»Lieber
guter Mönch: mach irgendwas mit meinem Fuß; vor'm Essen wäre
super«, dachte ich während er monoton was sang. Konnte jedenfalls
nicht schaden. Es würde sich zeigen, ob sich da was entzündet oder
zuwächst oder beides.
Den
Rest des lichten Tages ist nicht mehr allzu viel passiert. Köm wurde
insgesamt zweimal verletzt irgendwo aufgefunden, in einem an
Verwahrlosung grenzenden Zustand versteht sich. Ich griff ihm unter
die Arme und riet zum Kauf einer Ananas. Er musste sich mit der
äußeren Schale zufrieden geben, während ich mich über das süße
Fleisch hermachte. Sowas hatte ich nie zuvor gegessen. Sowas Leckeres
meine ich. Wäre ich gar nicht drauf gekommen, weil dazu meist kein
Ketchup gereicht wird. Hatten wir also wieder was dazugelernt, auch
Mango und Banane. Obwohl alles was er essen durfte vorher in den Sand
gefallen war, rieb sich Köm voll Wonne die Pauke.
Der
Obst-Kmehrin kaufte ich dann noch den Mangokern für 50 Dollar ab.
Von Roats Geld versteht sich. Ich schmiss ihn den Ameisen vor die
Füße. Sie stürzten sich gierig auf die Mangoreste und fraßen ihn
blank. Das dauerte mindestens eine Woche. Kurz bevor sie ihr Festmahl
beendet hatten, hob ich den Kern auf und legte ihn, mit gut 200
Ameisen darauf, auf Roats Rücken. Diesmal waren sie schneller.
Deutlich schneller sogar. Sie zerrten ihm das Fleisch so fix von den
Knochen, dass er nicht mal seinen allerersten Schmerzenschrei zu Ende
bringen konnte. Ich lachte, bis mir alles weh tat und warf seine
Knochen den Hunden zum Fraß vor.
Dann
schwamm ich mit der Kühlbox auf dem Rücken mal eben nach Koh Russei
(Bamboo-Island) rüber und beendete den Tag mit einem kühlen Angkor
Bier aus der 640ml Flasche unter Kokospalmen.
Nachdem
ich das nun alles gerade so überlebt hatte, mein Fleisch
nachgewachsen war, kurz nachdem die Hunde von mir abließen, zählte
ich nochmal meine Knüppelsammlung durch. Einer fehlte. Ich ersetzte
ihn durch einen noch größeren. Das Meer hatte Gott sei Dank gerade
ein Kantholz angespült, welches ganz gut in der Hand lag. Mal sehen,
wenn sich Köm vielleicht doch noch einen Sonnenbrand einholen würde,
ergab sich eventuell noch was. So ohne Sonnenbrand, das war doch
langweilig.
Wo ich
jetzt wieder laufen konnte, atzten wir mal rüber, den Strand runter
um ein Boot zu mieten, oder besser gesagt, an einer kleinen Tour
teilzunehmen. Drei Inseln nacheinander, die letzte davon vermutlich
Bamboo-Island. So genau wusste die Barang in der Bar das auch nicht.
Das läge an uns. Na dann, das konnte ja wieder was werden, so von
9-16:00 Uhr. Wir erwogen sogar auf Bamboo-Island eine Nacht zu
verbringen, falls es uns dort gefiel. Unser altes Zimmer würden wir
einfach nebenbei laufen lassen. Für 3,50 $ pro Person/Nacht packten
wir noch nicht mal mehr zusammen, so faul sind wir im Paradies
geworden. Was brauchte man schon? Kissen, Decke, Mückenzeug, Seife
wenn's hoch kommt. Alles andere war immer überall zu bekommen, mal
ehrlich, sogar das Handynetz war flächendeckend vom Dschungel bis zu
den Inseln. Und plötzlich war die Sonne schon wieder weg. Das ging
aber schnell. War ich nicht gerade eben erst aufgestanden und
zuallererst ins Wasser? Humpelnd? Die Zeit raste. Morgen würde schon
Donnerstag sein, wenn alles gut ging.
Später,
zur Faulheit vedonnert, schaute ich hin und wieder in die Runde.
Solange der Generator noch Licht lieferte, könnte ich Köm ja noch
ein wenig Manieren beibringen.
Unsere
heutige Lehrstunde behandelte das Wort »Bitte«, und zwar
flehenderweise mit dem Wunsch nach Gnade. Als erste Aufgabe, quasi
eine Heranführung an das eigentliche Thema, namentlich die mehrfache
Aussprache des Wortes Bitte in kurz aufeinanderfolgenden zeitlichen
Abständen, nun, als erste Aufgabe übten wir die Fortbewegung auf
allen Vieren. Ich ließ ihn am Strand seine Zähne suchen. Das
Neonlicht, dass die Fliegen anzog, musste ausreichen um einen
schnelleren Lerneffekt zu erzielen.
Die
zweite Aufgabe bestand darin, mit gebrochenen Fingern per Handy eine
Pizza Salami zu bestellen. Es ging schon auf die erste große Pause
zu und ich bekam langsam Appetit. Ich gebe zu, manchmal handelte ich
etwas eigennützig. Doch warum nicht, wenn man seinem Schüler so
etwas beibringen konnte.
Nach
der Pause ging es dann weiter mit einem kleinen Test; Khmerpfeffer
löffeln. Ganz gebliebene Körner sollten nach Möglichkeit zerkaut
werden, sonst drohte Punktabzug. Er erreichte eine 3-, da musste
nochmal nachgebessert werden. Die 3. Lehrarbeit war eigentlich mehr
eine Hausaufgabe. Ich wollte es für heute gut sein lassen, denn das
Bitte hat fürs erste schon ganz gut geklappt. Die Aussprache war
etwas undeutlich, doch ich zeigte Verständnis. Seine Hausaufgabe
würde sein, und das war jetzt wirklich ein bisschen grausam von mir,
für einen Zeitraum von 5 Minuten nicht in Richtung Meer zu blicken.
Das hat dann seinen Stolz gebrochen, das war ihm zu viel. Winselnd
warf er sich vor mir in den Sand, immer wieder Bitte, Bitte flehend,
er zuppelte mir sogar an den Sachen.
Na
also, geht doch. So waren wir schon wieder ein Stück weiter.
Plötzlich
frischte der Wind auf. Schon wieder was Neues. Das ging ja zu wie auf
dem Taubenschlag, hier. Er hatte sich abrupt gedreht, mittlerweile
schon im Kreis und wehte nun von rechts, wenn man in Meeresrichtung
sah, was ja, wie Eingangs bereits erwähnt, unabdingbar war. Der
hatte einen Zacken drauf, mein lieber Scholli, da geriet man ja
direkt ins Schaukeln. Da brauchte man sich ja nicht mal mehr selbst
anschubsen.
Für
Köm war der Wind eher hinderlich. Er bekam Probleme beim Einfädeln,
da er damit im Gange war, mich in die Hängematte einzunähen. Als
der Wind noch stärker blies, begann ich mich wie ein Springseil zu
drehen, immer schneller. Köm ging so lange ins Bett. Auskurieren.
Ich wachte sogar auf. Ich ließ mir das 'ne Weile gefallen und machte
einen auf Heidepark, als plötzlich...
Viseth
Rotanak und sein Kumpel mit dem Moped von hinten in die Bar gekachelt
kamen. Sie hatten in der Stadt einen genommen. Viseth war unser
Vermieter, seine Frau, so erfuhr ich später, heißt Son. Die beiden
setzten sich noch eine Weile zu mir, Viseth trank sogar noch einen
mit. Irgendwann hörte sein Kumpel auf zu übersetzen und machte sich
vom Acker. Viseth und ich verstanden uns dennoch prima, denn Chulmui
heißt Prost. Er holte vier kleine Fotoalben aus einem Schrank und
von weiter hinten einen CD-Player mit Cinch Stecker (das war ja unser
Dilemma, dass wir keinen Cinch Adapter dabei hatten. Das musste man
sich mal merken, fürs nächste Mal). Es gab nur fürchterliches
Westfratzengeballer, Best of Dire Straights war maximum, aber die
hörte ich nicht mehr. Hatte ich mir schon lange abgewöhnt. Ich
legte irgend einen Krempel ein, eigentlich wollte ich keine Musik.
War mir aber auch Wurst. War ja sein Laden. Wir blätterten seine
Fotos durch und ich war in diesem kleinen Teil Kambodschas im Bilde.
Viele Anlässe, Hochzeiten, Feiern im Freundeskreis, meistens war
irgendwo ein Glas mit drauf und alle waren drank.
Er war
bei der Chandamarie, wie er es aussprach, was französischen
Ursprungs ist und dasselbe bedeutet; Sitzungen, Fotos von den
Kindern. Seine Tochter Banja hatte irgendwas mit dem Auge. Irgendeine
Krankheit. Ich nahm mir vor heraus zu kriegen wie das hieß, wie man
das behandelt und ob es dort an Medikamenten mangelt.10 Die Symptome:
das obere Augenlid schwillt an und das ändert sich mit der
Tageszeit. Viseth, Betonung auf dem »e«, der Anfang kaum hörbar,
und ich blätterten unsere Digi-Cams durch und zu guter Letzt sollte
ich mal versuchen bei seinem Kumpel Peter A. M. in Germany anrufen.
A. M. stand für Alemang, was ebenfalls dem französischen entliehen
war. Das hat nicht geklappt, ich kam nicht durch. Vielleicht war es
auch besser so, im Grunde war mir das 'ne Nummer zu hoch. Wie spät
es war? Ich habe keine Ahnung. Ich hatte die Tage so gedümpelt, ich
hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren. Die einzige Uhr in meiner
Nähe ging nach dem Mond, der in dieser Region aussah wie eine zum
Einsteigen präparierte Hängematte, wenn er zunahm, wohlgemerkt.
Viseth
und ich machten aus, dass ich das Licht ausmachte, bis ich ebenfalls
schlafen gehen würde. Den Stop-Schieber am Generator kannte ich ja
bereits.
Irgendwann
nur noch das Meer, der Generator und ich. An einem Tisch, auf dem es
mittlerweile genauso aussah wie im Büro Zuhause.
In
Phnom Penh hatte ich mir auf dem Markt eine Dose Pressluft-Fanfare
vom FC Phnom Penh gekauft. Dafür habe ich sogar sechs Paar Socken
weggeschmissen, dunkle oder blaue, ich weiß nicht mehr so genau,
Weil sie so groß war. Ich tat so, als wolle ich was aus dem Zimmer
holen und zog vorsichtig die Fanfare, die ich kaum mit einer Hand
halten konnte aus Tiffis Rucksack. Köm ahnte nichts. Er schlief. (Er
machte sich zwar in die Hose, aber nicht vor Angst; das war eher
zufällig.)
Ich
hielt sie ihm ans Ohr und drückte ab. Hab ich gelacht, ich kriegte
mich gar nicht wieder ein. Und das so kurz nach dem Spaß mit dem
Gong. Mensch, der Mann hatte ja kaum Zeit alles anwachsen zu lassen.
In dem
Moment entstellte sich sein makaberes Äußere zunehmend. Die Fliegen
stoben von ihm davon und bildeten einen Teppich auf der
Meeresoberfläche von der Größe Battambangs. Warum sie das taten,
fand ich nie heraus. Außerdem war es draußen dunkel, das konnte man
gar nicht alles genau sehen. Köm, inzwischen wach, rannte
besinnungslos aus unserer einfachen, kleinen Behausung. Die massiven
Holzstämme, die die waghalsige, jedoch standhafte Dachkonstruktion
stützten, lenkten seinen Lauf einer Flipperkugel gleich in Richtung
Meer. Dort war heute Laichtag der Seeigel und sie alle trafen sich an
unserem Strandabschnitt, was einmalig in der Welt war, ein weiterer
Beweis für die schützenswerte Fauna dieser liebenswerten Gegend.
Aber besser man bleibt bei sowas Zuhause. Bei den Rotanaks auf der
Veranda. Nein, Köm nahm keine Notiz, unsere Warnungen fanden sein
Gehör nicht. Er stolperte geradewegs in einen handgeknüpften
Teppich aus ablaichenden Seeigeln, so breit wie der Strand. Ich habe
mir dann irgendwann Ohrenstöpsel rein gemacht. Wie sollte man denn
da ein Auge zu kriegen?
auf
nache Inseln
4. Dezember, Bootstermin: 8:15 Uhr, Aufstehen: 8:15 Uhr
Nein,
heute hat es mal nicht geklappt mit dem pünktlichen Aufgestehe. Zu
viel Khmer steckte schon in uns oder war's im Gegenteil zu wenig?
Jedenfalls waren die Rotanaks schon lange auf den Beinen und regelten
ihren Tag im Ansatz. Wir schlappten mit einer Strandausrüstung für
zwei Barang strandabwärts zu der Bar mit dem Boot. Der Reis dort
ging gerade so, aber die Spinne im Klo war super. 10 cm, sagte Köm,
bei mir war sie leider schon wieder weg. Das wir viel zu spät waren,
störte hier niemanden. Wir waren ohnehin die einzigen Passagiere auf
dem üppig dimensionierten Boot. 9:30 Uhr stachen wir in See. Von
Wind keine Spur, von Sonne schon. Jede Menge Sonne. Captain Khmer
tuckerte uns rüber zu den Inseln, die Standard-Tour umfasste 3 von
einigen Inseln, wir stimmten zu. Immer wenn wir uns im Boot
aufstellten, um dem Schatten zu folgen, den das Bootsdach
herumschleuderte, legte sich das Boot auf die neue Seite. Khmerboote
sind schaukelanfällig, das muss denen mal einer sagen, aber mit
schaukeln kannten wir uns ja hinlänglich aus.
Ca. 40
Meter vor der ersten Südseeinsel gingen wir vor Anker. Schnell noch
eben die Taucherbrille vollgespuckt, dann 'ne Krampe ins verlockende,
hellgrüne Wässerchen. Unser Captain wurde dabei nassgespritzt und
freute sich. Er sah aus, als hätte auch er Spaß an der Sache, auch
wenn das Boot vollbesetzt mit 16 Leuten auf jeden Fall ein vielfaches
mehr eingebracht hätte. Wir untersuchten den Meeresgrund mit unseren
Brillen nach geilen Motiven, aschenbechergroßen Muscheln und Gedöns.
Aber es gab nur große Fische, jede Menge Korallen und irgend solche
Fischschwärme in angeberischen Farben. Da konnte man ja verrückt
bei werden. Seegurken schlichen zwischen den Korallenbänken
hindurch, wie auf dem Weg zur Arbeit.
Aber am
auffälligsten waren SIE, meine stachligen Freunde. Im seichteren
Wasser war plötzlich der Meeresboden mit ihnen nahezu übersäht.
Kaum ein Felsen, auf dem man sich kurz ausruhen konnte, wenn die
qualitativ eher im unteren Segment anzuordnende Leihbrille vom
Khmerboot mal undicht wurde. Km hatte ja seine Eigene dabei, nichts
von Aldi. Mich überkam Panik. Aber richtig, fast so, als wenn abends
um halb acht die Kühlbox die Flinte ins Korn wirft. Ich begann
unregelmäßig zu hecheln, der Schnorchel füllte sich mit
Salzwasser, ich riss mir die Brille herunter und hustete. Alles
voller Seeigel. Aber diesmal die fetten Burschen, nicht so ein
mickriger Vertreter wie das, wo ich des Nachts reingetreten bin, wenn
das denn überhaupt ein richtiger Seeigel war. Diese hier waren
schwarz, sie waren groß, sie hatten leuchtende blaue Punkte auf dem
Buckel, und ihre Mäuler waren aufgerissen wie der Höllenschlund.
Sie spien Feuer und warfen mit Steinen nach mir. Ok, erstmal
schwimmen, ganz normal Arme und Beine zurück ins Tiefe; das konnte
ich noch. Zur Ruhe gekommen, versuchte ich es nochmal. Immer schön
langsam. Der Trick war ja, ruhig zu atmen, aber wem erzähle ich das.
Mit der Zeit hatte ich meinen schwuchtelhaften Schiss überwunden und
ließ mich bald hierhin bald dorthin treiben. KoEm war mit seiner
Unterwasserkamera weit ab vom Boot. Ich machte mir schon Sorgen. Wer
zum Henker sollte sonst den Rucksack über Bamboo-Island schleppen?
Nach gut einer ¾ Stunde sah ich ihn dann dort hinten bei den großen
Felsen, halb am zerschellen. Er hatte jeden Stein 2x abfotografiert,
schrie um Hilfe und ruderte mit den Armen in der Luft herum.
Möglicherweise war seine Speicherkarte voll, was wusste ich.
Es
ist kaum zu fassen. Wir fahren nach die Inseln rüber, und Roat
zermartert sich das Hirn, ob er alles dabei hat; Sonnenbrille,
Sonnenmilch, Mückenzeug, usw. Aber die malariaprophylaktische
tägliche Tablette vergisst er natürlich! Dabei steht im Anhalter zu
den Inseln »Vorsicht Malariagebiet!«. Na ja, es stand da zumindest,
bevor ich es wohlweislich herausradiert habe. Aber leider, leider gab
es nun doch keine Mücken dort. Die waren wahrscheinlich im Urlaub
auf Hawaii und ließen sich mal von den einheimischen Insekten
betütern.
Die
zweite Insel war Bamboo-Island, die meist genannte, weil
erschlossene. Wir legten am Strand an, es gab mehrere Bars mit
Übernachtungsmöglichkeiten in einfachen Hütten. Trotz der
vielleicht sechs oder sieben Boote, die ihre auffällig besser
genährten Barang auf den Stand ergossen, herrschte unglaubliche
Stille. Kurze Erfrischung, die Dose ebenfalls 1 Dollar, dann machten
wir uns auf, quer durch den Dschungel zur anderen Seite der Insel.
Dort sollte es Buchten geben, Strände menschenleer mit endlosem
Korallensand. So war es auch. So ähnlich, aber mit Menschen. Ich
meine, der Weg dauert 10 Minuten quer rüber, und so auf die Schnelle
gab es auch nur den einen. So schlau waren andere auch. Trotzdem
traumhaft. Vielleicht mal wieder ein bisschen viel Müll im
Küstenschutzbereich, aber Palmen ohne Ende und eine Wand aus
Dschungel auf die man sah, wenn man im Wasser auf allen Vieren die
Zeit verstreichen ließ. Wir gingen noch ein Stück am Strand,
eindeutig auf der Suche nach Schatten. Es war irgendwas kurz nach
Mittag. Ein Baum sagte uns zu, ein Bassin von scharfkantigen Felsen
umsäumt, lud zum verweilen ein.
Fischer
aus Vietnam
Wer
kann so ein Angebot schon abschlagen? Das Wasser war handwarm, ich
schnorchelte ein wenig herum. Links von uns saßen ein paar
vermeintlich Einheimische im nächsten Schattenfleck. Ein normales
Fischerboot war auf dem Meer verankert und drei seltsame, direkt in
Strandnähe. Sie erinnerten eher an den Korb eines Heißluftballons.
Rund, keine 2 Meter im Durchmesser und jedes mit einer Öllampe
bestückt. Ich: hin! Die »Einheimischen« stellten sich als
vietnamesische Muschelfischer heraus, aber viel mehr konnten wir von
ihnen nicht in Erfahrung bringen. Sie luden uns zum Mahle ein, es gab
Reis mit sehr gut gewürztem Fisch. Lecker. Sie waren sehr
interessiert an meiner Unterwasser-Kamera und der Taucherbrille, also
zeigte ich einem von ihnen die Benutzung von Brille und Schnorchel.
Roat ging mit ihm ins Wasser und er wäre fast erstickt, als er durch
den Schnorchel erstmal eine große Portion Khmerwasser einatmete. Die
anderen Fischer und ich lachten herzhaft. Auch Schadenfreude bringt
einander näher.
Er
ließ dann das Atmen sein und sammelte eifrig Muscheln, die Roat wie
Glücksmarie und Pechmarie in seinem Longsleeve verstaute. Es war ca.
ein halber Topf Muscheln, die da in guten fünf Minuten zusammen
kamen. Sollte ich Ihnen meine gute Taucherbrille überlassen, damit
sie mehr als sonst sammeln konnten? Wahrscheinlich würde dadurch
eine Welle losgetreten und die Weltmeere wären in kürzester Zeit
muschelfrei! Nein, also nicht. Außerdem sind die ja auch nicht blöde
und hätten längst eine Taucherbrille, wenn es ihnen den
entscheidenden Wettbewerbsvorteil einbrächte.
Außerdem
will der Khmer nicht, dass der Vietnamese seine Gewässer leert,
oder? Mit Zeichensprache fand ich noch heraus, dass sie wohl im
Dschungel der Insel nächtigten. Bei genauerem Hinsehen konnte man
auch ein paar Hängematten im dichten Fichtendickicht ausmachen. Mit
Malaria müssen sich solche Leute wohl einfach abfinden...
Freundlich, aber krank. Ich frage mich, wie sie ihre korbartigen
Miniboote aus dem nahen Vietnam hier herübergekommen. Im Schlepp des
großen Bootes? Dafür sahen die Dinger einfach nicht seetüchtig
genug aus. Oder waren Sie vielleicht Dauergäste ohne Visum? Wir
jedenfalls, werden es nie erfahren, es sei denn wir besuchten sie
alle paar Monate einmal. Auf dem Rückweg am Strand entlang, das
genaue Gegenteil: fette Barangs, die sich an der Sonne ihren
gerechten Anteil Hautkrebs auf die Oberfläche brennen ließen...
Unfreundlich, aber krank. Also geht es doch nur darum, ob man nett
ist oder nicht; sein Fett kriegt sowieso jeder.
Durch
den Dschungel und am Ostbeach noch drei schnelle Dosen gekauft. Zwei
für uns und eine für Captain Khmer. Er freute sich sichtlich über
diese Geste. Er konnte genauso wenig Englisch, wie die Fischer, aber
einen frohen Gesichtsausdruck mit einer mehr oder weniger
vollständigen Reihe Zähne darin versteht auch der dämlichste
Pauschaltourist.
Khmermann,
hol über
Dann
ging es zur nächsten und letzten Insel unserer Tour - die, die auf
unseren Bildern vom Otres-Beach aus immer am Besten zu erkennen ist.
Wir streichelten eine Seegurke und kartographierten die restliche
Unterwasserwelt akribisch mit der Unterwasser-Kamera. Demnächst bei
Google-Seaview. Nee, das sollte man nicht online stellen, denn nahezu
100 Prozent der Unterwasserfotos sind unscharf. Wir wollen ja nicht,
dass keiner mehr kommt, weil er denkt, dass man dort unter Wasser
einer plötzlichen Kurzsichtigkeit anheim fiele.
Wenn
mir jetzt noch was Böses für Roat in den Sinn käme, wäre das ein
gelungener Abschiedsgruß an einen gelungenen Tag.
Ja, in
dieser Atmosphäre wurde man irgendwann sogar zu faul zum austeilen.
Aber
für einen Anruf bei Amy reicht meine Lebensenergie noch gerade so
eben aus. Er wird schon für genug Nerverei sorgen.
Seegurkensalat
Eine
Seegurke zu streicheln fühlte sich an, als hätte man einen
Damenstrumpf unter Wasser mit Luft gefüllt. Nur, dass keine Blasen
im Spiel waren. Vielleicht fühlte sich ein mit Flitzkacke gefüllter
Dickdarm genauso an, aber was wäre das für eine Beschreibung?
Sollte ich hier vielleicht noch durch unanständige Wörter mein
Gesicht verlieren? Nichts dergleichen. Es gab ja in den letzten acht
Tagen noch nicht einmal einen Grund die Stimme zu erheben, nicht mal
aus Gram. Sicher, ich hätte mich beschweren können, dass der Gecko
zu leise sei, dass die Käfer von den Hühnern verschmäht wurden,
und dass die Sonne Gas machte, als wäre sie auf der Flucht, aber ich
tat es nicht. Ich schwieg stille. Ich lies es drauf ankommen. Bei
Nudeln mit Reis. Ich spähte ein bisschen den Grill aus und war
begeistert. Eine Betonröhre mit ordentlich Zug, wo ein Wok drauf
gehörte. Ein paar Klumpen Holzkohle reichten stets für einige
Wok-Ladungen nebenbei, was ja ideal ist, wenn sowieso gegrillt werden
musste. Der Reis steht irgendwo, immer warm, immer frisch, aber ich
bekam nicht raus wo, als hätten die Khmer einen Trick, genau das zu
verheimlichen. Du kannst in jeden Topf schielen – Reis ist immer
woanders.
Eine
Seegurke zu streicheln, lieber Leser, ist in etwa so, als hätte man
dir zehn Jahre geschenkt, obwohl sie noch nicht verloren geglaubt
waren, was immer das auch bedeuten mag.
Nicht
zuletzt war es auch ein Synonym für dieses Land: Nicht kneifen,
sonst platzt es.
Mein
lieber Khmer, jetzt werde ich aber gesprächig. Khmerk ich's nicht
khmer, oder steckt doch khmer dahinter? Wer einmal von Boot zu Boot
gewunken hat, und wirklich jeder Khmer winkt fröhlich zurück, sogar
gleich die ganze Familie vom Hausboot aus, der ahnt wie es uns geht.
Übrigens,
Köm geht es schon wieder besser. Seine eigene Lunge hat inzwischen
die Maschine abgelöst. Jetzt kommt es nur noch darauf an, ob er
durchhält.
FC
Bamboo Island Sharks
Ihm ist
da nämlich etwas passiert, dort draußen auf See. Als er sich
rückwärts vom Boot hat fallen lassen, so wie immer im Fernsehen,
schnappte ein Seeungeheuer nach ihm. Mit Mühe entging er dem,
schrappte sich dabei aber ein wenig am Oberschenkel. Das zog
natürlich Haie an. Den Rest könnt ihr euch sicher vorstellen. Zwei
kamen über die Außen, der Mittelstürmer Sharkie Sharkman, der Hai
mit der Nummer 10, flankte Köm nach innen, genau auf die Flosse von
De Witte Hai, dem niederländischen Ersatz von Haidewitzka, auch
genannt die Perle aus Polen. Dieser hatte beim letzten Spiel gegen
die Sea-Eagles aus Kha Phrom Phnam ein hailoses durcheinander
veranstaltet und saß diesmal auf der Korallenbank. De Witte Hai
legte sich den Köm vor, scheiterte an Torwart Hailand Sack. Köm
prallte ab und landete vor den gierigen Leftzen von Riff, dem Hai.
Vor Spannung gefror das Wasser. Sogar die Putzerfische suchten ihr
hail weiter draußen. Für Köm sah es schlecht aus. Die Bamboo
Island Sharks wollten den Heimsieg. Am Ende war es dann doch
tatsächlich Sharkman, der einen Happen ergatterte. Köm schwamm um
sein Leben, oder dem was ich ihm zugestand. Sharkie hatte schon seine
Leber bekommen, und hatte noch Lust auf einen Lungenflügel, als ich
mich heroisch in die Fluten warf um ihn da heraus zu holen. Ich
machte einen Roundhousekick gegen die halbe Mannschaft und zerrte Köm
an Bord. Es sah schlimmer aus als es war. Aber das sollten die Ärzte
entscheiden. Ich war nur froh, dass die eiserne Lunge abgeschaltet
werden konnte. Wir waren hier in Kambodscha, wer sollte das alles
bezahlen?
5.
Dezember, 9:00 Uhr
Gockel Nummer eins blies zum Appell, Gockel Nummer zwei antwortete,
hatte es aber nicht so drauf. Heute stand ein Strategiewechsel ins
Haus, ich hatte mir vorgenommen meine Malaria um 9 statt um 12
einzunehmen und geriet deshalb schon morgens an meine Grenzen. Das
würde ja bedeuten, ich müsste zum Rucksack und sie holen! Völlig
außer Atem schleppte ich mich danach zurück zum Bett. Die ganze
Aufregung schon am frühen Morgen, dazu der unbeschreibliche Krach,
den Köm's Stuhlgang verursachte – eigentlich war ich schon wieder
urlaubsreif. Wie sollte das erst werden, wenn wir uns nach dem
Frühstück in Richtung Stadt auf machten, um ein wenig zu shoppen?
Vielleicht gab es ja auch Sänften, die uns durch die Läden trugen.
Mal fragen.
Mein
lieber Khmergesangsverein! Was Roat da wieder zusammengestammelt hat,
macht nur die Kulis alle. Und die sind hier Mangelware.
Jetzt
nicht mehr. Scheiße, das ist ja ein Bleistift. Da muss ich ja schon
wieder umdenken. Was für ein Stress.
Wir
ließen uns mit dem TukTuk im Zentrum abzusetzen, am Samudera
Supermarkt. Die Auswahl war ordentlich, so wie ein kleiner
Edeka-Markt. Es gab auch die Nationalflagge in verschiedenen Größen,
T-Shirts und Mützen. Gekauft. Dazu ein halber Liter Actimel oder
sowas, wir wollten Grundlage schaffen. Auf dem Markt kaufte ich mir
eine »echte« Camel-Hose mit so Taschen außen für sieben Dollar.
Hoffentlich ging jetzt nicht der Rucksack in die Knie, könnte
grenzig werden, so viel war sicher. Etwas herrenlos ließen wir uns
umher karren, mal hinten drauf, mal mit dem TukTuk. Den Laden mit den
richtig guten T-Shirts fanden wir nicht. Bei Angkor war die Auswahl
größer gewesen. In der Hinsicht hatten wir einen Fehler gemacht,
das musste man hier jetzt mal klar eingestehen. So denn, der Tag war
kurz, wir mussten nach hause, auf den Stuhl mit der schönen
Aussicht. Tie, der nunmehr 20. TukTuk-Fahrer, dem wir unsere Namen
verraten mussten, wurde auf vier Dollar runtergehandelt. Drei Dollar
bezahlen Einheimische, wir selbst haben für die Fahrt schon mal acht
Dollar abgelatzt. Wie die allerletzten Barang haben wir uns damals
abrippen lassen. Jetzt nicht khmer.
Die
Innenstadt war ziemlich chaotisch und wirr. Es war zusätzlich noch
unerträglich heiß. Bloß wieder an den Strand! Bisher konnte man
noch auf jedem Flughafen seine letzten Devisen verprassen, dort
werden wir dann auch die gewünschten T-Shirts mit Khmer-Flagge
bekommen. Roat wollte ständig khmermäßige Winterpullover kaufen.
Dämlicher geht' s ja wohl nimmerkhmer!
Ich
habe dann noch im Schweiße meines Angesichts zwei Bustickets nach
Phnom Penh gekauft. Morgen, 12:30 Uhr an der GST Busstation geht die
große Rückreise los. Wir werden gute 40 Stunden unterwegs sein,
wegen der ständigen Wartezeiten. 7 Stunden in Phnom Penh, 5 in
Seoul. Wie sollen wir das durchstehen, so entspannt wie wir sind?
Wie
sollten wir überhaupt das Packen unbeschadet überstehen, wir
wussten ja nicht mal mehr, was man zum Leben brauchte; Badehose,
Feuerzeug, 2 gesunde Augen. Nächstes Mal komme ich mit einer
aktuell-Tüte hierher. 1kg Wäsche waschen hätte hier 0,75 Dollar
gekostet. Und wenn man Euch erzählt, die Wäsche wäre hinterher weg
oder kaputt, glaubt es einfach nicht. Schaut euch die Leute an, wie
sie lachen mit ihren schneeweißen Zähnen. Seht ihnen in die
dankbaren Augen, wenn man sie anständig behandelt. Sie alle arbeiten
hart, sie verdingen sich in der Tropenhitze, suchen ihre noch
verbleibenden Überlebensnischen. Hoffen, dass Grundstücksspekulanten
aus den Abzocker-Ländern, China allen vorneweg, ihnen Aufschub
gewähren. Wenn das nur nicht so scheißenweitweg wäre, dieses Land,
ich würde es der Nordsee vorziehen, wo man jedes Mal seine Kurtaxe
vorzeigen muss, wenn man mal aufs Klo will. Deutschland, du
jämmerliche Anstalt. Bei dir kostet ein Kugelschreiber über zwei
Euro und dann geht er auch noch vorzeitig in Arsch.
der
letzte Abend am Strand
5. Dezember, abends
Ich
fragte Köm, ob er noch ein Bier wolle, aber er antwortete nicht. Er
hatte sich mit dem Sonnenuntergang abgefunden. Ach ja, Scheiße, war
ja schon wieder so weit. 18:00 Uhr fällt sie ins Wasser, und um
sechse steht sie auf. So ist das in Äquatornähe. Da braucht man
nicht mal 'ne Bürgerinitiative für zu gründen.
Die
eine halbe Stunde, irgendwann nach Beginn der Tageszeit »Generator
an« wollte ich Son fragen, ob sie nicht Bock hätte, lieber
Khmer-Musik anzumachen. Sie lud mich sogleich ein, an den Tisch, um
den herum sich das Leben abspielte. Was auf dem Tisch stand, durfte
probiert oder gegessen werden. Mit Salz und Pfeffer wurde hier nicht
gegeizt. Ich, als eigentlich überzeugter Fleisch-mit-Pommes Experte,
sprang über meinen Schatten und probierte erneut Fisch. Wow! Also
ehrlich. Schon wieder ok. Kein Fischgeschmack sondern einfach nur
lecker. Scheint so, als hätten wir schon wieder alles richtig
gemacht. Wie »letzte Abende« es so an sich haben, saßen wir bei
Khmer-Musik und frönten der Druckbetankung. Der Kambodschaner isst
langsam aber trinkt schnell. Wegen dem Eis, das er sich ins Bier
donnert. Das führt dazu, dass nach einem kurzen Moment der
Unachtsamkeit, das Bier aus Wasser besteht, weil die Eiswürfel in
dieser Strandatmosphäre einfach nicht lange mitmachen. Wenn Du bei
so einem Brauch mithalten willst, vergiss es. Ein Bier bleibt ein
Bier, auch hier, wo der Pfeffer wächst. Ein Bier in den Tropen mit
Eiswürfeln zu kühlen, ist in etwa so, als würde unsere Omma,
schneller stricken, bevor ihr das Garn alle geht. Das haben wir
jedenfalls nicht lange durchgehalten und kehrten zum Battambang
zurück.
Irgendwann
holte Viseth sein Maschinengewehr raus. Eine abgegriffene Wumme aus
hoffentlich abgehakter Zeit. Für die zwei Salven, die aus Versehen
in Köm einschlugen, wollte ich mich noch bei ihm entschuldigen, aber
ich kam vor Lachen einfach nicht dazu. Und außerdem hatte ich mit
Hundemassage alle Hände voll zu tun. Viseth setzte immer noch einen
drauf. Zwischen ungezählten Zuprostungen stellte er Köm und mir
plötzlich je ein Korallenskelett vor die Nase. Um Gottes Willen! So
was wertvolles habe ich im Leben noch nicht in den Händen gehalten.
Wie sollte man das denn bloß heile nach Hause kriegen? Abgesehen
davon, dass man uns einbuchten würde, wenn sie uns damit erwischten.
Oder nicht? Keine Ahnung. Einen Versuch war es vielleicht wert: zu
groß war der symbolische Charakter, den dieses zerbrechliche
Kunstwerk für uns hatte. Das Teil würde ich nie wieder aus den
Händen geben, man würde sie mir abhacken müssen. Aber erst
zuhause. Jetzt galt es zunächst die Koralle zu verpacken. Ich füllte
den Karton eines 120 $ teuren Whiskys mit einer Mischung aus
Unterhosen und Sand. Darauf stellte ich die Koralle und füllte ihre
verästelten Zwischenräume mit noch khmer Sand. Son klebte alles zu,
damit nichts ausläuft. Ich konnte nur hoffen, dass das ausreichte.
Es wäre unverzeihlich wenn da was kaputt geht. Son war irgendwann
verschwunden und Orro, der Freund der Familie, den ich schon von
vorgestern kannte, war genauso breit wie Viseth. Drank! Bei uns
ging's eigentlich noch, schließlich waren wir seit zwei Wochen im
Trainingslager, und wir hatten auch unsere Hausaufgaben gemacht. Ein
bisschen zogen wir den Abend noch in die Länge, wir konnten uns von
diesem, dem schönsten aller Orte, nicht loseisen. Das war gar nicht
so einfach.
9
zurück Richtung alte Heimat
6. Dezember 2008
Ein
letztes Mal vom Bett die paar Meter zum Meer. Ein letztes Mal
Frühstück bei Rotanaks. Den ganzen Mist, den ich nicht mehr
brauchte und die Kabelbinder ließ ich dort. Sich über irgendwas zu
freuen, gab es keinen Grund. Vor uns lag eine ätzende Rückreise
deren Verlauf weitaus weniger verheißungsvoll war als Hähnchen mit
Pommes in der Badehose. Die Verabschiedung war herzig, so ist das
eben im Urlaub. Wir erfuhren schon gestern, dass für heute abend,
Samstag, bis zu 50 Gäste erwartet wurden. 25 Khmer und 25 Barang.
Das war natürlich noch bitterer. Mann, was wäre das für eine Party
geworden, was hätten wir abgelacht. So ließen wir uns von
irgendeinem TukTuk abholen und zum Bus bringen, und es kam wie es
kommen musste. Zwei Deutsche besetzten die beiden Sitze genau vor
uns. Einer, der tat, als wenn er alles wusste und es dauernd
erklärte, der andere hat auch die ganze Zeit nur gelabert, jedoch
lauter. Man wurde unfreiwillig Zeuge ihres vierstündigen Gespräches.
Soviel Mist wie die von sich gaben, ich war schon vor dem Stopp zur
Halbzeit total bedient. Da die beiden Ochsen nicht wussten, dass zwei
deutsche Barang hinter ihnen saßen, fühlten sie sich unbelauscht.
Und dann mussten wir uns auch noch anglotzen, was der eine auf seiner
Videokamera hatte. Wir kamen uns fast vor wie TKKG. Dabei war ich
natürlich Tarzan und Köm spielte Klößchen. Zu mehr hat es bei ihm
nicht gereicht, im Grunde tat es das nie. Die meiste Zeit meines
Urlaubs war ich ohnehin damit beschäftigt, Köm neu anzulernen.
Schon morgens hatte er vergessen, wie man sich Badelatschen anzog. In
einem Land, wo 98 % der Bevölkerung auf Flipflops unterwegs waren,
sollte man wenigstens in dieser Hinsicht ein sicheres Auftreten
vorgaukeln. Danach konnte er meist 20 Minuten nichts anderes tun, als
seine Füße zu betrachten an denen die Schlappen baumelten, so
fasziniert war er jedes Mal aufs Neue davon. Vor dem Mittag hatte ich
Köm dann oft so weit, dass er selbstständig ein- und ausatmen
konnte, ohne sich dabei zu verschlucken. Gegen Abend konnte KaEm dann
meist schon selbstständig aus der Bierdose was trinken. Allerdings
musste ich es ihm stets vorher ein paar Mal zeigen. Langsam zum
Mitschreiben. Er hatte großes Glück, dass er in mir so einen
geduldigen Lehrmeister fand. Er hätte sonst ziemlich alt aus
gesehen, so weit weg von Zuhause.
Zurück
in Phnom Penh haben wir am Flughafen unsere Rucksäcke abgegeben und
sind mit dem TukTuk quer durch den völlig durchgeknallten
Samstagabendverkehr, pauschal erstmal zum Central Market. Das war
aber nicht zum aushalten. Wir waren zwar schon einiges gewohnt, aber
das musste jetzt nicht sein, oder sind wir am Strand vielleicht doch
etwas verweichlicht? Waren wir Strandschwuchteln geworden, die an
einer roten Ampel kalte Füße bekamen? Sei es drum, wir suchten
lieber nochmal die Nähe unserer alten Gegend am Lakeside. Dort
kannten wir uns aus, dort wussten wir wie man sich an den See setzt.
Obendrein hatten sie dort Internet. Die Sache mit der Koralle ließ
uns keine Ruhe. Wir wurden immer skeptischer, was die Ausfuhr von
unter Naturschutz stehendem Meeresgetier anbelangte. Wenn die uns
einbuchteten oder eine Strafe einforderten, die das bisher völlig in
Vergessenheit geratene Weihnachtsfest ruinös zu versauen drohte?
Hätten wir beiden Idioten die wunderschönen Korallenskelette doch
bloß dankend abgelehnt und bei Viseth und Son im Schrank gelassen.
Jetzt standen sie in einem Gebüsch am Flughafen Phnom Penh,
herrenlos, mutterseelenallein und könnten, wenn man das mal von der
anderen Seite betrachtet, im Nachhinein noch für eine Bombenwarnung
sorgen. So ein verklebter Whiskey-Karton, der gut und gerne 7-8 kg
auf die Waage bringt, der macht schon was her. Was waren wir doch nur
für bescheuerte Hornochsen, also manchmal kam man aus dem
Kopfschütteln gar nicht mehr raus. Dieser Geistesunfall soll für
ewig an uns nagen, wir hatten es verdient zu leiden.
Aber
immerhin saßen wir im Flugzeug. Zwar nicht nebeneinander, doch zum
schlafen reichte das. In den 4 Stunden und 35 min bis Seoul fielen
mir etwa hundertmal die Augen zu, Köm hat fast komplett
durchgeratzt. Wäre der Teil also schon mal vom Tisch.
Ich
nutzte das eine ums andere Mal die Gunst der Stunde, mir auszumalen
wie ich KoEm davon abhalten konnte, diese Reise unbeschadet zu
überstehen. Ich ließ alle möglichen Sachen auf ihn
herniederregnen; Fäuste, Wischeimer, selbst Fassadenteile vom
Flughafengebäude lösten sich und begruben ihn unter sich. Von mir
aus auch mit lautem Getöse, ich war für alles zu haben. Mehrere
große Meteorite stürzten genau auf ihn herab, er geriet zwischen
die Fronten eines Guerilla-Krieges nachdem sein Fallschirm versagte,
eine dicke Frau gab ihm eine Backepfeife. Sie war natürlich Barang.
Eine dicke Khmer Frau habe ich nicht zu Gesicht bekommen.
Khmer-Frauen sehen bis sie 30 sind, alle aus wie junge Mädchen. Ich
kann das nur vermuten; die paar Gespräche, die sich um dieses Thema
rankten, waren nicht repräsentativ. Sie sind alle gleich groß,
gleich schlank, haben die gleiche Frisur, und dieselbe Augenfarbe.
Auffällig auch die Kinder. Ich habe noch nie so viele, so hübsche,
niedliche Kinder auf einen Haufen gesehen.
Und
diese Kinder sind so genügsam. Die Viseth-Kinder spielen miteinander
oder mit den Hunden und Katzen. Rothas größter Schatz ist ein
kleiner Elektromotor, mit dem er batteriebetriebene Boote baut. Im
Bus sind auch immer Kinder dabei gewesen, und nur ganz selten hörte
man mal das kurze Krähen einer Beschwerde. Sie sind wohl einfach
nicht so übersättigt, wie bei uns und brauchen nicht ständig was
Neues. Ihre Fantasie muss lebhafter sein und ihr Geduldsfaden
deutlich strapazierfähiger.
Ich
wurde auch Zeuge einer Begebenheit, die bei uns in Deutschland
ihresgleichen sucht. Deutsche Eltern aufgepasst! (Personen mit
eingeschränkter körperlicher Leistungsfähigkeit sollten an dieser
Stelle lieber nicht weiterlesen, es könnte sie aus der Bahn werfen).
Eine Khmer-Mutter sagte ihrem Sohn, was er tun soll und der Junge
stand auf und tat es. Kein Murren, keine Widerrede. Einfach so. Mann,
das war echt 'n Hammer. Aber ich kann sagen: ich war dabei, ich hab's
mit eigenen Augen gesehen.
Sogar
das erneute Abhängen am Flughafen von Seoul fiel gnädigerweise
irgendwann der Zeit zum Opfer. Fand ich das alles auf dem Hinflug
noch spektakulär, so mit all den Schriftzeichen und den ganz anders
aussehenden Menschen, so gingen mir die Koreaner mittlerweile auf den
Keks. Natürlich lag das in erster Linie an meiner schlechten
Verfassung, denn dort, in Seoul wollte ich im Moment ja nun wirklich
nicht sein. Nein, Asien war nicht überall gleich, manchmal ist
weniger khmer. Ich hätte jetzt ein TukTuk gebrauchen können, aber
niemand fragte: »Hello Sir, where do you wanna go? Do
you need a TukTuk, Sir? Fei Dollars, good pri for you, good pri for
me!«
Ein
wenig Zerstreuung würde mir sicher gut tun. Ich sah aus dem Fenster,
direkt in die grelle, blendende Sonne die nicht von meiner Seite
wich. Wir flogen mit der Erddrehung. Man konnte eigentlich schon
wieder nichts von der Welt dort draußen sehen, es war einfach zu
hell. Außerdem war das Triebwerk genau vor meinem Fenster, ich würde
glatt behaupten, ich hatte mal wieder einen Scheißplatz erwischt. Da
könnte man auf den ganzen Erdball hinunter blicken, mit von mir aus
428 mp/h (692 km/h), sie könnten einem Filme vorspielen und mit
Tomatensaft nur so um sich schmeißen, die Fahrt im Bamboo-Train
können sie nicht toppen, auf altem Gleis und wundem Steiß. Apropos
Gleis – wir flogen gerade an Ulan-Ude vorbei in Richtung Irkutsk.
In diese Gegend schickte ich Köm häufig zur Gleisarbeit. Er hatte
sich im Gleis-Schotter-Begradigen sogar schon einen kleinen Namen
gemacht. Seine Aufgabe war, jedenfalls solange die Sonne genug Licht
spendete, die Schottersteine, welche sich durch die klirrende Kälte
oft nur schwer voneinander lösen ließen, einmal zu wenden, damit es
das Moos über die Jahrzehnte nicht ganz so einfach hatte. Bei
Dunkelheit bekam er eine kleine Lampe und einen digitalen
Messschieber ausgehändigt. Er musste dann die Stellen markieren, wo
der Schienenstrang die vorgegebenen Maße nicht einhielt. Die
markierten Stellen konnte er dann gleich am folgenden Tag ausbessern,
wenn er sich beim Steinwenden ein bisschen beeilte. Wenn alles
klappte, liefen ihm sogar manchmal Menschen über den Weg, die ihm
mit einem Schluck Tee aus der Patsche halfen. Hin und wieder durfte
er von der Yak-Butter kosten, darauf freute Köm sich stets ganz
besonders. Ja, Köm hatte in all der Zeit gelernt nicht nach den
Sternen zu greifen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Manchmal, früher, wenn er tagelang auf den Punkt starrte, dieser
Punkt an der Zimmerdecke auf der Intensivstation, dann empfand er
doch tatsächlich so etwas wie Dankbarkeit. Er dankte dem Elektriker,
weil er Strom für seine Beatmungsmaschine bereitstellte. Er dankte
dem Pflegepersonal und er dankte mir. Weil ich ihn am Leben ließ,
wenn auch gerade eben so. In einer so auf materielle Dinge fixierten
Welt ist es wichtig auch mal inne zu halten, einen kleinen Augenblick
zu verweilen und einfach Danke zu sagen. Ogun. Ogun Chra.
Wer
weiß, vielleicht kommt man ja tatsächlich beim nächsten Mal als
Delphin zur Welt, wie die Khmer glauben. Ich kenne jetzt eine Gegend,
die würde ich als Delphin glatt mal besuchen.
Später:
Mittlerweile habe ich schon wieder drei Spielfilme durch, sechs Säfte
und eine Dose Cass-Bier aus Korea. Das ist aber Plörre, Angkor wäre
damit nie entstanden. Von Köm habe ich seit Stunden nichts gehört.
Er hat sich im Flieger eine freie Sitzreihe gebunkert, damit er sich
mal khmer über drei Sitze legen kann. Das ist gut, denn im Schlaf
kann sich der Körper besser erholen. Wunden heilen ab, Knochen
wachsen in Ruhe zusammen. Irgendwo im Flugzeug wird eine Zigarette
geraucht. Entweder vorne der Captain oder einer von diesen Business-
oder Goldpassagieren. Das war jetzt aber echt nicht ok, davon kann
man doch abstürzen, oder wie war das? Ich ging mal rüber zu Köm in
Reihe 21, Mittelgang. Er schlief tief und fest. Ich rüttelte ein
bisschen an ihm herum, bis er die Augen aufschlug, dann duckte ich
mich ab. Er wusste natürlich nicht wirklich was los war, er muss
wohl richtig weg gewesen sein. Unter Umständen wäre er erst zur
Ankunft aufgewacht und hätte sich nicht noch weitere vier oder fünf
Stunden herumquälen müssen. So aber konnte ich mich noch ein
bisschen mit ihm beschäftigen. Erst blies ich ihm Pfeffer und Salz
in die Augen, so dass er seine Kontaktlinsen herausnehmen musste, um
wenigstens einigermaßen zu sehen, wie es mit ihm weiter ging.
Während er mit geschulten Handbewegungen diese Prozedur vollzog,
goss ich seinen Tomatensaft in sein Hip-Bag und versteckte seine
Schuhe im Flugzeug. Wenn er nicht barfuß in Frankfurt landen wollte,
musste er seine Suche so langsam mal anzetteln. Die anderen
Passagiere engagierten sich ebenfalls, indem sie den Rest seines
Handgepäcks herum warfen. Ich durfte mich inzwischen im Cockpit
umsehen. Immer wenn eine der geishahaften Stewardessen mit ihrem
vollen Tablett an Köm vorbei kam, der noch immer unter den Sitzen
nach seinen Schuhen Ausschau hielt, riss ich den Steuerknüppel
herum, so dass Köm von ihr und dem Tablett begraben wurde. Die
anderen, meist koreanischen Passagiere klatschten fröhlich und
jubelten mir zu. Einige interessierten sich aber auch für die
Sauerstoffmasken die von oben herab hingen. Sie erkannten dabei den
praktischen Nutzen dieser Masken, die verhinderten, dass die
unzähligen Schmeißfliegen, die sich noch immer auf Köm's gesamten
Körper aufhielten, aus Versehen eingeatmet werden konnten. Die
Fliegen waren mir schon so vertraut, ich erwähnte sie kaum noch.
Seine Vorliebe für Duschzeug aus Stinkfrucht-Essenz und Phnom
Penh-Markt-Sud machten KaEm zu einem Idealbild von einem
Transportmittel für Fliegen und andere Insekten. Meist waren auch
Ameisen und Flöhe unter ihnen, Fliegen beherrschten aber Köm's
Gesamterscheinung. Er beschwerte sich schon, dass er kaum Farbe
bekommen hatte, was aber nur an den Fliegen liegen konnte, denn sie
hafteten an ihm, wie ein Pullover mit angenähter Sturmhaube und
Handschuhen. Damals, unter Wasser war seine Haut eigentlich als
einziges mal von Fliegen befreit, aber sie wussten halt immer wo er
mal Luft holte. Quasi im Sturzflug nahmen sie ihn wieder in Beschlag.
Sie waren viele, aber nicht doof. Auch sich-Wälzen, Klopfen oder
Giftspray versprach keine Abhilfe, das hatte Köm alles schon
versucht, selbst die Fanfare zog nicht mehr. Allein ein Feuerbad
zeigte mildernde Wirkung, wenn auch nur von kurzer Dauer.
Inzwischen,
und da musste ich Köm entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten auch
mal kurz in Schutz nehmen, hatte sogar mein eigenes Deo versagt. Eine
Reisedauer von 39,5 Stunden steckte sogar ich nicht so einfach weg.
Trotzdem machte der Fliegenteppich keine Anstalten zu mir
überzuwandern. Bei Köm war er zuhause. Einzig der Zoll runzelte mit
der Stirn. Die Ausfuhr dieser Tierarten, war in den Statuten nicht
genau geklärt, auch die Menge wurde dort nicht angesprochen.
In
Frankfurt am Flughafen angekommen, mussten wir erstmal durch die
halbe Stadt zur Gepäckausgabe. Das lag aber eher daran, dass der
Flughafen so groß wie eine Stadt war. Zuhause, in Kambodscha, hätte
ich mich mit einem Moped dorthin bringen lassen. Und als dann auch
noch die Rucksäcke vollzählig waren und Köm und Roat zu den 1000
Barang in die Halle hinter dem Zoll entlassen wurden, hatte ich zum
ersten Mal seit zwei Wochen Schiss, dass mich einer beklaut, absticht
oder infiziert. Aber echt jetzt.
Zum
Glück haben bei McDonald's zwei Asiatinnen gearbeitet, fast Khmer
die eine. So hat mein Kulturschock doch noch mal die Kurve gekriegt.
Jetzt mal ehrlich; die tote Ratte, die auf der Straße vor dem
Central Market in Phnom Penh herum lag, ohne dass sich jemand
zuständig fühlte, hat mir weniger ausgemacht als der dicke gelbe
Strich auf dem Bahnsteigfußboden. Vier solcher Striche bildeten ein
Quadrat und innerhalb diesem durfte geraucht werden. Aber nicht
übertreten, sonst Glotzen sie doof, die Barang. Und nach oben
schauen brachte irgendwie auch nichts. Da war nur eine furchtbar
große Werbung für eine Zeitung, so dick, dass man damit zweimal um
die Welt fliegen könnte. Köm machte große Augen. Mit der Zeitung
konnte er sich glatt zwei Wochen zudecken. Ich war gezwungen gewesen,
seine Wohnung von unterwegs bei eBay zu verschachern. Davon habe ich
letztlich diese Reise bezahlt.
Aber
nicht dass Ihr denkt, ich wäre irgendwie gemein oder so. Ich habe
auch eine freundliche Seite. Ich habe Köm noch was gelassen. Seine
Krankenversicherungskarte. Und dann habe ich ihm sogar noch 10€
geliehen. Für die Praxisgebühr.
-Ende-
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